Private
Sicherheitsdienste in Israel:
Söldner ohne Uniform
Die Nachfrage nach
den Leistungen privater Sicherheitsfirmen ist seit den
Neunzigerjahren unaufhaltsam gewachsen. In Israel bieten hunderte
von kleinen und mittleren Firmen ihre Dienste an. Ihr Wachpersonal,
das zumeist aus dem Militär stammt, wird vor allem zum Schutz der
Siedler angeheuert. Seit dem Beginn der zweiten Intifada hat dieser
Wirtschaftszweig einen rapiden Aufschwung genommen. Die Erfahrungen,
über die diese Dienste verfügen, machen sie zu einem interessanten
Exportprodukt - und zu einer der wenigen israelischen Boombranchen.
Erst jüngst hat sich der dänische Sicherheitsriese "Group 4 Falck"
bei Haschmira, einer der größten Sicherheitsfirmen Israels,
eingekauft.
Von PETER LAGERQUIST
Schwedischer Journalist in
Ramallah, schreibt u. a. für Guardian, London Review of
Books und Politiken.
Le Monde Diplomatique, 11.10.2002
Schon vor dem 11.
September prognostizierte man den Produkten und Dienstleistungen der
Sicherheitsindustrie auf dem Weltmarkt eine jährliche Wachstumsrate
von fast 9 Prozent. Bis 2010 sollte der Umsatz dieser vormals
relativ insularen und zersplitterten Branche, die in den
1990er-Jahren einen Konsolidierungsprozess durchgemacht hatte, auf
knapp 200 Milliarden Dollar anwachsen. Nach der Tragödie des 11.
September wandelt sie sich offenbar zu einem unentbehrlichen
Seitenzweig der globalen Ökonomie. "Sicherheit ist heutzutage eine
Notwendigkeit, ein zwingendes Attribut der Geschäftsabwicklung",
meint Jonathan Tal, vormals Präsident des Weltverbandes der
Privatdetektive, also des weltweit größten Berufsverbands für die
Beschäftigten der Sicherheitsbranche.
Die israelische
Sicherheitsindustrie - aus der Tal hervorgegangen ist - hofft, sich
einen Gutteil der Aufträge sichern zu können. Dabei setzt man auf
das vorzügliche Image des jüdischen Staates in puncto Sicherheit.
"Die Leute haben die Vorstellung, dass wir alles können, was der
Mossad kann", meint Tal, "ich glaube, wir können im Moment das
Markenzeichen Israel nutzen."
Neben Südafrika und
den USA hat Israel weltweit die höchste Dichte an
Sicherheitspersonal: fast ein Beschäftigter auf hundert jüdische
Bürger. Hunderte von kleinen und mittelgroßen Firmen bieten ihre
Dienste an. Die nationalen Marktführer Haschmira und Modi'in Ezrachi
haben mehrere tausend Beschäftigte. Die meisten Firmen werden von
ehemaligen Angehörigen des israelischen Militärs und der staatlichen
Sicherheitsagenturen betrieben, deren professionelle Kompetenz das
Land bereits zu einem anerkannten Sicherheitsexporteur gemacht hat.
Ihren Nimbus hat sich
die Branche auf einem der letzten Kolonialgebiete erworben. In den
1970er-Jahren begann die israelische Regierung, zum Schutz der
Siedler in den seit 1967 besetzten Gebieten des Westjordanlands und
des Gaza-Streifens private Sicherheitsdienste zu finanzieren -eine
der zentralen Maßnahmen, denen die Siedlerbewegung ihren Aufschwung
verdankte. Initiator war Ariel Scharon, der den Siedlern die nötigen
Geldmittel aus den ihm in den Achtziger- und Neunzigerjahren
unterstehenden Ministerien zuschanzte, wie Chaim Oron, ehemaliger
Knesset-Abgeordneter der linken Meretz-Partei, berichtet.
Mittlerweile ist
diese Politik fester Bestandteil staatlichen Handelns. Fast alle
Siedlungen im Westjordanland haben inzwischen private Wachdienste
angeheuert, und während der Intifada-Jahre ist die Zahl der
Beschäftigten sprunghaft gestiegen. Jehudit Tajar, Sprecherin für
die Dachorganisation aller Siedlergruppen, bestätigt, dass die
meisten Gruppen zusätzliches Wachpersonal beschäftigen. In Ma'ale
Adumin, einer Siedlung bei Jerusalem, zahlen die Bewohner eine
zusätzliche Gemeindeabgabe, um die Kosten abzudecken.
Mit der Zeit sind die
privaten Sicherheitsdienste zu einem integralen - wenn auch relativ
kleinen und unauffälligen - Bestandteil der israelischen
Machtstruktur in den besetzten Gebieten geworden. Das dürfte einen
Teil ihrer Attraktivität ausmachen, meint Eitan Knafo, der in Ma'ale
Adumin wohnt und für Modi'in Ezrachi arbeitet: "Ich denke, es ist
besser, statt Soldaten ziviles Personal einzusetzen."
Für die arabischen
Bewohner verschwimmt dieser Unterschied zusehends. Mitte der
1990er-Jahre berichteten UN-Beobachter, dass sich privates
Wachpersonal sogar an der Räumung arabischer Häuser in Ostjerusalem
beteiligt habe. Nach Aussage Knafos operiert seine Firma strikt im
Rahmen der Gesetze: "So weit ich weiß, waren diese Häuser alle legal
erworben. Vielleicht war es anrüchig, aber es war legal."
Nach Informationen
des israelischen Anwalts Daniel Seideman haben die Sicherheitsfirmen
in Ostjerusalem zwar eine staatliche Lizenz, außerhalb aber
operieren sie "in einem völlig ungeregelten Umfeld". Genau darin
sieht Oron das Problem: "Es geht hier nicht um ehrbare Wachposten
vor Theatern oder Schulen. Wir wissen, dass die Siedler die
Konflikte in den besetzten Gebieten wesentlich mitverantworten. In
dieser angespannten Situation kann man schwer unterscheiden, wann es
sich um Selbstverteidigung, wann um aktive und wann um äußerst
aktive Verteidigung handelt. Ich akzeptiere keinen Terror, aber ich
akzeptiere auch nicht, dass eine private Polizeitruppe Politik
macht. Man weiß doch, was dabei herauskommt."
Nur wenige Israelis
teilen die Bedenken Orons, und auch die Presse steht der
Aufstandsbekämpfungspolitik der Regierung weitgehend unkritisch
gegenüber. Wie die israelische Menschenrechtsorganisation
"Alternatives Informationszentrum" berichtet, haben das Militär und
die juristischen Instanzen Israels sich in der Vergangenheit bei der
Festnahme, Anklage und Verurteilung von Siedlern deutlich
zurückgehalten. Infolgedessen können Siedler die palästinensische
Bevölkerung praktisch ungehindert einschüchtern, deren Besitz
zerstören, sie körperlich angreifen oder sogar töten.
Im Lauf der Intifada
hat sich die Nachfrage für Unternehmen wie Haschmira und Modi'in
Ezrachi um 20 bis 30 Prozent erhöht, vor allem von staatlichen
Institutionen und privaten Unternehmen innerhalb Israels, aber auch
aus den Siedlungen. Wie deren Sprecherin Jehudit Tajar feststellt,
organisiert jede Siedlung heute in Absprache mit den israelischen
Militärbefehlshabern ihre eigenen Sicherheitspatrouillen. Das
Wachpersonal besteht aus angestellten und freiwilligen Helfern.
Neta Golan, die für
eine israelische Organisation Menschenrechtsverstöße dokumentiert,
berichtet aus dem palästinensischen Dorf Hares, wo sie gearbeitet
hat, dass an den Attacken von Siedlern auf dieses Dorf auch Jeeps
mit der Aufschrift "Security" beteiligt waren. Nach einem dieser
Angriffe in den ersten Monaten der Intifada, bei denen mindestens
drei Dorfbewohner getötet wurden, hat die israelische Armee
nachdrücklich bestritten, für die tödlichen Schüsse verantwortlich
zu sein.
Neta Golan zufolge
ist es zumeist unmöglich, zwischen Siedlern und Armeeangehörigen zu
unterscheiden, geschweige denn zwischen bezahlten und freiwilligen
Wachposten. Während die Siedler häufig eine Armeeuniform tragen,
haben die Leute von den Sicherheitsfirmen oft weder Uniformen noch
Erkennungsabzeichen. "Es gibt keine klaren Trennlinien", meint Neta.
Die palästinensische Human Rights Monitoring Group, eine örtliche
NGO, ist beunruhigt: "Sicherheitspatrouillen von Privatfirmen
untergraben die elementare Unterscheidung zwischen Kombattanten und
Nichtkombattanten, auf der das humanitäre Völkerrecht basiert."
Sicherheit als
Exportschlager
DAS
Erfolgsgeheimnis der israelischen Sicherheitsbranche bestand von
jeher darin, dass Personal und Know-how aus dem Bereich des Militärs
in die privaten Sicherheitsfirmen zurückfließen. Doch seit dem
Ausbruch der Intifada haben sich die Grenzen zwischen dem
Militärapparat und der Privatindustrie weiter verwischt. Eitan Knafo
erklärt, seine Firma biete ihrem Personal nur ein geringes
Zusatztraining. "Die meisten haben durch die Armee bereits eine
professionelle Ausbildung, und wir müssen diese nur noch auf uns
abstimmen, auf unsere Vorstellungen, auf unsere Waffentypen."
Die Sprache, der sich
Haschmira-Chef Jigal Schermeister in den Firmen-Rundbriefen bedient,
entstammt der kolonialen Aufstandsbekämpfung. So unterscheidet er
scharf zwischen den Kunden seines Unternehmens und den
Palästinensern in den besetzten Gebieten: "In normalen Zeiten hat
unsere Sicherheitsabteilung in erster Linie mit dem Schutz von
Personen und Sachwerten zu tun. Und dann mussten sie auf einmal
Aufträge erfüllen, für die normalerweise die Polizei und die
Grenzpolizei zuständig sind. Wir mussten dafür hoch qualifiziertes
Personal rekrutieren und diese Leute in sehr kurzer Zeit an
Distanzwaffen ausbilden. Denn sie hatten es ja mit neuartigen
Risikofaktoren zu tun - mit einer feindlichen Bevölkerung, die über
Schusswaffen verfügt."
In dieser Darstellung
vermischen sich beruflicher Stolz und selektive politische
Wahrnehmung: Kaum ein Wort über die palästinensische
Zivilbevölkerung oder darüber, ob nicht die Siedlungen der Grund für
die Spannungen sein könnten. Unverblümt äußert der frühere
Firmenchef Kadisch Schermeister, dass für ihn das Wachstum seines
Unternehmens "schon immer an die Expansion des israelischen Staates
gebunden" war. Er erinnert sich: "Nach der Unabhängigkeit, als die
Araber aktiv wurden, zu schießen und zu rauben begannen und so
weiter, mussten wir zunehmend Sicherheitspersonal aufbieten. In dem
Maße, in dem der israelische Staat expandierte, wuchs unser
Geschäft: Nach jedem Krieg expandierten wir."
Für Schermeister
senior hängt die Vertrauenswürdigkeit der Firma heute entscheidend
davon ab, dass sie bereit ist, ihre Dienstleistungen überall
anzubieten, egal wie hoch das Risiko ist. Überall - aber nicht für
jedermann. Im Rundbrief der Firma kann man nachlesen, dass viele
Mitarbeiter in Galiläa eingesetzt sind, wo auch die Mehrheit der
israelischen Araber leben. Als in den ersten Monaten der zweiten
Intifada diese israelischen Araber ihre Solidarität mit den
Palästinensern der besetzten Gebiete demonstrierten und gegen ihre
Marginalisierung innerhalb der israelischen Gesellschaft
protestierten, kam es zu Zusammenstößen mit aufgebrachten jüdischen
Massen und der israelischen Polizei, die am 1. Oktober 2000 dreizehn
Demonstranten erschoss. Auf die Frage, ob seine Firma auch für die
Sicherheit israelischer Araber arbeite, antwortet Kadisch
Schermeister erstaunt: "Für die Araber? Nein, wir sind doch gegen
die Araber."
Viele israelische
Firmen hoffen neuerdings, ihre professionellen Dienstleistungen auf
größeren Märkten anzubieten. Modi'in Ezrachi Haschmira und andere
israelische Sicherheitsdienste wollen, so heißt es, bei der
Ausschreibung der gigantischen Sicherheitsaufträge für die
Olympischen Spiele von 2004 in Athen mitbieten. Interessiert zeigt
sich auch der staatliche Rüstungskonzern, der die Waffensysteme für
das israelische Militär produziert. Bei diesem Unternehmen macht
heute der Bereich Sicherheitstechnik und -dienstleistungen 60
Prozent des Exportvolumens aus, was auch mit der jahrzehntelangen
Flaute auf dem globalen Rüstungsmarkt zusammenhängt. Bei dem
sportlichen Großereignis, bei dem die griechische Regierung 600
Millionen Dollar für Sicherheitsmaßnahmen investieren will, sind die
israelischen Firmen aussichtsreiche Bewerber, meint Dani Bloch vom
israelischen Exportinstitut in Tel Aviv.
Wichtiger noch ist,
dass für israelische Sicherheitsfirmen strategische Allianzen mit
ausländischen Unternehmen immer wichtiger werden. So hat Haschmira
im Januar 2001 eine 50-prozentige Kontrollmehrheit seines
Unternehmens an den transnationalen Konzern "Group 4 Falck" mit Sitz
in Dänemark verkauft. Dieser zweitgrößte Sicherheitskonzern der Welt
mit einem prognostizierten Jahresumsatz für 2002 von über 4
Milliarden Dollar hat weltweit 230 000 Beschäftigte und ist in mehr
als 80 Ländern präsent. Als einer der größten Betreiber von
privatisierten Gefängnissen in Großbritannien, den USA, Australien
und Südafrika hat sich der Konzern ein knallhartes Image erworben,
das vor allem auf seine ehrgeizige globale Expansionsstrategie
zurückgeht. In Dänemark haben Berichte, die Anfang September in der
Tageszeitung Politiken
über die Aktivitäten von Haschmira erschienen, bei
Menschenrechtsexperten und Parlamentsmitgliedern große Empörung
ausgelöst. Dabei wurde geltend gemacht, dass die Aktivitäten von
Haschmira in den besetzten Gebieten die Falck-Gruppe rechtlich
gesehen zum Komplizen bei schwerwiegenden Verstößen gegen das
Völkerrecht machen könnten. Nach dem Statut des neuen
Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), werden Verletzungen des
Artikels 49 der Vierten Genfer Konvention, der die Ansiedlung
ziviler Bevölkerung in militärisch besetzten Territorien verbietet,
als Kriegsverbrechen angesehen. Im Europarat wird bereits eine
Debatte über den Export von Rüstungsgütern an Israel geführt, die in
den palästinensischen Autonomiegebieten eingesetzt werden könnten.
Und Deutschland und Großbritannien haben ihre Rüstungslieferungen
daraufhin schon eingeschränkt.
Doch obwohl die
Expansion der Siedlungen in den besetzten Gebieten noch immer
weitergeht, fürchtet Daniel Bloch vom israelischen Exportinstitut
nicht um das Ansehen der israelischen Sicherheitsbranche. Er hat im
Gegenteil das Gefühl, dass sich ihre Leistungen nach den in der
Intifada erworbenen Erfahrungen noch besser vermarkten lassen. In
einer globalisierten, aber unsicheren Welt gibt es für
professionelle Dienste eben keine Grenzen.
aus dem Engl. von
Niels Kadritzke
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14-10-02 |