Verwirrung über das Ausmaß der Bedrohung:
Zwölf Liter Wasser im Vorratskeller
Israel bereitet sich auf mögliche Angriffe des Irak vor. Doch
Ankündigungen und Verhaltensregeln verwirren die Bevölkerung mehr,
als dass sie Klarheit schaffen. Derweil wittern heimische Hoteliers
in "sicheren" Regionen des Landes das große Geschäft
Aus
Jerusalem Anne Ponger
In Israel herrscht Verwirrung über
das Ausmaß der Gefahr für die Zivilbevölkerung im Falle eines Kriegs
gegen Irak. Eine Umfrage der Zeitung Haaretz von vergangener
Woche dürfte überholt sein. Danach vertrauten 75 Prozent der
Befragten der Behauptung des Verteidigungsapparates, man sei besser
denn je auf mögliche irakische Raketenattacken auf Israel
vorbereitet. Deshalb wollten 89 Prozent im Angriffsfall zu Hause
bleiben, 5 Prozent ihren Wohnort zeitweise verlegen, während nur
knapp 2 Prozent Auslandsreisen planten. Der Rest war unschlüssig. 40
Prozent wollten sich prophylaktisch gegen Pocken impfen lassen, 33
Prozent waren dagegen, die Übrigen ratlos.
Größte Konfusion herrscht offenbar über
vernünftiges Verhalten, falls irakische Raketen in Israel
einschlagen. 25 Prozent beabsichtigten, "gar nichts zu tun", während
30 Prozent eigene versiegelte Zimmer aufsuchen, 22 Prozent in
öffentliche Luftschutzkeller flüchten und 3 Prozent auf Anweisungen
der Medien warten wollten.
"1,7 Millionen Israelis haben falsche
Gasmasken", dröhnte Haaretz am Silvestertag. Teenager seien
am meisten gefährdet, da es zwar Baby-Schutzzelte, Kleinkind- und
Erwachsenen-Masken gibt, nicht aber solche für Heranwachsende unter
17. Esther Krasner, Expertin für Schutz gegen chemische und
biologische Angriffe im Verteidigungsministerium, wurde mit der
Enthüllung zitiert, die Qualität der in Israel produzierten Masken
habe sich seit dem Golfkrieg von 1991 nicht verbessert und
entspräche - bei einer Gas-oder Bakterien-Attacke - nicht den
Anforderungen. Für rund 25.000 Behinderte gibt es keine ihren
Bedürfnissen angepassten Masken. Beamte des Gesundheitsministeriums
warnten, Herstellung und Lagerung des vorhandenen Pockenimpfstoffes
habe unter veralteten Bedingungen stattgefunden.
"Ist Ihr Luftschutzkeller für den
Notfall bereit?", fragt die viertelseitige Zeitungsanzeige des "Fire
Center" - eine Firma in Herzliya, die Feuerlöscher, Notapotheken,
tragbare chemische Toiletten, Megafone, antichemisches
Versiegelungsmaterial für Fenster, Beatmungsgeräte, Wassercontainer,
hochwertige Masken und Schutzanzüge "für Haus, Büro und Auto"
verkauft. Wohlpublizierte Tests ergaben überdies, dass
Erstickungsgefahr droht, falls eine vierköpfige Familie mehr als
zwei Stunden in einem fünf Quadratmeter großen versiegelten Zimmer
ausharrt. Dagegen soll das Versprechen der Heimat-Front-Kommandantur
beruhigen, Bewohner einer mit nicht konventionellen Waffen
angegriffenen Region würden innerhalb einer Stunde evakuiert.
Am Dienstag rief Infrastrukturminister
Effi Eitam alle Haushalte auf, pro Person 12 Liter Trinkwasser in
Flaschen bereitzustellen für den Fall, dass Israels Wassersystem
durch Gas oder Bakterien verseucht wird. Die Kalkulation basiert auf
einem 3-Liter-Bedarf pro Tag und Person, in der Hoffnung, dass die
Wasserversorgung des Landes "aus natürlichen Quellen" nach vier
Tagen wieder aufgenommen werden kann.
Pessimisten haben andere Optionen:
Aufenthalte in Hotels, Wohnungen und Pensionen in der Rotmeerstadt
Eilat, am Toten Meer, in Galiläa und Jerusalem, die im Golfkrieg von
1991 von Saddam Husseins Scuds nicht oder kaum betroffen waren. Die
Vereinigung der Hoteliers hat ein cleveres System ersonnen:
Betuchte, panische Bürger können Zimmer reservieren, ohne sich auf
Daten festzulegen. Der Kriegsbeginn wird auf die Zeit zwischen Mitte
Januar und Mitte Februar geschätzt. Mit saftigen Anzahlungen kann
man sich zeitlich offene Anrechte sichern, für ein Minimum von
sieben Kriegsnächten. Die Preise pro Doppelzimmer reichen von 300
Schekel (knapp 70 Euro) bis 750 Schekel (rund 160 Euro) pro Nacht,
Kinder zahlen extra.
Die Nachfrage von Interessierten sei
überwältigend gewesen, schwärmen Agenturen, während Bewohner Eilats
fürchten, ein heftiger Zuzug von Tel-Aviv-Flüchtigen könnte Saddams
destruktives Interesse auf Israels Süden lenken. Seit letzter Woche
offerieren Reisebüros teure, offene Flugtickets mit längeren
Aufenthalten in Prag, Budapest, auf Zypern und an der türkischen
Riviera. Aber auch Studios in Paris, London, Manhattan bis zu Villen
in der Toskana sind im Angebot.
Während Bewohner der Küstenebene mit
zeitweiliger Flucht aus dem Landeszentrum liebäugeln, das 1991 von
Scud-Einschlägen besonders betroffen war, zeigen Reporter aus aller
Welt großes Interesse, direkt aus Aviv zu berichten. Alle großen
Sender haben Zimmer reserviert. Die internationalen Hotelketten
werben mit atom-, gas- und bakteriensicheren Schutzkellern.
Die Gefahr eines irakischen Angriffs auf
Israel sei niedrig, lautete am Mittwoch der Beitrag des
Verteidigungsministeriums zu den ständigen atmosphärischen
Wechselbädern. Zwar habe Israel keine Informationen über Iraks
nukleare Kapazität, man schlösse sich aber den Schätzungen des
britischen Premiers Tony Blair an, dass Saddam über 20-50 Raketen
und 4-6 mobile Abschussrampen verfüge. Man rechne damit, dass den
USA die sofortige Zerstörung gelinge.
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04-01-2003 |