Reaktionen aus Israel:
Ein P.S. zur Weltmeisterschaft
Ziemlich einsam kam sich der Deutschland-Fan am Sonntag und die folgenden Tage
in Israel vor. Jeder, wirklich jeder, freute sich für Brasilien, viele hatten
sich extra frei genommen, um das Spiel zu sehen und Ronaldo anzufeuern. Zwischen
zwei und vier Uhr nachmittags waren die Straßen deutlich leerer, vor jedem
Fernseher und Radio tummelten sich die Brasilien-Fans.
Wie bereits erwähnt ist die Abneigung der Israelis angeblich rein aus
spielerischen Gründen. Daß man einfach nicht will, daß die Deutschen gewinnen,
das wollte eigentlich fast keiner zugeben. Umso mehr erfreuen dann der eine oder
andere Zeitungskommentar nach dem Finale.
Da schreibt beispielsweise Jaron London im Massenblatt Jedith Achronoth, daß er
normalerweise stets Mannschaften wie Senegal, Marokko, die Türkei oder Mexiko
unterstützt habe, "deren Völker einen Sieg mehr brauchen, als die reichen und
überheblichen Länder". In einem Fall habe er jedoch eine Ausnahme gemacht: "Ich
habe mir gewünscht, dass Deutschland gegen Brasilien gewinnt. Es hat mich
furchtbar geärgert, dass in Israel alle darin übereinstimmten, bei diesen netten
Kickern handle es sich um Schrauben einer gut geölten, teuflischen Maschine.
Auch die jungen Männer aus Deutschland haben es verdient, dass man ihnen nicht
die Sünden ihrer Väter vorhält, und auch sie sollten von rassistischen
Vorurteilen verschont bleiben."
Da sind wir doch ganz einer Meinung, was haben die Leute eigentlich gegen die
deutsche Mannschaft? Oria Shavit konnte fünf gute Argumente finden, die für
Deutschland sprechen, sofern man Fußball in seiner reinen Form liebt.
"Wer daran glaubt, dass Fußball ein Mannschaftsspiel sein sollte, der muss die
deutsche Mannschaft bewundern", so Shavit, denn "das ist eine Mannschaft ohne
Stars und ohne Starallüren. Kein deutscher Spieler würde es sich einfallen
lassen, in der Halbzeitpause seine modische Frisur wieder in Form zu bringen,
wie es zum Beispiel David Backham tat. Das deutsche Spiel ist effektiv, exakt
und vor allem bescheiden."
Fußball habe in Deutschland keine politischen oder kulturellen Auswirkungen.
"Von den Staaten, die in die Endphasen der Weltmeisterschaft aufgestiegen sind,
sind die deutschen Fans die einzigen, die die ganze Sache in die richtigen
Proportionen setzen. In Deutschland ist Fußball keine Religion, wie in
Brasilien, keine Droge, wie in Korea, keine Ausrede, die täglichen Probleme zu
ignorieren, wie in der Türkei."
Deutschland ist außerdem die Mannschaft mit dem besten Torverhältnis, so Shavit
weiter: "Man nennt das "effektiven Fußball", und er ist auch sehr logisch. Die
Deutschen haben das feindselige Saudi-Arabien vernichtend geschlagen. Hingegen
haben sie sich mit bescheidenen Siegen gegen befreundete Staaten, wie zum
Beispiel die USA, begnügt."
Sehr sympatisch auch Shavits viertes Argument für einen deutschen Sieg: Hätte
Deutschland gewonnen, "würde ein neuer Kaiser gekrönt, und der arrogante
Beckenbauer müßte einige der gemeinen Äußerungen gegen die deutsche Mannschaft
zurücknehmen."
Und schließlich hätte ein Sieg Deutschlands auch einen israelischen Aspekt:
"Deutschland steckte vor der Weltmeisterschaft bekanntlich in einer schweren
Krise, bis dann die israelische Mannschaft zu einem Freundschaftsspiel eintraf,
1:0 führte und daraufhin sieben Tore verpaßt kriegte. Nach dem großen Sieg gegen
Israel trat eine wundersame Erholung der deutschen Mannschaft ein. Sollte
Deutschland Weltmeister werden, könnten wir unseren Freunden in aller Welt
erzählen: "Ich bin aus Israel, einem kleinen Land im Nahen Osten. Vor einigen
Monaten spielte unsere Nationalmannschaft gegen den Weltmeister. In der ersten
Halbzeit haben wir klar geführt.""
Zugegeben, nicht alle dieser Argumente überzeugen. Außerdem wollte sie sowieso
niemand hören. Und so muß es der Deutschland-Fan eben ertragen, daß hier noch
eine Weile Trikots von Hasenzähne-Ronaldo getragen werden. Mal sehen, was die
Kommentatoren auf Lager haben werden, wenn die nächste WM 2006 in Deutschland
ausgetragen wird.
aue / haGalil onLine 03-07-2002 |