Vertraute Skripte:
Falschinformationen führen zur Feindseligkeit
gegenüber Israel
Von Loolwa Khazzoom, The Canadian Jewish News, 9. Januar 2003,
http://www.cjnews.com
Übersetzung von Daniela Marcus
Wenn die Menschen rund um die Erde etwas über den Konflikt
zwischen Israelis und Palästinensern hören, dann haben sie in ihrer Vorstellung
das Bild von den Israelis als weißen europäischen Unterdrückern und von den
Palästinensern als einheimischen, farbigen Menschen, die in die Knie gezwungen
und aus ihrer natürlichen Heimat ausgewiesen wurden.
Somit spielt in den Köpfen der Menschen das vertraute Skript von
europäischem Rassismus und europäischer Kolonisation eine Rolle. Aus diesem
Verständnis heraus und aus dem damit einher gehenden Wunsch nach Gerechtigkeit
zeigen sich viele Menschen rund um die Erde selbst über die Existenz Israels
empört. Mit dieser globalen Sichtweise im Hintergrund ist es arabischen Führern
möglich, gewissenhaften Menschen auf die Tränendrüse zu drücken, alle Schuld für
die regionalen Streitigkeiten auf Israels Schultern zu laden und der
Verantwortung für ihre eigenen Taten zu entfliehen.
Ironischerweise sind es jüdische Führer, die diese Sichtweise der
Juden als Weiße geschaffen haben. Arabische Führer haben sie nur zu ihrem
eigenen Vorteil ausgenutzt.
Durch die Art, wie das jüdische Erbe über Jahrzehnte hinweg
gelehrt und weitergegeben wurde, stehen einem, wenn man das Wort "Jude" sagt,
nicht die schwarzen Gesichter äthiopischer Juden oder die dunkelbraunen
Gesichter jemenitischer Juden vor Augen. Wenn wir nach jüdischen Namen suchen,
suchen wir nicht nach Namen wie Comerchero, Sarshar oder Mo'alem. Wenn wir
"jüdisch" denken, denken wir an Polen, Deutschland und Russland. Wir denken an
Bagels (Anm. d. Übers.: weiche, ringförmige Brötchen), Frischkäse, Jiddisch und
an den Holocaust.
Wenn selbst die jüdische Gemeinschaft die Gesichter und Stimmen
der farbigen Juden unsichtbar werden lässt, wie soll dann die Welt wissen, dass
Israel keine weiße europäische Nation ist, die einheimische, farbige Menschen
der dritten Welt kolonisiert? Wie soll die Welt wissen, dass Hunderttausende der
jüdischen Flüchtlinge aus arabischen Ländern und deren Millionen Kinder die
Mehrheit der Juden in Israel ausmachen?
Die sichtbare Feindseligkeit gegenüber Israel, deren Zeugen wir
heute sind, ist das Produkt eines Kreislaufes aus Falschinformationen, die da
sagen, dass alle Juden weiße Europäer sind und dass Israel deshalb eine weiße,
europäische Kolonialmacht ist. Diese Falschinformationen machen aus Israel einen
rassistischen Apartheid-Staat, was wiederum zu der Meinung führt, dass Zionismus
mit Rassismus gleichzusetzen ist. Somit muss jeder, der gegen Rassismus ist,
auch gegen Israel sein.
Wenn man diesem Gedankengang folgt, sind fortschrittliche
Bewegungen rund um die Welt verständlicherweise anti-zionistisch und
anti-israelisch.
Doch die Realität sieht so aus, dass die Juden ein Volk sind, das
aus vielen Rassen und Ethnien zusammengesetzt ist. Was besonders wichtig ist:
über 50 Jahre hinweg machten die Misrachim–Juden, die im Mittleren Osten und in
Nordafrika heimisch waren- die Mehrheit der Juden in Israel aus. Diese jüdische
Gemeinschaft lebte seit Urzeiten im Mittleren Osten und in Nordafrika. Bis Mitte
des 20. Jahrhunderts haben die Misrachim, die eine 4000jährige Geschichte haben,
diese Region nicht verlassen.
Man betrachte also dies: Die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung
in Israel hatte niemals irgendetwas mit Europa zu tun. Im Gegenteil: Die
Misrachim lebten in den Gebieten, die heute Irak, Ägypten, Syrien, Marokko und
Jemen heißen. Sie lebten dort schon lange, bevor diese Gebiete diese Namen
erhielten und bevor es so etwas wie einen arabischen Staat gab.
Die Misrachim lebten dort 2500 Jahre lang. Sie waren also bereits
1200 Jahre dort, als in dieser Gegend die islamische Invasion begann. Sie lebten
dort seit 586 vor der christlichen Zeitrechnung, als das babylonische Imperium
das alte Israel zerstört und die Israeliten als Gefangene in das Gebiet des
heutigen Irak gebracht hatte.
Als arabische Muslime den Mittleren Osten und Nordafrika
eroberten, waren die Juden eines der wenigen einheimischen Völker, das der
Übertretung zum Islam widerstand. Deshalb wurde ihnen der Status der Dhimmi
gegeben. (Anm. d. Übers.: Dhimmi = "Schutzbefohlene"; diesen Status gibt es im
Islam bis heute; Dhimmi sind Menschen, die unter islamischer Herrschaft leben,
jedoch nicht der Religion des Islam angehören bzw. nicht zum Islam konvertieren
möchten (insbesondere Juden und Christen); Muslime gewähren ihnen Schutz für ihr
Leben und ihren Besitz und gewisse Freiheiten (z. B. die Erlaubnis, ihr eigenes
Eherecht zu praktizieren oder die Erlaubnis, Alkohol zu trinken), jedoch nur
unter bestimmten Bedingungen, die je nach Art des islamischen Staates mit mehr
oder weniger strengen Verboten und Einschränkungen einhergehen (z. B. das
Verbot, den Koran, Mohammed oder den Islam zu kritisieren; das Verbot, die
Feinde der islamischen Welt zu unterstützen; die Einschränkung, berufliche
Positionen einzunehmen, in denen die "Schutzbefohlenen" über Muslimen stehen
könnten); Dhimmi müssen außerdem eine Sondersteuer zahlen. Die Gesetze, die den
Dhimmi-Status definieren, sollen es den unterworfenen Anhängern anderer
Religionen unmöglich machen, den Aufbau der islamischen Gesellschaft in
irgendeiner Form zu behindern oder sogar zu gefährden.)
Durch diesen Status waren die Juden zwar ein toleriertes, jedoch
minderwertiges Volk, das für immer dafür bestraft werden sollte, dass es die
Vision des Mohammed abgelehnt hat. Dies bedeutete, dass Juden plötzlich die
Autonomie verloren, die sie von ihren nicht-muslimischen Nachbarn bekommen
hatten.
Juden wurden häufig gezwungen, in Ghettos zu leben. Der
Landbesitz wurde ihnen verboten. Sie wurden daran gehindert, bestimmten Berufen
nachzugehen. Und ihnen wurde alles verboten, was auf physische oder symbolische
Art Gleichheit mit den arabischen Muslimen demonstrieren konnte. Diese
Grundhaltung, bestehend aus Verachtung, Unterdrückung und Demütigung, bestimmte
das Alltagsleben der Juden. Zusätzlich waren Massaker nicht selten, die
teilweise ganze jüdische Gemeinden ausgelöscht haben.
Waren die Dhimmi-Gesetze lockerer und war es Juden erlaubt, in
größerem Maße an der Gesellschaft, in der sie lebten, teilzuhaben, blühten die
jüdischen Gemeinden auf.
Oftmals war die Reaktion auf diesen Erfolg eine Welle der
Schikane oder der Massaker unter Juden, initiiert durch die Regierung oder durch
die Massen. War die jüdische Gemeinde dann geschwächt, durchlief sie eine
Periode der relativen Ruhe.
Diese Dynamik bedeutete, dass die Juden in einem grundlegenden
Zustand der Unterwürfigkeit lebten. Sie konnten an der Gesellschaft teilhaben,
sie konnten einen gewissen Wohlstand und Status genießen und sie konnten mit
ihren arabisch-muslimischen Nachbarn befreundet sein, doch sie mussten sich
immer darüber im Klaren sein, wo letzten Endes ihr Platz war.
Die arabisch-israelische Beziehung und die gegenwärtige Krise
findet in dem weiten Kontext der Zeitgeschichte statt, in der arabische Muslime
Juden über 1300 Jahre hinweg unterdrückt haben.
Darüber hinaus zeigten palästinensische Führer eine starke Hand
bei der Terrorisierung und Vertreibung der Juden innerhalb der gesamten
arabischen Welt, was zu 900.000 jüdischen Flüchtlingen führte, die aus dieser
Region flohen.
Im Jahr 1941 zum Beispiel kamen mehrere palästinensische Führer
als Gäste des Nazi-Regimes nach Berlin, insbesondere Hajj Amin al-Husayni, der
damalige Mufti von Jerusalem.
Al-Husayni bat Hitler, die gleichen Methoden, die gegenüber den
europäischen Juden angewandt wurden, auch gegenüber den Juden im Mittleren Osten
anzuwenden. Al-Husayni entwarf eine politische Deklaration, die er
Nazi-Deutschland und dem mit diesem verbündeten faschistischen Italien
präsentierte, in der Hoffnung, dass die Deklaration angenommen wird. In
Paragraph 7 forderte er, dass Deutschland und Italien "die Rechte von Palästina
und anderen arabischen Ländern anerkennen, das Problem der jüdischen Elemente in
Palästina und anderen arabischen Ländern auf die gleiche Art und Weise zu lösen,
in der dieses Problem in den Achsenländern gelöst wurde" – was bedeutet: durch
Völkermord.
Ferner versprach Hitler bei einem Treffen mit al-Husayni am 28.
November 1941: "Der Führer offeriert der arabischen Welt seine persönliche
Zusicherung, dass die Stunde der Befreiung geschlagen hat. Danach ist
Deutschlands einziges, limitiertes Ziel in der Region die Vernichtung der Juden,
die unter britischem Schutz in arabischen Ländern leben."
Aufgrund dieser Zusicherung ließ al-Husayni seine Stimme
vernehmen und äußerte während einer Demonstration in Berlin am 2. November 1943
in einer Rede die Hoffnung auf eine "Endlösung" bezüglich der jüdischen Präsenz
im Mittleren Osten. Die Rede wurde vom offiziellen Sender Nazi-Deutschlands,
Radio Berlin, übertragen.
"Das nationalsozialistische Deutschland kennt die Juden sehr gut
und hat sich entschieden, eine Endlösung für die jüdische Gefahr zu finden, die
dem Bösen in der Welt ein Ende bereiten wird", sagte al-Husayni. "Die Araber im
besonderen und die Muslime im allgemeinen verpflichten sich dazu, dieses Ziel zu
verfolgen und nicht davon abzuirren, sondern es mit allen Mitteln zu erreichen:
das Ziel ist die Vertreibung aller Juden aus arabischen und muslimischen
Ländern."
Nicht lange danach brachen schwere anti-jüdische Aufstände in der
gesamten arabischen Welt aus. Jüdische Bürger wurden überfallen, gefoltert und
ermordet. In manchen arabischen Ländern wurden Juden vollständig ausgestoßen.
Überall in der Region wurde jüdisches Eigentum konfisziert und vom Staat
angeeignet. Die Juden wurden gezwungen, aus Gegenden zu fliehen, in denen sie
über Jahrtausende hinweg gelebt hatten.
Heute hört man nichts über das jüdische Flüchtlingsproblem, weil
Israel 600.000 dieser 900.000 Flüchtlinge aufgenommen hat. In den letzten 50
Jahren bildeten diese Flüchtlinge und ihre Kinder die Mehrheit von Israels
jüdischer Bevölkerung. Im Gegensatz dazu nahmen arabische Staaten die arabischen
Flüchtlinge vom arabischen Krieg gegen Israel im Jahr 1948 nicht auf.
Stattdessen bauten arabische Staaten primitive Flüchtlingslager in der West Bank
und im Gazastreifen –zu dieser Zeit von Jordanien und Ägypten kontrolliert- und
deponierten dort unschuldige Araber. Palästinenser wurden dazu verdammt,
politische Marionetten zu werden.
Länder wie der Libanon und Syrien subventionierten weiterhin den
Kampf gegen Israel anstatt die medizinische und pädagogische Basisbetreuung für
die palästinensischen Flüchtlingsfamilien in diesen Lagern und anderswo zu
subventionieren. Im Jahr 1967 übernahm Israel in einem
Verteidigungskrieg das palästinensische Flüchtlingsproblem. Als Israel
versuchte, in Gaza Häuser für die Flüchtlinge zu bauen, stimmten arabische
Staaten in UN-Resolutionen dagegen, denn die Absorption hätte den
Flüchtlingsstatus geändert. Doch gebot dies nicht die moralische Pflicht?
Bevor die Verantwortung der Territorien Mitte der 90er Jahre an die
palästinensische Autonomiebehörde übergeben wurde, war Israel damit
fortgefahren, den palästinensischen Flüchtlingen mehr Geld zu geben, als
zuvor fast alle –mit Ausnahme von dreien- arabischen Staaten gemeinsam.
Israel baute in der Westbank und im Gazastreifen Krankenhäuser
und pädagogische Einrichtungen für die Palästinenser. Israel bildete die
palästinensische Polizei aus. Und bis jetzt dominieren die 22 arabischen Staaten
sowohl die Gebiete wie den Wohlstand der Region. Wer trägt also die Schuld am
heutigen Flüchtlingsproblem?
Ohne einen genauen und vollständigen Blick auf die Geschichte des
Mittleren Ostens zu werfen, werden Regierungsführer und Friedensaktivisten damit
fortfahren, die Region in eine unsichere Zukunft zu treiben, der es an
territorialer Integrität fehlt.
Es ist an der Zeit, dass man die arabischen Führer für ihr
Handeln an allen Flüchtlingen der Region –Juden und Araber- zur Rechenschaft
zieht. Wenn dies nicht geschieht, wird der Frieden eine Illusion bleiben.
Loolwa Khazzoom ist jüdische Feministin
irakisch-amerikanischer Herkunft. Sie lebt in Israel und ist Redakteurin,
Autorin, Musikerin und Direktorin des "Jewish MultiCulture Project".
hagalil.com
21-01-2003 |