
"Hard Talk":
Israelis gegen Israel
Kommentar von Amnon Rubinstein,
Haaretz, 20.11.2002
Übersetzung Daniela Marcus
Wer sagt, dass die BBC keine Israelis
interviewt? In der am 6. November ausgestrahlten Sendung "Hard Talk"
wurde eine halbe Stunde lang einen israelischen Reserveoffizier
interviewt, und zwar Major Rami Kaplan -einer der Anführer der
Gruppe, die den Armeedienst in den besetzten Gebieten verweigert-,
der Israels Besatzungspolitik heftig attackierte. Unter anderem
beschrieb er Israel als eine verdorbene Gesellschaft, deren junge
Menschen das Land verlassen und die der Gefahr des "Verfalls"
gegenüber steht. Auf die Frage des Interviewers erwiderte Major
Kaplan, dass Israel seiner Meinung nach keine Demokratie sei.
Während des gesamten Interviews fand Kaplan keinen
einzigen Grund, auch nur ein missbilligendes Wort über Yassir Arafat
und die Palästinensische Autonomiebehörde zu äußern, die die
andauernde Besatzung durch eine angemessene Reaktion auf die
Angebote von Ehud Barak und Präsident Clinton hätten verhindern
können. Auch die Selbstmordattentate verurteilte er nicht, obwohl
sogar Amnesty International und Human Rights Watch diese als
Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert haben. Die Aktionen
der Selbstmordattentäter seien in der Tat "schrecklich", sagte er,
doch er "verstehe die Verzweiflung, die diese Menschen zu solchen
Taten antreibt", eine Verzweiflung, die von der Besatzung herrührt.
Als ob die Übernahme der palästinensischen Städte den Attentaten
vorausgegangen wäre, wo doch das Gegenteil der Fall ist! Und als ob
es keine moslemischen Selbstmordattentate außerhalb Israels gäbe!
Nach den Worten Major Kaplans ist es nicht nur die
israelische Gesellschaft, die vor dem Verfall steht, auch die
Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) sind nicht immun
dagegen. Der Major gründete seine Aussage auf ein Nachrichtenthema,
das am 11. November auch in "Ha’aretz" veröffentlicht worden war. Es
wurde berichtet, so sagte er, dass jährlich nur 45 Prozent der
Einberufenen tatsächlich in der Armee dienen. Die Zuhörer rund um
den Globus sollten daraus schließen, dass es eine große Bewegung
gibt, die sich gegen den Dienst in der korrupten Armee erhebt. Doch
Major Kaplan führte seine Zuhörer in die Irre. Denn der
Nachrichtenartikel in Ha’aretz sagte, dass in diesen 45 Prozent auch
Araber und Ultraorthodoxe enthalten sind. Die Quelle des Berichtes
war die "Bewegung für eine qualitative Regierung in Israel", die die
rechtmäßige Annullierung des Tal-Gesetzes erreichen möchte.
(Anmerkung: Das Tal-Gesetz wurde in einer Kommission unter dem
Vorsitz des früheren Richters Zvi Tal verfasst und im Sommer 2002
verabschiedet. Es entbindet ultraorthodoxe Religionsschüler vom
Grundwehrdienst.) Doch ist das utlraorthodoxe Drücken vor dem
Armeedienst Teil des Protestes gegen die Besatzung? Und welche
Bedeutung hat die Tatsache, dass Araber nicht eingezogen werden, für
die ganze Angelegenheit?
Die Besatzung macht auch den Israelis nur Kummer
und sie sollte durch ein politisches Abkommen beendet werden. Die
Notwendigkeit, jüdische Siedlungen im Herzen von arabischen Städten
verteidigen zu müssen, empört auch mich. Doch rechtfertigt diese
Empörung das Lügen? Als Yitzchak Shamir einst sagte "Es ist einem
erlaubt, für das Land Israel zu lügen" war das ganze Land aus dem
Häuschen. Ist das, was den politisch Rechten verboten ist, den
politisch Linken erlaubt? Ist es zulässig, für Palästina zu lügen?
Meiner Meinung nach sollten Menschen, die behaupten, universelle
Werte zu unterstützen, sagen, dass es verboten ist zu lügen, für
welchen politischen Zweck auch immer.
Welches war die Absicht der BBC-Sendung? Die
Absicht war nicht, an diejenigen Israelis zu appellieren, die Kaplan
zur Verweigerung des Armeedienstes ermutigen wollte. Die Engländer
und Europäer brauchen das Öl eigentlich nicht, das er für ihre
Freudenfeuer der Kritik an Israel lieferte. Diejenigen, die die
internationalen Medien verfolgen, sind von den einseitigen,
pro-arabischen, anti-israelischen Sendungen entsetzt.
Was haben wohl die arabischen Zuschauer dieser
Sendung von den Aussagen Kaplans über die Weigerung, in der
israelischen Armee zu dienen, und über den "Verfall der israelischen
Gesellschaft" verstanden? Dass man sich vor dem Einzug in die Armee
drückt? Ich weiß, welche Schlussfolgerung ich selbst gezogen hätte!
Es ist äußerst wichtig zu sagen, dass die
israelische Gesellschaft -trotz Major Kaplans Attacken- nicht in der
"Gefahr des Verfalls" steht. Sie geht durch sehr schwere Zeiten.
Doch sie ging schon durch weitaus schwierigere: Während des
Unabhängigkeitskrieges, in dem eine kleine Gemeinschaft mit wenigen
Waffen den arabischen Armeen und den bewaffneten Gruppen des Mufti
gegenüberstand; am Vorabend des Sechstagekrieges, als der
panarabische Sturm zur Zerstörung Israels begann, und dies, obwohl
es keine Besatzung gab; nach den Schlägen in den ersten Tagen des
Yom-Kippur-Krieges, den manche als "Zerstörung des dritten
Commonwealth" betrachteten.
Anscheinend ist die israelische Gesellschaft
unverwüstlicher als angenommen. Es ist gut möglich, dass wir sogar
noch schwierigeren Zeiten gegenüber stehen werden. Ich glaube aber,
dass sich die israelische Gesellschaft auch in diesen gut halten
wird, und dies sowohl gegen die kleine, mediengesteuerte linke
Kampagne zur Verweigerung des Armeedienstes als auch gegen die
gefährlichen Verweigerer auf der rechten Seite. Und wir werden auch
der anti-israelischen Propaganda widerstehen, selbst wenn diese von
Israelis geführt wird.
hagalil.com
20-11-2002 |