Am
20.09.03 war Amira Hass zu Gast der Literaturwerkstatt in Berlin um
Ihr Buch "Gaza. Tage und Nächte in einem besetzten Land"
vorzustellen. Mit Ihr sprach Ramon Schack.
Amira Hass ist Israelin und Tochter von
Holocaust-Überlebenden. Seit Jahren lebt Sie in den besetzten
Gebieten, erst in Gaza, jetzt in Ramallah im Westjordanland, als
inzwischen einzige israelische Journalistin. Frau Hass ist
Korrespondentin der israelischen Tageszeitung Haaretz.
Frau Hass Sie leben seit vielen Jahren in den besetzten
Gebieten. Wie hat diese Zeit Sie persönlich geprägt und verändert?
Ich bin sicherlich ein gutes Stück realistischer geworden und
denke weniger in Schwarz-Weiß Kategorien. Als ich 1991 als
Korrespondentin nach Gaza zog, sollte ich den Friedensprozess aus
palästinensischer Sicht dokumentieren. Als ich im gleichen Jahr mit
der Arbeit an meinem Buch begann, wurde mir vom Verlag suggeriert
ich sollte mich beeilen, wenn erst einmal der palästinensische Staat
existiert, der Friedensprozess etabliert ist, so glaubte man damals,
würde niemand mehr Interesse an meinem Buch haben. Das Gegenteil ist
eingetreten. Außerdem habe ich das Leben unter einem
Besatzungsregime kennengelernt, eine Erfahrung die mich sicherlich
grundlegend geprägt hat.
Durch Ihre Arbeit haben Sie sich sowohl bei israelischen
Militärbehörden ,als auch bei der palästinensischen Autonomiebehörde
unbeliebt gemacht. Wie kam es dazu?
Einfach dadurch das ich die Menschenrechtsverletzungen und
Mißstände auf beiden Seiten dokumentiere. In diesem Konflikt kann
man nicht einseitig Partei ergreifen ohne die Wahrheit zu verzehren.
Die Tragödie der Palästinenser besteht nach meiner Auffassung darin,
neben dem Leid der Besatzung auch noch mit einer autoritären und
korrupten Regierung gestraft zu sein. Wenn israelische Soldaten
palästinensische Kinder töten oder die Autonomiebehörde kritische
Journalisten oder Oppositionelle als vermeintliche Kollaborateure
hinrichten läßt bin ich nicht bereit darüber zu schweigen.
Wie reagieren die Menschen im Alltag auf Ihre Anwesenheit in
Ramallah, insbesondere angesichts der eskalierenden Gewalt und dem
Blutvergießen auf beiden Seiten?
Die meisten Menschen kennen mich inzwischen persönlich. Als ich
1991 nach Gaza kam konnten die meisten Palästinenser sehr Wohl
zwischen der Besatzungsmacht und dem einfachen Israeli auf der
Straße differenzieren. Viele Palästinenser waren damals als
Tagelöhner in Israel beschäftigt, hatten Kontakt im Alltag und
sprachen Hebräisch. Inzwischen hat sich diese geändert. Durch die
totale Isolation und Absperrung der Gebiete wächst inzwischen eine
Generation heran, die Israelis nur noch als Besatzer kennenlernt.
Mit dramatischen Folgen.
Wie stark ist eigentlich der Einfluß von Hamas in der
palästinensischen Bevölkerung?
Ich persönlich denke Hamas hätte niemals so stark werden können,
hätte sich die israelische Militärrepression nicht endlos
fortgesetzt und verstärkt. Der militärische Arm von Hamas ist also
als direkte Antwort auf die israelische Militärgewalt entstanden.
Ich glaube aber nicht das Hamas sehr stark in der Gesellschaft
verankert ist.
Sehen Sie also keine grundlegenden Veränderungen in der
palästinensischen Gesellschaft, weg von linken Nationalismus hin zu
einer islamistischen Orientierung wie auch in anderen Staaten der
Region?
Nein eine grundlegende Umorientierung kann ich eigentlich nicht
erkennen.
Sind sie angesichts der demographischen Entwicklung der
palästinensischen Bevölkerung besorgt, bezüglich der Sicherheit der
israelischen Gesellschaft?
Ich bin aus ganz anderen Gründen über die Zukunft Israels
besorgt, nicht aber aufgrund der Demographie.
Ihre Eltern kamen als Kommunisten aus Europa nach Israel.
Würden Sie sich als Links bezeichnen?
Ja ich bin und bleibe eine Linke. Allerdings möchte ich betonen
das ich mit Sicherheit keine Anhängerin des Sozialismus bin wie er
in Teilen Europas vor 1989 herrschte. Ich bin 1989 als
Korrespondentin von Haaretz in Rumänien gewesen, dem Heimatland
meines Vaters, ich kann Ihnen versichern das Leben unter Caucesco
war für die Rumänen schlimmer als das der Palästinenser unter
israelischer Besatzung.
Wie fühlen Sie sich als Wanderin zwischen den Weltenals
Israelin in der Westbank? In Ihrem Buch spielt Einsamkeit auch eine
Rolle.
Grundsätzlich halte ich es persönlich für einen großen Gewinn so
Leben zu können wie ich es tue. Es zwingt mich ja auch niemand dazu.
Ob man dabei glücklicher wird ist eine andere Frage, aber was ist
schon Glück.
Amira Hass, vielen Dank für dieses Gespräch.
haGalil Buch-Tipp:
Tage und
Nächte in einem besetzten Land