Barfuß gegen Netanjahu
"Durch Steuersenkungen die Wirtschaft
ankurbeln": Das Rezept scheint Anhänger zu finden. Nicht nur
deutsche Politiker, sondern auch israelische wollen mit diesem
Mittel die Wirtschaft wieder flott machen, Umsatz, Wohlstand und
Wachstum steigern. Das Rezept hat nur einen Haken: irgend woher muss
das Geld kommen. Wenn der Staat weniger einnimmt, muss er auch
weniger ausgeben. In Israel treffen die Kürzungen alleinerziehende
Mütter besonders hart. Eine von ihnen, Vicky Knafo, wollte mit einem
Protestmarsch auf ihre verzweifelte Situation aufmerksam machen...
Finanzminister Benjamin
Nehtanjahu:
Kein Freund allein erziehender Mütter
Bettina Marx,
Deutsche Welle
http://www.dw-world.de
Mit einer spektakulären Aktion protestierte eine allein
erziehende Mutter gegen die Steuerpolitik der israelischen
Regierung: Vicky Knafo wanderte durch die Wüste.
200
Kilometer zu Fuß durch die Wüste war Vicky Knafo gelaufen. Von ihrer
Heimatstadt Mitzpeh Ramon im Süden Israels bis nach Jerusalem. Als
die allein erziehende Mutter von drei Kindern im Regierungsviertel
der israelischen Hauptstadt ankam, waren ihre Füße geschwollen und
ihre Schuhe kaputt. Barfuß, in der einen Hand eine israelische
Fahne, in der anderen ein Mobiltelefon, versuchte sie den
Finanzminister Benjamin Netanjahu zu sprechen. Ihre Forderung: Er
soll seine Kürzungen rückgängig machen, sonst haben sie und die
anderen rund 100.000 alleinerziehenden Mütter in Israel nicht mehr
genug zum Leben.
Wirtschaftspolitik auf dem Rücken
der Mütter
Wie
in Deutschland geht es auch der Wirtschaft in Israel nicht gut. Und
ebenso wie in Deutschland soll in Israel die Wirtschaft mit
Steuersenkungen wieder angekurbelt werden. Die Idee: Zahlen die
Bürger weniger Einkommenssteuern, haben sie mehr Geld in den Taschen
und konsumieren mehr. Steigender Konsum wiederum bringt die
Wirtschaft wieder in Schwung. Der Haken: Wenn der Staat weniger
einnimmt, muss er mehr Schulden machen oder seine Ausgaben senken.
Da das Haushaltsdefizit eh schon hoch ist, werden in Israel die
Ausgaben gesenkt. Die Kürzungen treffen alleinerziehende Mütter
besonders hart.
Um
gegen diese Politik zu protestieren, marschierte Vicky Knafo durch
die Wüste. Und tatsächlich kam der Finanzminister Bibi Netanjahu auf
die Straße zu Vicky Knafo und den anderen Frauen, die inzwischen vor
seinem Ministerium ein Zelt aufgebaut hatten. Viel zu bieten hatte
er jedoch nicht: Er brachte etwas Käsekuchen und plauderte mit den
Frauen. So einfach wollten die sich aber nicht abspeisen lassen. Sie
verlangten: Der Finanzminister solle nach anderen Geldquellen
suchen, um den maroden israelischen Staatshaushalt zu sanieren.
Sollen sie doch arbeiten gehen
Ohne
die bisherigen staatlichen Zuschüsse kann Vicky Knafo nicht leben:
Sie kocht für einen Kindergarten in ihrer Heimatstadt Mitzpeh Ramon.
Von ihrem Lohn, 1.200 Shekel - rund 250 Euro, kann sie sich und ihre
drei Kinder jedoch nicht ernähren. Bis vor kurzem bekam sie vom
Staat einen Zuschuss von insgesamt rund 3.000 Shekel - etwa 550
Euro. Nach den neuen Spargesetzen wurde davon jedoch fast die Hälfte
gestrichen.
Mit
den Kürzungen will die Regierung nicht nur die Steuererleichterungen
finanzieren, sie versucht außerdem allein erziehende Mütter
anzuspornen, sich Arbeit zu suchen. Larissa, die sich dem Protest
von Vicky Knafo angeschlossen hat, beklagt: "Es gibt keine Arbeit in
Mitzpeh Ramon. Ich war schon beim Arbeitsamt, die haben mich zu
einer Textilfabrik geschickt. Aber dort wurde mir gesagt, dass sie
niemanden einstellen können, weil sie kein Geld haben. Und woanders
arbeiten? Was wird dann aus den Kindern?"
Immer
mehr Frauen protestieren
Der
Marsch von Vicky Knafo macht derweil Schule. In einer anderen
kleinen Wüstenstadt, Arad, hat sich Ilana Azoulay auf den Weg nach
Jerusalem gemacht. Ihren behinderten Sohn Yossi schiebt sie in einem
Rollstuhl vor sich her. Von den Kürzungen ist sie noch schlimmer
betroffen als Vicky Knafo. Gerade einmal 371 Shekel, das sind
weniger als 100 Euro, bleiben ihr im Monat zum Leben. Zu wenig,
erklärt Ilana Azoulay dem israelischen Rundfunk per Telefon von
unterwegs. Wütend protestiert sie gegen die Wirtschaftspolitik: "Ich
habe einen Vorschlag für Bibi Netanjahu - Du und Scharon und alle
anderen, die immer so gute Ideen haben. Nehmt mich und alle
Alleinerziehenden in Israel, werft uns in einen Graben, schüttet
Benzin über uns und zündet uns an, dann seid Ihr uns los."
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Renaissance der sozialen Frage:
Die Hudna der allein Erziehenden
Die Intifada war
ein schwerer Stein. Jetzt, da er vorübergehend beseitigt wurde,
kehrte das richtige Leben zurück, d.h., die sozialen Fragen...
Jigal Serna in
Jedioth achronoth
Jetzt, da die Scheinwerfer von Mofas und seiner Armee auf Bibi und
seinen Etat umschwenken, kamen die allein erziehenden Mütter und
erinnerten uns an die Schwachen. An die, die mit dem Bus fuhren und
ums Leben kamen, an die, die wegen der Sicherheitslage bankrott
gingen oder entlassen wurden. Diese ganze Renaissance der sozialen
Frage - es ist furchtbar, das zu sagen - hängt von der Hudna ab.
Sollten Sharon oder Mofas zum Beispiel beschließen, auf jede
terroristische Tätigkeit gewaltsam zu reagieren, oder die
Liquidierungen wieder aufzunehmen, würden die protestierenden Mütter
sofort verschwinden und in Vergessenheit geraten.
Die Sommer-Hudna ist ein guter
Zeitpunkt für Protestmärsche. Was wird im kommenden Herbst
passieren, mit dem gemäßigten Abu-Masen, den Häftlingen und den
Müttern? Alles hängt voneinander ab. Sollte das Blut zurückkehren,
wird es zu allererst die Schwachen, und zwar auf beiden Seiten,
erfassen. Sie sind immer die ersten Opfer. Wie viele Reiche sind auf
beiden Seiten in der Intifada ums Leben gekommen?
Die Mütter sind jetzt daran interessiert, dass die Ruhe anhält. Wir
alle sind daran interessiert, dass wir nicht zur Lösung der Gewalt
und der Apachi-Hubschrauber zurückkehren, die überhaupt nichts lösen
kann.
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Archiv Deutsche Welle
Interview mit Prof. Zimmermann
"Nur ein Friedensvertrag kann die Lösung bringen."
Der israelische Historiker Moshe Zimmermann im Gespräch mit
Alexander Freund
hagalil.com
01-08-2003 |