Israel hat kein Verkehrsproblem:
Das eilige Land
Von Schimschi Zahúbi, Haifa
Israels Verkehrsteilnehmer haben einen
schlechten Ruf zu verlieren. Viele der veröffentlichten Berichte
über mangelnde Verkehrsdisziplin sind einseitig. Es wurden bereits
Autofahrer gesichtet, die sich an beinahe alle Vorschriften hielten.
Dadurch jedoch werden nur die Fußgänger verunsichert. Hält ein
Fahrzeug vor dem Zebrastreifen an, wissen die wartenden Passanten
nicht, wie sie zu reagieren haben.
Irritiert blicken sie in das Auto hinein, um den
Fahrer zu beobachten. Vielleicht beabsichtigt er, den leichtsinnigen
Fußgänger zu überrollen, sobald er weit genug vom rettenden
Randstein entfernt mitten auf der Strasse ist. Israels Fussgänger
sind also daran gewöhnt, abzuwarten bis kein Fahrzeug in Sicht ist,
um erst dann die Strasse zu überqueren. Autofahrer kennen dieses
Verhalten und rollen gemütlich weiter, um den Verkehrsfluss nicht
unnötig aufzuhalten. Der rücksichtsvolle Tourist im Mietwagen stellt
eine Gefahr dar ! Erst wenn er sich an die landestypischen
Eigenheiten gewöhnt hat, erst dann "flutscht" es wieder. Die
Fußgänger kennen ihre Autofahrer, die Autofahrer wissen, mit wem sie
es zu tun haben, und verhalten sich entsprechend.
Die hohe Zahl der Verkehrstoten sollte nicht
falsch interpretiert werden. Schwere Lastwagen werden im Zeitdruck
bewegt, es ist heiss, die Klimaanlage reduziert die Motorleistung,
oft wird sie deswegen ausgeschaltet und die Fenster geöffnet. Das
Telefon bringt wichtige Neuigkeiten und schon wird ein Fußgänger
übersehen, der zu früh auf die Strasse getreten war - weil auch er
es eilig hatte und weil auch er gerade telefonieren musste.
An der Spitze einer sich dahinquälenden Kolonne
weist der Fahrlehrer seinen Schüler - oder die Schülerin - an, nicht
so schnell zu fahren, wie die anderen Verrückten. Ein Hupkonzert
wird selten zur Kenntnis genommen, wie die pfeifenden Alarmanlagen,
die durch knapp vorüberhuschende Automobile und zu empfindliche
Einstellung ausgelöst werden.
Israels Autofahrer sind, in Anbetracht der
landeseigenen Gegebenheiten, sehr gute Fahrer. Nun, es wimmelt
allerdings vor Ausnahmen von der Regel. Auf der Autobahn hat sich
das Rechtsüberholen bereits durchgesetzt, auch wird ein flinkes
Zickzackrasen beobachtet. Diese hohe Technik der Fortbewegung
beherrschen jedoch die Motorradfahrer bestens. Auch sind auf den
Pannenstreifen der Schnellstrassen Radfahrer toleriert. Hohe Zäune
auf dem Mittelstreifen können den Willen, gerade hier die
Schnellstrasse zu überqueren, nur selten bremsen. Sportlich über die
"Hürde" gesprungen mit einem breiten Grinsen ob der eigenen
Fähigkeiten, wartet der Frevler eine Lücke im fließenden Verkehr ab,
um seinen Weg fortzusetzen.
Während der Fahrt ist das Nutzen des Telefons nur
den Beifahrern gestattet. Ein ertappter Sünder hat etwa 100
USDollars zu bezahlen. Verkehrskontrollen werden oft wegen der
Sicherheit aber nicht wegen der mangelnden Fahrkünste durchgeführt.
Die zugelassene Höchstgeschwindigkeit von 90 auf den Autobahnen,
zuweilen 100, wird immer wieder penibel radargetestet, wobei der
Verkehrspolizist mit einem laserwaffenähnlichen Gerät auf den Fahrer
zielt und früher oder später der Postbote das Ergebnis vorbeibringt.
Heftige Raserei wird aber auch von Einsatzkräften an Ort und Stelle
unterbunden. Die Polizei kann recht gut mithalten.
Von den richtig schnellen Automobilen gibt es in
Israel recht wenige. Wegen der zahlreichen herrlichen Pisten durch
die Wüste oder das nordisraelische Hügelgelände lohnt sich eher die
Anschaffung eines Geländeautos- solange der Gesetzgeber diesem
Naturfrevel nur zusieht. Es gibt bereits Stimmen im Land, die diesem
Treiben ein Ende setzen wollen. Ähnlich wie in Deutschland könnte
dann der Jeepfahrer seine hohe Sitzposition als bequeme
Aussichtsplattform mit Rädern nutzen und im übrigen die Rechnung für
diesen Luxus an der Tankstelle bezahlen. Derweil ist nicht zu
befürchten, dass sich in Israel so schnell etwas ändern wird. Zu
sehr ist der Staat auf das Geld durch den Autoimport und den Verkauf
von Treibstoffen angewiesen. Gleichzeitig sind viele Strassen oft
zugestaut und daneben führen Staubpisten zwischen Felder ans Ziel.
Diesen Komfort wissen Jeepfahrer in Israel zu schätzen.
Eine Eigenheit unter den israelischen Autofahrern
stellen die wenigen Holocaustüberlebenden dar. Mit gequälter Miene,
fest in den Lenkradkrantz verkrallt, übervorsichtig, rollen jene ihr
Gefährt durch die Strassen. Das knapp gerettete Leben ist auf jeden
Fall zu erhalten, die Erinnerung peinigt, dem Moloch der Nazis ist
man entkommen, nun wird man es wohl noch fertig bringen, dem Moloch
Straßenverkehr in Israel nicht geopfert zu werden.
Politische Standpunkte kann man im Stau in großer
Menge an den Autoaufklebern ablesen. Man sollte jedoch nicht den
Fehler begehen, den Fahrer als Vertreter der harten Rechtspolitik zu
identifizieren, nur weil ein Hinweis auf die Unterstützung der
Siedler im Gazastreifen auf dem Kofferraumdeckel klebt. Das Auto
kann gestohlen sein, soeben gebraucht gekauft oder nur ausgeliehen.
Aufkleber, die über den Standpunkt schon jahrelang nicht mehr
amtierender Politiker aufzuklären versuchen, geben oft einen Hinweis
darauf, wie alt das Fahrzeug bereits ist.
Im übrigen ist der Verkehrsstau in Israel eine
gute Gelegenheit, den Israeli im Nachbarfahrzeug zu beobachten. Wenn
man es nicht eilig hat, lernt man, wie in jedem anderen hoch
motorisierten Land auch, Land und Leute erst im Verkehrsstau kennen.
hagalil.com
24-08-2004 |