Unabhängigkeitstag 2003:
Genügt es nicht, dass wir hier geboren sind?
Kommentar von Nadav Shragai, Ha'aretz,
06.05.2003
Übersetzung Daniela Marcus
Als die Vereinten Nationen im November 1947 die
Teilung des Landes in zwei Staaten, einen arabischen und einen
jüdischen, empfohlen, gab es keine arabischen Flüchtlinge. Und die
gesamte Größe des in der Entstehung begriffenen Jüdischen Staates
betrug gerade einmal 15.000 qm. Den arabischen Staaten, die sich
entschieden hatten, einen Jüdischen Staat abzulehnen, gehörte ein
Gebiet, das die 230fache Größe des Jüdischen Staates hatte.
Nichtsdestotrotz weigerten sie sich, das Recht der Juden auf
irgendeinen Teil des Landes Israel anzuerkennen.
Dreißig Jahre früher, zu Beginn des letzten
Jahrhunderts, waren die "historischen Rechte" der Araber auf das
Land Israel noch nicht einmal erfunden, während heutzutage
palästinensische Propagandisten diese Rechte auf über 1000 Jahre alt
veranschlagen.
Ohne irgendein Zögern und ohne irgendwelche
Zweifel wurde akzeptiert, dass der in der Entstehung begriffene
Staat ein "Jüdischer" Staat sein sollte, und niemand schrieb dem
auch nur den leisesten Hauch von Rassismus zu.
Das zionistische Vorhaben, auf dessen Gerüst der
Staat gegründet wurde, stützte sich damals auf eine praktische
Grundlage. Die akzeptierte Version stellte das Ziel dar, einen Ort
der sicheren Zuflucht für das jüdische Volk im Land Israel zu
schaffen. Die Frage der Merkmale dieses Staates wurden erst einige
Jahre später in den Mittelpunkt gerückt. So wie der lebenswichtige
Bedarf für die sichere Zuflucht die ideologische Basis während der
ersten Stufe des zionistischen Vorhabens war, so wurde die Frage der
nationalen Identität später eine wesentliche ideologische
Notwendigkeit.
Anfangs betrachtete sich die Gründergeneration als
ein Glied in der Kette der Generationen. Gemeinsam mit dem
natürlichen Bestreben, einen Staat der sicheren Zuflucht zu gründen,
fühlten sich viele als Teil dessen, was inzwischen eher
geringschätzig "das Volk Israel über Generationen hinweg" genannt
wird.
Es war ein Gefühl der Verpflichtung gegenüber der
historischen Gerechtigkeit und der nationalen Kultur, das den Sorgen
um die physische Existenz den Vorrang gab. Trotz der Rebellion des
säkularen Zionismus gegen den traditionell-religiösen jüdischen
Lebensstil, gab es einen Konsens darin, dass es unmöglich sein
würde, die Vergangenheit und die nationale Kultur im Staat Israel
wieder aufleben zu lassen, ohne sich dabei dem religiösen Erbe
zuzuwenden, das das jüdische Nationalbewusstsein über die
Generationen hinweg aufrecht erhalten hat. Dieser Konsens diente
eigentlich auch als Basis für die Verbindung zwischen Religion und
Staat im "Dritten Tempel" – dem Staat Israel.
Nachdem nun jedoch Israels erste Jahre der
Unabhängigkeit in immer weitere Ferne rücken, scheint es, dass für
viele junge Israelis –die in die Realität eines existierenden
Staates hineingeboren wurden- das Nationalbewusstsein auf das
Naheliegendste reduziert wird: ein Geburtsort.
Viele derjenigen, die in Israel geboren wurden,
haben eine natürliche Verbindung zu ihrem Wohnsitz entwickelt. Nicht
deshalb, weil es das historische Land Israel ist und nicht deshalb,
weil es das "Volk Israel" ist –ein Terminus, der für viele zu
pathetisch klingt-, sondern einfach nur deshalb, weil sie hier
geboren sind.
In jedem anderen Land genügt diese Art von erster
und natürlicher Verbindung. Doch nicht in einem Land wie dem
unseren, das aus der Vergangenheit hervorkam und das kein Recht hat,
an diesem besonderen Platz, dem Land Israel, ohne jüdische
Geschichte und Kultur, basierend auf der jüdischen Religion, zu
existieren.
Wer immer sich befreit fühlt vom Gewicht der
jüdischen Geschichte (das manchmal ein sehr schweres Gewicht ist)
und sich zufrieden gibt mit dem Umstand, dass er hier geboren ist,
kann die Verpflichtung gegenüber diesem besonderen Land sehr leicht
über Bord werfen. Wenn keine anderen Werte zur sozialen Verbindung
und zum natürlichen Geburtsort hinzugefügt werden, wenn eines
Menschen Vergangenheit nur die Tage seines Lebens umfasst und wenn
historische und religiöse Gerechtigkeit keine Bedeutung haben –
warum soll man dann annehmen, dass das jüdische Recht auf dieses
Land heute Vorrang hat gegenüber dem arabischen Recht? Nach allem
sind beide hier geboren: Juden und Araber.
Während diese Veränderung unter den Juden
stattfindet, betrachtet uns die moslemische und arabische Welt
weiterhin als ausländisches Implantat. Ihr wäre es am liebsten, wenn
es denn möglich wäre, dass wir aus dieser Region verschwinden. So
hat sie es schon vor mehr als 50 Jahren gehofft.
Für die arabische Welt, inklusive der
Palästinenser, ist der Jüdische Staat bestenfalls ein notwendiges
Übel, das toleriert werden muss. Diese grundlegende Tatsache hat
sich seit 55 Jahren nicht geändert. Was sich jedoch für zu viele von
uns geändert hat, ist unser "historisches Bewusstsein". Dieses kann
inzwischen mit den paar Zeilen des Liedes "Hier bin ich geboren,
hier sind meine Kinder geboren..." zusammengefasst werden.
Das Schwinden des Bewusstseins bezüglich der
historisch-religiösen Verbindung schwächt die Beziehung zu diesem
Land im allgemeinen und zu historischen Teilen des Landes und zu
Jerusalem im besonderen. Illusionen über den Frieden folgen schnell,
dabei ignoriert man die Worte und Handlungen der arabischen Seite.
Die emotionale Distanzierung von Teilen des
historischen Landes Israel unterscheidet in vielen Fällen nicht
zwischen den beiden Seiten der Grünen Linie. Gleichermaßen ist die
Unterscheidung zwischen den jüdischen Rechten auf die Grenzen des
Landes vor 1967 und den jüdischen Rechten auf die nach 1967
hinzugekommenen "Territorien" eine künstliche.
An Pessach, dem Fest, das unsere Geburt als Volk
markiert, wird uns geboten: "Erzähle deinem Kind an diesem Tag" und
einer "Generation, die nicht wusste". Dieses Gebot ist für den
Unabhängigkeitstag, der unsere Wiedergeburt als Staat markiert,
nicht weniger wichtig. So wie im Monat Nissan "jede Generation
aufgefordert wird, sich selbst zu betrachten, als ob sie aus Ägypten
ausgezogen ist", so sollte sich jede Generation im Monat Ijjar
sehen, als hätte sie den Staat gegründet anstatt nur darin geboren
zu sein.
hagalil.com
07-05-2003 |