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Samstag, 7. Juli 2001

Wie aus Nachbarn Feinde werden:
Eine Mauer aus Hass und Zement

Seit dem Ausbruch der Intifada werden die Israelis im Jerusalemer Vorort Gilo aus dem palästinensischen Beit Jala beschossen

Manchmal sind sie unsichtbar, manchmal unüberwindbar. Mal markiert durch ein Schild an der Autobahn, mal geschützt durch Stacheldraht und Minenfeld. So unterschiedlich Grenzen auch sind – immer prägen sie das Leben der Menschen in ihrer Nähe. Auf der anderen Seite lockt Arbeit, Wohlstand oder auch nur ein billiger Einkauf, gelegentlich lauert dort aber auch der Feind. In Reportagen aus dem Nahen Osten, Europa, Amerika, Asien und Afrika schildern SZ-Korrespondenten in den kommenden Wochen ihre Grenzerfahrungen.

Von Thorsten Schmitz

Gilo und Beit Jala – Vor ein paar Wochen ist Limor ausgebüxt. Spät in der Nacht hat sie sich aus ihrem Kinderzimmerbett geschält, nicht auf die Fragen ihrer zwei Geschwister reagiert und sich im Badezimmer schlafen gelegt. Sie hatte den Lärm nicht mehr ausgehalten in dem Zimmer, das sie sich mit ihrem Bruder und ihrer Schwester teilt. Es ist Gefechtslärm, ein lautes Geräusch „wie in einem Western“. Limor ist erst elf, besitzt aber einen abgeklärten Blick, als sei sie 18. Sie zeigt eine Plastiktüte, in der eine Gewehrkugel steckt. Ein „Souvenir“, sagt Limor, aufgelesen vor der Haustür. Limor schläft jetzt jeden Abend in der Badewanne. Legt den Boden mit einer dicken Wolldecke aus, baut sich ein Daunen-Refugium aus drei Kissen und einer Bettdecke. Und weil das Licht neben der Dusche so grell leuchtet, zündet sie sich Kerzen an, wenn sie noch lesen will.

Campinglager im Badezimmer

Limors Mutter Eynat Reuveni hat nicht versucht, ihre Tochter vom Campinglager im Badezimmer abzuhalten, obwohl es morgens, wenn der Vater und sie selbst früh unter die Dusche müssen, „eng wird“. Limors Mutter ist ja schon froh, wenn ihre drei Kinder heil von der Schule kommen – „sie nicht erschossen werden“. Erst vergangene Woche kamen sie „ganz gelb im Gesicht“ nach Hause. Von gegenüber hatte man wieder auf das Viertel geschossen, das seit dem Ausbruch der neuen Intifada zur Zielscheibe palästinensischer Terroristen geworden ist: Gilo, der Jerusalemer Arme-LeuteVorort aus den siebziger Jahren im Süden der Stadt. Wo Sozialhilfeempfänger, viele Russen und aus dem Orient stammende sephardische Orthodoxe wohnen und wo Jerusalem ausfranst in unübersichtliche Zonen A, B und C. Zonen, die unter voller israelischer Hoheit stehen, unter gemeinsam israelisch-palästinensischer oder unter ganz und gar autonom-palästinensischer.

Gilo gegenüber, in einem hübschen, Toskana-ähnlichen Tal, liegt der palästinensische Ort Beit Jala, eine 20000-Seelen-Gemeinde, in der vorwiegend christliche Palästinenser leben. Fast täglich fliegen die Kugeln zwischen den zwei Orten am Rande der Hauptstadt Israels, die sich einmal nachbarschaftlich gegenüberlagen – und jetzt durch eine Grenze aus Hass und Gewalt voneinander getrennt sind. In Gilo verlieren alte Männer vor dem Fernseher ihr Augenlicht, weil eine Kugel aus Beit Jala durchs Wohnzimmerfenster in ihr Auge dringt. Und in Beit Jala hat eine arabische Familie ihren deutschen Vater Harry Fischer verloren, der als Doktor verletzten Palästinensern bei einem israelischen Gegenschlag zur Hilfe geeilt war. Zwei Schicksale von über zweihundert inzwischen. Auf beiden Seiten leben die Menschen einen Albtraum, und selbst jene, deren Glieder noch heil sind, sind innerlich wie verwundet.

Beit Jala besaß vor Ausbruch der Intifada eine große Zukunft: Hotels wurden hier gebaut von vermögenden Palästinensern, die in den Vereinigten Staaten oder auch in Europa reich geworden sind. Und die ihrem Volk einen wirtschaftlichen Erfolg bescheren wollten, den ihnen der von korrupten Ja- Sagern umgebene Präsident Jassir Arafat vorenthält. Industrie- und Erlebnisparks wurden errichtet, die Wohlstand und so automatisch den Frieden übers Portemonnaie bringen sollten.

Doch seit sich die Tansim-Milizionäre von Arafats Fatah-Organisation in die Häuser von Beit Jala einnisten und nachts auf Gilos Wohnhäuser schießen, ist der Ort zur Geisterstadt verkommen. Die Menschen dort sind machtlos gegen die gewalttätigen Tansim. Ohnmächtig schauen die Bewohner von Beit Jala zu, wie die israelische Armee mit Panzern und Hubschraubern ihre Heimat bombardiert, von der aus die Heimat von Limor und all den anderen jüdischen Gilo-Bewohnern beschossen wird. Früher konnte man sorglos in dem Tal zwischen den zwei Orten spazieren gehen, heute rennt ein israelischer Polizist wagemutig ein Wadi hinunter und rettet drei kleine jüdische Mädchen, die dachten, man könne dort noch immer herumspazieren.

Gefahr beim Autowaschen

Zudem trennt jetzt eine mobile Zementmauer Gilo und Beit Jala, damit die Menschen in Gilo wenigstens ihre Autos waschen können, ohne gleich von gegenüber erschossen zu werden. Der Wall, der ausschaut wie Teile der Berliner Mauer, ist erst kürzlich von israelischen Künstlern bemalt worden, um seine graue Trostlosigkeit zu übertünchen. Wo jetzt manche Kugeln aus Beit Jala abprallen, fliegen auf der Rückseite Vögel einer Sonne entgegen, schlagen Wellen hoch, spielen fröhliche Kinder im Sand. Ein paar rechte Graffitischmierer haben eine sarkastische Botschaft an die linke Friedensbewegung „Peace now“ draufgepinselt: „Hier ist euer Frieden.“ Entlang der Mauerlücken – für einen durchgehenden Wall ist der Etat der Jerusalemer Stadtverwaltung zu klein – stehen zerschossene Wagen, die Anwohner huschen von Wall zu Wall, geduckt und in Angst vor den Kugeln.

Für Limor und ihre zwei Geschwister ist die Mauer ein Schutzschild. Denn erst vor kurzem saß Limor zusammen mit ihrem Bruder und ihrer Schwester im Kinderzimmer, gemeinsam schauten sie eine Vorabendserie, als plötzlich Schüsse zu hören waren und das Kinderzimmerfenster in tausend Stücke zerbarst. Ein Querschläger hatte die Fensterscheibe zerbrochen, die Kinder hatten sich schreiend auf den Boden geworfen. Limors Mutter Eynat Reuveni sagt: „Ich stand in der Küche, als ich die Schüsse hörte und das splitternde Fensterglas. Ich habe zu Gott gebetet, dass nichts passiert ist und bin mit Händen voller Teig ins Kinderzimmer gerannt.“ Rettungssanitäter kamen innerhalb von fünf Minuten und behandelten die Schürfwunden der Kinder, die sie sich zugezogen hatten, als sie sich auf den Boden fallen ließen. Seit dem Tag schläft Limor in der Badewanne und Dror, ihr zehn Jahre alter Bruder, macht sich nachts in die Hosen. Dafür schämt er sich.

Den Bewohnern von Gilo, aus palästinensischer Sicht eine jüdische Siedlung im von Israel im Sechs-Tage-Krieg 1967 eroberten Westjordanland, hat Premierminister Ariel Scharon versprochen zu helfen. Die Jerusalemer Stadtverwaltung hat außer der Mauer allen Bewohnern, die unmittelbar in der Schusslinie wohnen, den Einbau schusssicherer Fenstergläser zugesagt. Das Kinderzimmer von Limor und Dror ist allerdings bis heute nicht berücksichtigt worden. Erst gestern wieder hat die Mutter sich am Telefon mit einer Mitarbeiterin der Stadtverwaltung angelegt und in den Hörer gebrüllt: „Muss denn erst eines meiner Kinder angeschossen werden, bis sie was tun?“

„Erobern, dann ist Schluss“

Von 532 Wohnungen, die direkt gegenüber Beit Jala in der Schusslinie liegen, haben bislang erst 300 schusssichere Fenster auf Staatskosten bekommen. Die Menschen in Gilo fühlen sich im Stich gelassen, und sie sind wütend und haben die arabischen Namen auf den Straßenschildern übersprüht. Erst vor ein paar Wochen haben 250 Gilo-Anwohner vor dem Amtssitz Scharons demonstriert. Auf ihren Plakaten standen Sprüche wie „Wir wollen die Wäsche aufhängen und den Müll wegbringen, ohne gleich erschossen zu werden!“ Scharon sandte einen seiner Sprecher zu der Menge, und der ließ wissen, Gilo liege Scharon am Herzen.

Aus Solidarität, wie er sagt, hat Jerusalems Bürgermeister Ehud Olmert ein Außenstellenbüro in Gilo bezogen. Ein paar Stunden pro Tag will er nach Angaben eines Sprechers der Stadtverwaltung in Gilo Position beziehen. Schlafen werde er dort allerdings nicht. Der aus Russland stammende, stramm rechte Infrastrukturminister Awigdor Liberman kommt öfter nach Gilo und versichert den Bewohnern: „Man muss Beit Jala nur andauernd bombardieren und anschließend erobern, dann ist Schluss mit der Schießerei.“ Derweil werden die Kinder von Gilo im Kindergarten in hinteren Räumen untergebracht, und Schüler müssen sich bei Schießereien auf den Boden werfen. Limor ist fast nur noch bei Freunden, die nicht in der ersten Häuserreihe an der Promenade von Gilo wohnen. Sogar ihren Geburtstag musste sie in einem Gemeindesaal feiern: „Mich kommt ja niemand mehr besuchen.“

Unterschlupf der Schützen

Wer die Front überschreitet und sich auf die Suche nach den gewalttätigen Palästinensern von gegenüber begibt, trifft auf verunsicherte Menschen. Auf die Mutter und den Vater und ihre neun Kinder, die in einem Haus leben, das wegen Geldmangels nur halbfertig dasteht und in dem die Tansim- Milizionäre perfekten Unterschlupf finden des Nachts – zum Schießen. „Die kommen wie Einbrecher“, sagt der christliche Vater, der aus Angst seinen Namen nicht nennen mag, „und wenn man sie bittet, doch nicht zu schießen, drohen sie mit Schlägen.“ Also verschwindet die elfköpfige Familie zu Freunden und Verwandten, flüchtet aus dem eigenen Haus. Sie fürchten sich vor den Tansim – und vor den Gegenschlägen der Israelis, die nach anfänglichen Vorwarnungen inzwischen plötzlich erfolgen.

„Wir haben keine Sandsäcke wie die Israelis da drüben“, sagt die Mutter, während sie in ihren Armen ein Babymädchen in den Schlaf wiegt. Sie zeigt auf eine große Fensterfront und auf Einschusslöcher. Sie weiß schon gar nicht mehr, wann sie das letzte Mal „so richtig echt geschlafen“ hat. Sie nimmt jede Nacht Schlaftabletten. Die radikalen Tansim-Palästinenser werfen den Bewohnern von Beit Jala vor, „christliche Verräter“ zu sein. „Und die Israelis sagen, wir stecken alle unter einer Decke“, meint der Vater. Dabei seien die, die schießen, tagsüber „Schüler, Arbeitslose und Bäcker“. Abends holten sie ihre Waffen, schlüpften in die vordersten Häuser Beit Jalas – und zielten dann „auf unsere Nachbarn“.

haGalil onLine 22-07-2001

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