Von Thorsten Schmitz
In der Praxis von Dr. Beny
Sapir sitzen gesunde Männer und Frauen, lesen Zeitungen und blättern in
Zeitschriften. Ihnen zu Füßen liegen die Patienten, "Bruno" heißen sie,
"Leila", oder "Schemesch". Es sind Schäferhunde dabei, Labradore und ein
schwarzer Pudel, der zurechtgeschnitten ist wie eine Buschhecke im
Londoner Hyde Park. Es geht ihnen schlecht.
Das sieht man ihnen nicht an,
aber Frauchen und Herrchen berichten davon. Der Schäferhund Bruno etwa
lebt in Gilo, einem Jerusalemer Vorort, der direkt gegenüber von Beit
Dschalla liegt, einem überwiegend von christlichen Arabern bewohnten
palästinensischen Dorf. Gilo war seit Beginn der Intifada unter
Beschuss, die israelische Armee feuerte zurück. Der Kugelhagel war Teil
des schwierigen Alltags für die Menschen in Gilo – für deren Tiere auch.
Sie schlafen schlecht, zittern bei jeder Explosion, verweigern die
Nahrung und das Gassigehen.
Wo Menschen so viel leiden, ist
es nur eine Randnotiz, dass die Hunde und Katzen in Jerusalem depressiv
geworden sind – seit den Einmärschen der israelischen Armee in
palästinensische Autonomiestädte wie das südlich von Jerusalem gelegene
Bethlehem mehr denn je. Tag und Nacht hallten Gefechtsgeräusche von den
Hügeln des Westjordanlandes bis in Israels Hauptstadt wider – die
Menschen dort schlucken Beruhigungsmittel, und nun geben sie sie auch
ihren Tieren.
"Die Menschen sind unter Stress,
also sind es ihre Tiere auch", sagt Dr. Sapir. Der Hundedoktor sitzt in
seiner Praxis und lauscht den Herztönen von Bruno, dem Schäferhund, der
seit Tagen das Trockenfutter verschmäht und selbst zum Trinken nur
schwer zu überreden ist. Dr. Sapir verschreibt dem Hund eine kleine
Dosis Valium, die Frauchen unters Frischfleisch mischen soll. Valium,
sagt Dr. Sapir, sei "die letzte Hoffnung" für die Tiere. Viel Liebe und
Streicheleinheiten täten es auch, sowie Fenster und Türen geschlossen zu
halten, damit Schusslärm nicht in die Hundehütte dringen kann. Vor allen
Dingen sollten die Hundehalter ihre Vierbeiner nicht nach draußen
zwingen, wenn diese sich dagegen sträubten.
In Fällen wie Bruno soll das
Valium den Hund die "Probleme vergessen lassen". Er sei so
"entspannter". Jeden Tag, berichtet der Veterinär aus West- Jerusalem,
behandele er drei bis vier "extreme" Fälle, in denen er Valium
verschreibe. Die Intifada, scherzt der Doktor noch ironisch, habe zwei
Geschäftszweigen einen Boom beschert: "Tierärzten und Waffenhändlern."