Versuche, die
Zweifler zu verstehen:
Israel zwischen
den USA und Europa
Nach einer Umfrage der israelischen Tageszeitung Haaretz sind 20%
der Israelis, darunter 75% im arabischen Sektor, gegen einen
US-Angriff auf den Irak. Mit dieser Haltung ist Israel zwischen
Amerika und Europa einzuordnen. In den Medien zeigt sich jedoch ein
zunehmend kritisches Bild gegenüber Europa. In Fernsehdiskussionen
und Zeitungskommentaren wird Unverständnis zur Haltung Deutschlands
und Frankreichs geäußert. Es gibt jedoch auch Versuche, die
europäische Sicht zu erklären, und kritische Stimmen gegen eine
bedenkenlose Unterstützung der USA sind nicht mehr vereinzelt.
Die Umfrage
von Haaretz zeigt, dass nur 46% der Befragten befürworten, dass die
USA den Irak so schnell als möglich angreifen. 23% unterstützen
dagegen die "europäische Option", vor einem Angriff alle anderen
diplomatischen Lösungen und eine Fortsetzung der Inspektionen
auszuloten. Anders als 1991 wird die Frage nach Israels Reaktion auf
einen Angriff aus dem Irak gesehen. 55% der Befragten sind der
Meinung, Israel sollte jeden Angriff des Iraks militärisch
beantworten. 23% sehen die Reaktion von der Art des Angriffes
abhängig (ob es Verletzte und Opfer gibt, ob chemisch oder
biologische Waffen eingesetzt wurden). Nur 13% der Befragten
sprachen sich gegen eine Reaktion Israel aus.
In den
Zeitungskommentaren wurden in den vergangenen Tagen dennoch einige
Zweifel laut."Und was ist, wenn Bush irrt?" fragt beispielsweise
Zever Plotzker in Jedith Achronoth. Auch wenn er daran glaube, dass
ein Präventivkrieg gegen Saddam Hussein nach Ausschöpfung aller
anderen Möglichkeiten gerechtfertigt ist, laufe ihm bei der
Vorstellung, was geschieht, wenn Bush irrt, ein Schauer den Rücken
herunter. Er plädiert dafür, dass Israel trotz der Unterstützung für
die USA "wenigstens minimale Beziehungen zu den moderaten,
besonnenen, proisraelischen Staaten Europas aufrechterhalten"
sollte.
Ebenfalls in Jedioth Achronoth erschien ein Artikel unter der Frage
"Was
wird sich ändern?" von Jaron London. "Die arabische Welt wird
erfahren, dass Amerika entschlossen ist, gegen Terroristen jeglicher
Provenienz und gegen Diktatoren vorzugehen, die die neue Weltordnung
bedrohen. Assad wird gezähmt, die Hisbollah entwaffnet, Arafat
exiliert, und die Palästinenser werden auf ihren Traum vom
Rückkehrrecht verzichten. Sie werden das Bestreben aufgeben, ihre
Hauptstadt in Jerusalem zu gründen, sie werden sich mit den
Siedlungen abfinden und auf beträchtliche Teile des Landes
verzichten, das ihnen nach dem Befreiungskrieg geblieben ist." Das
sei die Prognose Scharons, auf die sich der Premierminister seit
über einem Jahr verlasse. Der Verfasser hält sie jedoch für mehr als
zweifelhaft und rät, dass man schon deshalb an ihr zweifeln sollte,
"damit die Ernüchterung nach dem Krieg nicht so heftig wird." Aus
israelischer Sicht wird der Krieg keine Veränderung bringen, in
kurzer Zeit wird wieder alles beim Alten sein: "Die Palästinenser
werden sich weiter vermehren und verarmen, ihr Zorn wird nicht
nachlassen, der Terror nicht aufhören, und unsere Reaktionen werden
auch nicht sanfter ausfallen. Wir werden uns wieder mit der Frage
der Aufteilung des Landes zwischen den beiden Völkern herumschlagen,
und es ist anzunehmen, dass die Annektionisten die Oberhand haben
werden. Die Chance dafür ist jedenfalls größer als die Aussicht
darauf, dass das Gegenteil eintritt."
Immer wieder
wurden auch extreme Meinungen laut, die, wie beispielsweise in einem
Leitartikel von haZofeh, Organ der National-Religiösen Bewegung,
tönen, dass Europa nichts gelernt und verinnerlicht habe: "Es
vertraut einem blutrünstigen Diktator, einem Psychopathen, einem
Lügner, der seine Massenvernichtungswaffen vor dem Westen
versteckt." Weiter heißt es in haZofeh, dass die Staaten, die ein
Veto in der NATO eingelegt haben, gleichzeitig auch die Staaten
seien, in welchen sich in den letzten Jahren antisemitische Vorfälle
häufen. "Es wäre auch nicht unbedingt falsch anzunehmen, dass
Frankreich, und auch Belgien und Deutschland, es nicht bedauern
würden, wenn Saddam Hussein seine unkonventionellen Waffen als
permanente Bedrohung gegen Israel einsetzten wird. Europa kann noch
immer keine offene Feindseligkeit gegen Israel demonstrieren. Der
Kontinent, der zum Holocaust geschwiegen hat, zieht es vor, dass ein
Diktator wie Saddam Hussein den jüdischen Staat bedroht- eine andere
Erklärung gibt es nicht für sein Verhalten gegenüber dem irakischen
Regime. Es bleibt zu hoffen, dass die USA mit Europa abrechnen
werden, vor allem mit seiner Wirtschaft. Europa blieb dasselbe
Europa, dass wir seit jeher kennen. Betrügerisch und scheinheilig."
Verschiedene
Kommentatoren erklären die Haltung Deutschlands mit der
"Umerziehung" nach dem Nationalsozialismus. Jaron London schreibt
beispielsweise: "Seit 50 Jahren werden die Deutschen in dem Glauben
erzogen, Krieg sei eine abscheuliche Tat. Zuerst hatte man ihnen
eine Umerziehung aufgezwungen, und nach zwei Generationen haben sie
ihre Erziehung derart verinnerlicht, dass sie ihre Großväter
verabscheuen und Denkmäler für ihre Opfer errichten. Es scheint mir,
als sollten sich die Juden darüber freuen, aber wir sind verärgert,
da für uns die Deutschen nun die Chamberlains unserer Generation
sind, während Bush unser Churchill ist, der das "alte Europa"
verhöhnt, das Europa, das vor Hitler in die Knie gegangen ist."
Avi Primor,
ehemaliger Botschafter in Deutschland, Frankreich und der EU, betont
in einem Artikel für Jedith Achronoth, dass es keine ernste Person
in Europa gibt, die es abstreitet, dass Saddam Hussein ein
blutrünstiger Diktator ist, der bereits gezeigt hat, wie gefährlich
er ist. "Es gibt niemandem, der nicht meint, es wäre besser, wenn er
verschwinden würde. Die Frage, die Europa beschäftigt, lautet, ob
Saddam dass dringendste Ziel ist, und ob die Vorbereitungen, die die
USA für den Krieg gegen ihn treffen, die richtigen sind." Die
Europäer, so Primor, bringen zwei Argumente vor: "erstens, sie
glauben nicht, dass sich Saddam derzeit mehr mit der Herstellung von
Massenvernichtungswaffen befaßt als andere, vielleicht gefährlichere
Diktatoren. Zweitens, sie sehen keine Verbindung zwischen der akuten
Gefahr des islamischen Terrors, in Gestalt Bin Ladens, und dem
Regime Saddams." Auch wenn Primor zuversichtlich ist, dass sich die
europäischen Staaten letztlich mit den USA einigen werden, hält er
den Widerstand für Amerika beunruhigend, da er sich dort auf die
öffentliche Meinung auswirken könnte: "Ohne die Unterstützung der
Öffentlichkeit können die USA militärisch nichts ausrichten, wie wir
es in Somalia, Libanon und Vietnam gesehen haben. Auf lange Frist
sollten die USA auf eine wahre Partnerschaft mit dem sich
entwickelnden Europa setzen. Das wäre ein Beweis der Stärke, nicht
der Schwäche."
aue /
hagalil.com
13-02-2003 |