Zum Unhabhängigkeitstag des Staates Israel:
Brief eines Vaters an seinen Sohn
Yair Lapid an seinen Sohn Yoav
Zum Unabhängigkeitstag veröffentlichte die
Botschaft Israels in Berlin die Übersetzung eines Briefes eines
israelischen Vaters an seinen Sohn.
Er
handelt von der ambivalenten Liebe eines Sabre (in Israel geborener)
zu seiner Heimat, vom Charme der israelischen Identität und vom
Verhältnis eines Vaters zu seinem Sohn, - der zweiten und dritten
Generation des israelischen Staates. Den Text schrieb
Yair
Lapid, Publizist und Sohn des Vorsitzenden der Shinuj-Partei,
Tommy Lapid.
Mein lieber Sohn,
heute
haben sie dir einen Personalausweis ausgestellt. Am Montag kam per
Post ein brauner Umschlag an, der dich zum Innenministerium vorlädt:
Du sollst zwei Bilder und Deine Geburtsurkunde mitbringen. Solltest
du sie verloren haben, kannst du ja im Zweifelsfall auch mich
mitbringen. Ich kann es bezeugen, denn ich war ja dabei, als du das
Licht der Welt erblickt hast. Du hast irgendwie verärgert
ausgesehen, als ob man dich gerade bei etwas gestört hätte.
Drei Stunden später, als du und deine Mutter schon geschlafen haben,
ging ich runter zur Aufnahme des Krankenhauses haKirjah und die
Sekretärin mit den zusammengebundenen Haaren hat mich nicht einmal
angeguckt, als sie mich nach deinem Namen gefragt hat.
Ich sagte "Yoav", und dann schrieb dich die Schwester in den
Aktenordner rein. Danach gab sie mir das Zertifikat über dein
Dasein. Ich ging wieder nach oben und betrachtete dich durch die
Glasscheibe. Anders als du dir vielleicht vorstellst, glauben Eltern
niemals, dass ihre Kinder je groß werden könnten. Ich war fest davon
überzeugt, dass du für immer 45 cm groß bleiben würdest, 3.650 gr.
schwer, ohne Zähne und mit einer zerknitterten Stirn, als wolltest
du mit mir schimpfen.
Doch ich habe mich getäuscht (mit Ausnahme der
Stirn vielleicht).
Dein neuer Personalausweis, mein Sohn, wird aus
industriell gefertigtem blauen Plastik sein. Darauf wirst du ein
Bild von dir finden (- erschrick nicht, wenn du darauf aussiehst wie
ein Serienkiller - alle sehen darauf so aus) und einige wenige
Angaben zu deiner Person: Vorname, Familienname, männlich, jüdisch,
Geburtsdatum. Du wirst ihn in die Hand nehmen und die zuständige
Abteilung des Ministeriums verlassen. Wenn du Lust auf Tradition
hast: Überquer die Straße, geh in die Pizzeria "HaSobel" und iss die
Pizza mit Oliven.
Denn genau das hat auch dein Vater vor 23 Jahren
getan. Es kam uns schon immer so vor, als ob unser Leben hier
begrenzt ist, - als ob wir hier die Tage verbringen würden, bis die
6. Flotte kommt, um uns zu evakuieren. Aber du gehörst ja
mittlerweile schon zur Dritten Generation, und vielleicht haben wir
uns ja trotzdem unsere kleine Ewigkeit hier aufgebaut.
Das hört sich vielleicht bisschen seltsam an, Yoavi, aber es schadet
unserer Identität nicht, wenn wir sie auch ausweisen können. Sie
setzt sich eigentlich aus sehr einfachen Dingen zusammen, die uns
alle miteinander verbinden, ohne dass wir uns dessen bewusst sind:
Gestern rief Dein Onkel Tamir bei mir an, um mir mitzuteilen, was er
im Internet gelesen hat: Dass der Wasserspiegel des Sees Genezaret
nur noch zwei Meter bis zur Roten Linie hat.
Wir beide haben diese Nachricht sehr persönlich genommen:
Schließlich gibt es nur ein einziges Land auf der Erde, das stolz
auf einen solchen "Nationaltümpel" sein kann. Es wird wohl auch nur
ein Land geben, wo man zwar den Ministerpräsidenten, den
Außenminister und den Finanzminister beim Spitznamen aus der
Kindheit kennt, aber den Vorgesetzten in der Armee bei seinem
Nachnamen anspricht.
Nur hier kann es dir passieren, dass du ein T-Shirt von den ‚Lakers’
trägst und zu den Fans von Makkabi gehörst. Und nur in diesem Land
kann es dir passieren, dass du offenbar reich sein musst, wenn du
Sozialist bist. Es gibt auch keinen anderen Ort auf der Welt, wo
sich Kinder zur gleichen Zeit in der Sprache der Bibel unterhalten -
und den Religionsunterricht hassen.
Zweifelsohne ist es auch das einzige Land der Welt, in dem die
Bezeichnung "mein Bruder" bedeuten kann, dass ihr euch noch nie
zuvor gesehen habt. Und wenn einer sagt, dass du ein Vollidiot bist,
dann ist es klar, dass es dein bester Kumpel ist.
Die Geschichte hat es so gewollt, dass Dein Großvater in dieses Land
gekommen ist. Ich habe diese Entscheidung für mich selbst gefällt.
Und du brauchst dir über dieses Thema schon keine Gedanken mehr zu
machen. Du kannst zwar versuchen, von hier auszubrechen, so wie es
viele aus deiner Generation tun.
Sicher wirst du es auch versuchen: Nach Indien reisen, im Ashram
hocken, eine Mönchskutte tragen und "Hare Krishna" singen. Nach zwei
Tagen öffnest du die Augen und entdeckst: Der Typ neben dir, der mit
den Rastalocken und zwei Meter hoch, hat in der Golani-Brigade
gedient.
Zweite Abteilung. Du kennst ihn zwar nicht, aber
irgendwie doch: Auch er fand, dass Sergio Konstenza der lustigste
Typ in ‚Givat halfon einah onah’ war. Auch er war im Live-Konzert
von Shlomo Artzi - damals in Caesarea, auch er war heimlich in Dalit
verknallt. Irgendeine Dalit. All das wird dir dein neuer
Personalausweis bescheren, mein Sohn, und du wirst ihn nicht
zurückgeben können.
Die zweitschwerste Sache für Eltern ist die Abhängigkeit von ihren
Kindern, das schwerste aber, die Entdeckung ihrer Selbständigkeit.
Manchmal bekomme ich Lust, mich für Playstation zu interessieren,
aber ich glaube, dieser Zug ist für mich abgefahren. Ich glaube, wir
stehen uns sehr nahe. Wir lieben uns.
Und dann frage ich mich wieder, wo du nur die Kette mit dem
Friedenszeichen herhast oder was genau beim Spiel ‚Mis'chak
Bareshet’ vorgeht. Und ich frage mich auch, wer diejenige ist, die
dich dazu bringt, am Schabathmorgen schon um 7 Uhr zu den
Pfadfindern zu gehen, - mit Gel-gestylten Haaren (nicht dass ich
etwas dagegen hätte, aber ich bin eben nicht der Typ dafür).
Übrigens: Beim nächsten Mal wenn ich aufwache und mein Auto steht
nicht genau an der Stelle, wo ich es geparkt habe, müssen wir ein
ernstes Wörtchen miteinander reden. Irgendwie verbringe ich ein
ganzes Leben mit dem Gefühl an deiner Seite, als hätte ich ein
wichtiges Gespräch verpasst, das wir unbedingt hätten führen sollen.
Anstatt dessen bin ich wie alle Vierzigjährigen (plusminus) voller
Sorge, dass ich nicht cool genug sein könnte.
Jetzt kommt der Staat. Und ruft dich. Ganz über meinen Kopf hinweg.
Soll ich dir was sagen? Was der Staat darf, darf ich schon lange.
Der nächste braune Umschlag , den du erhältst, wird nur den ersten
Befehl enthalten. Wir glauben zwar, dass wir informiert sind,
modern, alleine über unser Leben bestimmen – und doch fallen wir am
Ende alle in das gewohnte Muster zurück: Du wirst deinen Dienst im
Militär ableisten, deine Mutter wird die Uniform waschen und weinen,
ich werde dir langweilige Geschichten aus meiner Armeezeit erzählen,
und Lior wird sich wünschen, dass du ihm erlaubst, einmal das Gewehr
halten zu dürfen: Erlaub es ihm nicht, es ist kein Spielzeug.
In Wirklichkeit ist das "Israelisein" kein großer Spaß. Israel ist
ein hartes und manchmal auch trauriges Land. Und zu alle dem ist
dann auch noch am Monatsende der Geldbeutel leer. Aber wir gehören
dazu. Und das ist das größte Geschenk, das ich habe. Gerade für
mich. Würden wir nicht dazu gehören, würden wir einfach so leben und
sterben, ohne die Fülle, die dazwischen liegt: Ja, Israel wird dein
ganzes Leben in Anspruch nehmen. Aber es wir deinem Leben auch einen
Sinn geben. Glaube mir, es lohnt sich.
Noch einmal: Wenn du willst, dass ich mit dir komme, den neuen
Personalausweis abzuholen, dann brauchst du mich nur zu fragen.
Es wird mir eine Ehre sein.
Yair Lapid (Yedioth Aharonoth)
Transl. israel.de
hagalil.com
10-04-2003 |