Israel im Orient:
Wir können uns nicht von uns selbst lösen
Von Jehuda Litani, Jedioth Achronoth,
22.04.2004
Am Ende des 19. und Anfang des 20.
Jahrhunderts waren die hier ansässigen Araber für die jüdischen Siedler
aus Europa ein Modell, dem sie nacheiferten. Die Wächter der jüdischen
Siedlungen trugen "Kafiot" (Palästinensertücher) und Patronengürtel,
genau wie ihre arabischen Kollegen. In den ersten Ansiedlungen wurden in
der Umgangssprache arabische Ausdrücke benützt. Die arabischen Nachbarn
führten die Juden in die Geheimnisse der Landwirtschaft ein, machten sie
mit den Gewohnheiten, den Speisen und der Kultur des Landes vertraut.
Die letzte Intifada war bei vielen
Israelis der Schlussstrich. Der Wunsch nach einer totalen Loslösung von
den Nachbarn wurde immer stärker. Nicht mehr ein Streben nach Frieden
und Verständnis, keine Eingliederung in den Orient mehr, sondern völlige
Trennung unter Betonung der jüdisch-westlichen Singularität. Das
Programm Sharons, dessen Überschrift ja "Loslösung" lautet, entspricht
diesen Gefühlen haargenau. Die Realität sieht jedoch anders aus. Wie es
auch die Gegner des Programms in der Rechten behaupten, die Loslösung
vom Gazastreifen ist nicht vollkommen, da die Anwohner nach wie vor von
Israel abhängig sein werden. Israel wird ihnen Wasser, Strom, Benzin,
Gas und Nahrungsmittel liefern. Von der Westbank kann sich wegen der
Siedlungsblocks sowieso nicht gelöst werden.
Auch aus emotioneller Sicht ist eine
Loslösung nicht so einfach. In den 120 Jahren der Nachbarschaft mit den
Palästinensern haben wir uns Gebräuche und Lebensweisen unserer Nachbarn
angeeignet, von denen wir heute schon glauben, sie seien von jeher die
unsrigen gewesen. Die gebürtigen Israelis nennen wir "Sabres", wie die
Sträucher in den palästinensischen Dörfern. Unsere Nationalspeisen sind
Falafel, Humus und Tehina. Auch das Olivenöl und den arabischen Kaffee,
den wir türkischen nennen, haben wir von unseren Nachbarn übernommen.
Wir begrüßen uns mit "Ahalan" und verabschieden uns mit der originellen
Kombination "Jallah Bye". Wenn wir den dringenden Wunsch verspüren zu
fluchen, dann verwenden wir saftige arabische Flüche. Auch unsere Musik
hat immer mehr orientalische Elemente übernommen.
Stacheldraht und Beton werden diesen
Prozess nicht abbrechen. Die Israelis können sich nicht so leicht von
dem lösen, was ihnen seit Jahren als Teil ihrer authentischen Kultur
erscheint. Wir können Basketball und Fußball in europäischen Ligen
spielen, hoffen, dass wir in die EU aufgenommen werden, Wohnungen in
London und Paris kaufen, Aktien an den Börsen von New York emittieren
und uns als ewiger Verbündeter der USA fühlen. Aber obwohl unsere Herzen
sich derzeit nach dem Westen sehnen, stehen wir mit beiden Beinen fest
im Orient, und eine Loslösung davon würde bedeuten, dass wir uns von uns
selbst lösen.
hagalil.com
25-04-2004 |