Irakische Juden
in Israel:
Ein Hauch von Nostalgie
Aus Jerusalem Anne Ponger
"Bis zum Kriegsausbruch habe ich gehofft, dass es eine diplomatische
Lösung gibt", gestand Sasson Somech vorvergangene Woche, als der
überraschend schnelle Sieg der Koalitionstruppen über das
Saddam-Regime in Israel voller Erleichterung und Optimismus gefeiert
wurde. "Jetzt muss ich zugeben, dass ein Regimewechsel ohne
gewaltsame Einflussnahme von außen wohl unmöglich gewesen wäre",
fügte der vor 68 Jahren in Bagdad geborene, seit 52 Jahren in Israel
lebende Professor hinzu.
In
den Achtzigerjahren, nach dem Friedensabkommen zwischen Israel und
Ägypten, hatte der Lehrstuhlinhaber für arabische Sprache und
Literatur an der Universität Tel Aviv das israelische Kulturzentrum
in Kairo geleitet. Ob er die Gelegenheit nutzen und nun sein
Geburtsland Irak als Besucher wiedersehen wolle? "Der Gedanke ist
mir durch den Kopf gegangen", antwortete Somech. "Ich liebe das Land
und das Volk, spreche noch immer Bagdader Dialekt und habe bis heute
irakische Freunde. Würde man mich, nach einem Friedensschluss
zwischen Irak und Israel, einladen, ein israelisches Kulturzentrum
in Bagdad zu leiten, ich glaube, ich wäre nicht abgeneigt."
Dass
er das selbst für eine Illusion hält, macht er umgehend deutlich:
"Der Krieg mag zu Ende sein, doch die Probleme dürften jetzt erst
beginnen: Auseinandersetzungen zwischen den USA und der Türkei über
die Kurden-Frage, Drohgebärden der USA gegenüber Syrien, Suche nach
einer kompetenten irakischen Führung, die unterschiedliche ethnische
und religiöse Gruppen vereint. Die Exil-Iraker kennen ihr Land nicht
mehr. Ich sehe keine potenziellen Führungspersönlichkeiten unter
ihnen, und drinnen scheint es niemanden zu geben, der eine
ausreichend saubere Weste hat." Eine Reise in die Geburtsstadt wird
er wohl verschieben müssen: "Vor Ende der Besatzung
palästinensischer Gebiete werden Israelis im Irak kaum willkommen
sein."
Mit
17 Jahren hatte Somech Bagdad mit seinen Eltern verlassen, zusammen
mit rund 120.000 irakischen Juden, die so gut wie geschlossen in den
jüdischen Staat einwanderten. Sie hatten sowohl ihre religiöse als
auch intellektuelle Führung mitgebracht und in der Folge das einzige
Beispiel für relativ problemlose Integration von orientalischen
Juden geboten - wesentlich erfolgreicher als die der rund 400.000
marokkanischen Einwanderer mit ihrem bis heute erhaltenen Image der
"armen, ungebildeten Verwandten".
Der
Zusammenhalt der irakischen Gemeinschaft mit ihrer breiten
Mittelschicht, zu der äußerst profilierte Handwerker und Beamte
gehörten, hatte jedem Einzelnen den Rücken gestärkt. Dass die
irakischen Einwanderer sich selbst ernähren konnten, stieß auf
Anerkennung unter den Alteingesessenen. Bis heute spricht man mit
Hochachtung über irakische Juden.
Anders als die Mehrheit der Nordafrikaner hatten die meisten
irakischen Einwanderer sich politisch der sozialdemokratischen Mapai
von David Ben-Gurion angeschlossen. Die irakische "Intelligenzija"
befindet sich bis heute eher auf der linken Seite des politischen
Spektrums.
Viele brachten es zu beachtlicher Prominenz in Politik, Militär,
Justiz, Wirtschaft und Geisteswesen - vom ersten
Knesset-Vorsitzenden Schlomo Hillel und dem vorigen
Arbeitsparteichef und Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliezer
über den ehemaligen Generalstabschef Mosche Levy, den Oberrichter
Avraham Salima, den einstigen Generaldirektor der "First
International Bank" Zadik Bino, die Zeitungsherausgeber Jaakov und
Ofer Nimrodi bis hin zu den international bekannten Schriftstellern
Sami Michael, Eli Amir und Roni Somek.
Der
kontroverse sephardische Oberrabbiner Ovadia Josef, spiritueller
Mentor der Schas-Partei, wurde zwar auch im Irak geboren und gilt
als einer der größten Tora-Gelehrten, fällt in der Galerie der
überwiegend säkularen irakischen Prominenz jedoch eher aus dem
Rahmen. Wie viele Israelis irakischer Herkunft lebt Somech im Tel
Aviver Vorort Ramat Gan. Der erreichte absurde Berühmtheit, als im
Golfkrieg von 1991 die meisten der insgesamt 39 irakischen
Scud-Raketen dort niedergingen. Es müsse der Duft der in Ramat Gan
beliebten irakischen Mango-Delikatesse "Amba" gewesen sein, der die
Scuds angezogen habe, witzeln die irakischen Israelis seitdem. In
der Metropole Tel Aviv gibt es mehrere gute Restaurants, die sich
auf irakisches Essen spezialisieren. Überdies genießt ein Orchester
von zehn älteren Herren, alle Bagdader Urprungs und gut über 80,
ähnliche Popularität wie ihr Pendant Buena Vista Social Club aus
Havanna. Sie pflegen seit 40 Jahren irakische Musik auf
traditionellen Instrumenten und waren kürzlich Stars des Films
"Charlie Bagdad". Das berühmte "Café Bagdad" in der Tel Aviver
Ben-Jehuda-Straße schloss seine Pforten, ohne Zusammenhang mit der
Irak-, wohl aber mit der heimischen Wirtschaftskrise, schon vor zwei
Monaten.
Als
Sasson Somech im September 1999 seine Memoiren zu schreiben begann,
konnte er nicht ahnen, wie aktuell die liebevollen Erinnerungen an
seine Bagdader Kindheit und Jugend drei Jahre später werden würden.
Die hebräische Ausgabe des Buches "Bagdad, gestern" soll im August
in Israel erscheinen, gleichzeitig mit einer arabischen Version im
palästinensischen Ramallah. Einzelne Kapitel wurden in der Zeitung
Haaretz (auch in der englischen Ausgabe) sowie in einem
Kairoer Literaturmagazin veröffentlicht. Nun hofft Somech auf
Interesse bei europäischen Verlagen. "Mein Traum wäre es natürlich,
das Buch im Irak zu veröffentlichen", gestand er schmunzelnd.
Die
anschaulichen Beschreibungen des Lebens im kosmopolitischen Bagdad
der Vierzigerjahre, seiner Cafés und Basare, seiner Moscheen,
Synagogen und Kirchen, seiner Poeten, Kommunisten und Rebellen
inmitten eines reichen linguistischen und kulturellen Milieus
erwecken Nostalgie, nach wochenlangen Fernsehbildern vom chaotischen
Kriegsschauplatz zwischen Euphrat und Tigris.
Unter arabischem Antisemitismus scheint die jüdische Gemeinde Iraks
selten gelitten zu haben, mit Ausnahme eines zweitägigen, von
deutscher Nazi-Propaganda ausgelösten Pogroms im Jahre 1941, dem
mindestens zweihundert Juden zum Opfer fielen. "Meine Familie hatte
Glück, weil wir in einem gemischten jüdisch-muslimischen Viertel
wohnten", erinnert sich Somech. "Killer, Vergewaltiger und Plünderer
drangen nicht ein, weil muslimische Iraker ihre jüdischen Nachbarn
häufig aktiv schützten." Die Gründung Israels im Jahre 1948 hingegen
löste eine Welle wütender Proteste aus, die zahlreiche jüdische
Intellektuelle in den Untergrund und schließlich nach Israel trieb.
Die
Bagdad-Berichterstattung des israelischen Journalisten Ron
Ben-Jischai, der mit europäischem Zweitpass in den Irak gelangte,
wird allabendlich im Zweiten TV-Programm nicht nur von ehemaligen
Irakern mit Faszination verfolgt. Ben-Jischai konnte nicht nur
intakte Synagogen, sondern auch einige der rund vierzig in Bagdad
verbliebenen jüdischen Greise präsentieren.
Im
Radio spekulierte der aus Bagdad stammende ehemalige
Arbeitspartei-Minister Mordechai Ben-Porat bereits über
Möglichkeiten, eine Delegation in den Irak zu entsenden, um den Rest
der jüdischen Gemeinde sowie die verbliebenen Judaica zu evakuieren.
Geschäftstüchtige Tel Aviver Reiseunternehmer hatten schon vor
Kriegsende begonnen, Listen für Irak-Interessierte auszulegen.
Irak-Tourismus dürfte wohl zunächst Zukunftsmusik bleiben.
Nicht ganz so unrealistisch scheint die Hoffnung des Kommentators
Sever Plotzker in der Zeitung Jediot Achronot, Israel habe
nach Etablierung eines neuen Regimes in Bagdad eventuell Know-how
für den Wiederaufbau Iraks anzubieten, sei es doch der einzige Staat
in der Welt mit solch einer Fülle von Ex-Irakern in
Schlüsselpositionen in Verwaltung und Wirtschaft. "Darüber hat es
bereits einen Austausch mit Exil-Irakern in England und den USA
gegeben, die eine Rolle in der zukünftigen Führung Iraks zu spielen
gedenken", bestätigt Sasson Somech.
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24-04-2003 |