Der israelische Autor Sayed Kashua:
Nie wieder wird es sein wie früher
Hin- und hergerissen zwischen den Identitäten:
Der israelische Araber Sayed Kashua ist der erste muslimische Autor, der seine
Romane auf Hebräisch schreibt
Von Richard Chaim Schneider,
Süddeutsche Zeitung 03.01.2003
Rotwein bereits am Vormittag? Nun ja, ein wenig ungewöhnlich,
umso mehr, wenn der junge Mann, der da in seinem kargen Arbeitszimmer sitzt, ein
Muslim ist. 27 Jahre jung, aber schon ein Star in seinem Land, da mag man schon
einen etwas exaltierten Lebensstil haben.
In seinem Land? Sayed Kashuas Erfolg basiert auf der Ambivalenz
seiner Zugehörigkeit: Er ist ein israelischer Araber, also einer, der ähnlich
wie ein Jude in Deutschland zumindest zwei Seelen in seiner Brust hat. Und er
ist ein Schriftsteller, ein höchst talentierter, und sein erster Roman,
"Tanzende Araber", der sich inzwischen mit großem Erfolg auch in Deutschland
verkauft, wurde in Israel ein Renner. Die autobiografisch gefärbte Geschichte
beschreibt die Extreme, zwischen denen er selbst und sein Protagonist – ein
israelisch-arabischer Junge – sich bewegen: Da ist der Vater, der hofft, dass
sein Sohn ein großer Kämpfer für die Befreiung Palästinas werde, und da sind die
jüdischen Klassenkameraden in dem israelischen Internat, die der kleine Junge
aus einem arabischen Dorf in Galiläa bewundert. Aber sie akzeptieren ihn nicht
wirklich, obwohl er doch so sein will wie sie.
Lange bevor Kashua mit seinem Roman auf die israelischen
Bestsellerlisten Israels rückte, lange bevor die weltberühmte Krimiautorin Batya
Gur ihn öffentlich über alle Maßen pries, war er als regelmäßiger Kolumnist in
einer Zeitung den jungen, hippen Israelis längst ein Begriff. Kashua schrieb
über alles mögliche: Über die Politik sowieso, aber auch über seine Gefühle
während der Schwangerschaft seiner Frau. Er war der Junge von nebenan, den jeder
zu kennen schien – obwohl Kashua sich zumeist versteckt. "Ich bin froh, dass ich
nie in die Redaktion muss, dass ich zuhause schreiben kann. Die Situation da
draußen, ich habe keinen Nerv darauf".
Sayed Kashua lebt in Beit Zafafa, einer arabischen Nachbarschaft
in Jerusalem. Wenn er aus seiner Wohnung herauskommt, blickt er auf wunderschöne
Bougainvillea-Sträuche und auf das hier im Osten Jerusalems erbaute jüdische
Viertel Gilo, das mit seinen bulligen, arroganten Gebäuden in scharfem Kontrast
zu den verwinkelten Häusern und dem Minarett von Beit Zafafa steht.
Kashua zuckt mit den Achseln. Die gegenwärtige Lage in Israel hat
ihn ratlos gemacht. Er ärgert sich sehr über die Regierung Sharon, nennt sie
rassistisch, da Eli Yishai, der orthodoxe Innenminister nun angeregt hat,
israelischen Arabern, die Selbstmordattentäter aus den palästinensischen
Autonomiegebieten logistisch unterstützen, die Staatsbürgerschaft zu entziehen.
Nach einem Gesetz von 1980 ist das möglich. "Aber hast du schon mal gehört, dass
sie das auch bei einem jüdischen Israeli erwägen? Bei Leuten aus dem
extremistischen Untergrund? Oder bei dem Mörder Rabins?"
Ausflug ins Dorf
Kashua schimpft nicht, sein Ton deutet auf eine gewisse
resignative Gleichgültigkeit hin, die man eigentlich eher bei einem abgeklärten
Siebzigjährigen erwartet. Doch im Nahen Osten altert man schnell. Das Leben in
all seinen grausamen, brutalen, unfairen Facetten – jeder kennt es von klein
auf. Einer wie Kashua allemal. Seine Sensibilität macht ihm zu schaffen. Sein
Schmerz, er versteckt ihn gerne hinter seinem Kleine-Jungen- Grinsen. Diesen
Schmerz verursachen aber nicht nur jüdische Israelis, sondern auch seine eigene
Gemeinschaft trägt dazu bei.
Neulich hat er eine Erzählung geschrieben über eine Gruppe
israelischer Araber, die bei einem Ausflug in ein Dorf gelangen, wo noch Reste
einer Moschee stehen. Die Jüngeren verkriechen sich in das Innere der Ruine und
ziehen sich dort einen Joint rein, die alten Männer kauern unter einigen Bäumen
und betrinken sich mit einer heimlich mitgebrachten Flasche Alkohol. Ein
Ausdruck der Verzweiflung, diese Szene. Doch sie hatte einen katastrophalen
Effekt: Die arabische Gemeinschaft in Israel ist empört. Die Eltern seiner Frau,
mit der er seit zehn Jahren zusammenlebt, haben den Kontakt zu ihm abgebrochen,
seine eigenen Eltern werden in seinem Heimatdorf ununterbrochen beschimpft.
Kashua reißt einen Witz, um schnell über seine Trauer hinwegzukommen und ruft
dann sogleich, unheimlich stolz: "Ich bin der erste Muslim, der auf Hebräisch
Romane schreibt!" Sein großer Vorgänger, der arabische Israeli Anton Shammas,
dessen Roman "Arabesken" in den achtziger Jahren ein großer Erfolg war, war ja
"nur" Christ.
Warum er nicht auf Arabisch schreibe? "Wo soll ich dann
veröffentlichen? Und wer soll das dann lesen?", fragt er, ein wenig überrascht
über die Frage. Es sei doch klar, dass in den arabischen Ländern Zensur
herrsche, außerdem schreibt er ja für seine "Landsleute", also für die Israelis.
Und überhaupt: Hebräisch sei seine Sprache. Natürlich spricht er mit seiner Frau
und seiner kleinen Tochter Arabisch, aber schreiben, denken, sich ausdrücken?
Natürlich nur in der Sprache der Juden.
Wie hin- und hergerissen Kashua in seiner Identität ist, wird
erneut deutlich, wenn er auf die Intifada zu sprechen kommt. Kein gutes Haar
lässt er an Israel, seine Kritik ist eindeutig. Er steht ganz und gar auf der
Seiten der Palästinenser, auch wenn er kein Freund von Selbstmordattentaten ist.
Trotz seines Ärgers bleibt er präzise: Stets spricht er von den Verbrechen
dieser "rechten Regierung". Es sind nicht "die Juden" schuld, es ist ein
bestimmter Teil der Gesellschaft.
Diese eigentlich ganz simple, aber im Nahen Osten schon lange
nicht mehr normale Einsicht, hat sich Kashua bewahrt. Angewidert von Sharon,
Netanyahu und deren Gefolgschaft, will er plötzlich etwas trinken gehen. Auf den
Vorschlag, in den Ostteil der Stadt, in ein arabisches Restaurant zu gehen,
reagiert er zögerlich. Nein, dort fühle er sich einfach nicht wohl. Er mag nicht
unter Arabern sein. "Lass uns lieber in den Westteil gehen, da kenne ich einige
Pubs, da treffen wir dann auch meine Freunde." Meine Freunde – das sind fast
ausschließlich linke, säkulare Juden – nur mit ihnen fühlt er sich wirklich
wohl. "Ach, unser Kampf ist doch derselbe: Wir wollen eine freie, demokratische
Gesellschaft ohne Rassismus und Religion. Meine Freunde und ich – da gibt es
diese Frage nicht mehr, ob sie Juden und ich Muslim bin. Das interessiert uns
nicht."
Unser Kampf ist derselbe
Dieser Kampf hat sich intensiviert seit jenem unglückseligen
Oktober 2000, als arabische Israelis im Norden des Landes, bei Umm-El-Fahm eine
Solidaritätskundgebung für ihre Brüder in der Westbank abhielten. Die
israelische Polizei erschoss bei den Unruhen kaltblütig zwölf Männer. Das
geschah, wohlgemerkt, noch unter der Regierung Barak. Bis heute untersucht eine
Kommission den Vorfall. Dass so etwas je möglich sein würde, dass israelische
Polizei auf israelische Staatsbürger, selbst wenn sie Araber sind, schießen
könnten, das konnte sich Kashua niemals vorstellen. Er hatte immer an die
Möglichkeit der Ko-Existenz geglaubt. "Es wird nie mehr so sein wie vorher. Denn
jetzt weiß ich – es kann jederzeit wieder geschehen! Wie soll man sich da noch
zugehörig fühlen?"
Eine jüdische Israelin kommt herein, eine alte Freundin aus dem
Westteil Jerusalems. Große Freude, Umarmung, sie setzt sich mit an den Tisch.
Das Interview ist vorbei, es wird über gemeinsame Freunde, über die
bevorstehende Reise Sayeds nach Europa gesprochen. Politik? Kein Thema. Wozu
auch? Die jüdische Israelin und der arabische Israeli sind sich sowieso einig:
Es wird nie mehr so sein wie vorher.
hagalil.com
03-01-2003 |