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Manche israelischen Soldaten leiden selbst unter dem, was sie den Palästinensern antun: "Ich bin noch heute wie gelähmt"

Zerbrechen an der eigenen Stärke

Verwundete, deren Wunden man nicht sieht – wie frühere Angehörige einer Eliteeinheit ihren harten Einsatz in den besetzten Gebieten verarbeiten

Von Thorsten Schmitz

Tel Aviv , im November – Von Israel aus betrachtet, hat sich Omri vor acht Jahren auf eine Reise ans Ende der Welt begeben, und es sieht so aus, als bliebe er dort. In Seattle, im äußersten Nordwesten der USA, trennen ihn zehn Zeitzonen und 17 Flugstunden von Tel Aviv. 12000 Kilometer liegen zwischen seiner olivgrünen Uniform, der Vergangenheit – und seinem Sakko, der Gegenwart.

Die israelische Sonne vermisst der Computerspezialist in den langen Wintermonaten in Seattle, das Hebräischsprechen und vielleicht noch einen guten Falafel-Imbiss. Und sonst?

"Nichts."

Was nicht ganz stimmt, denn in Wahrheit muss Omri, der seinen Familiennamen nicht nennen will, auch im fernen Seattle auf das verzichten, was ihn dazu bewegt hat, der Heimat den Rücken zu kehren: eine innere Ausgeglichenheit. Nächte ohne Alpträume, Tage ohne Versprecher. Letzte Woche trieb der Hunger Omri in einen Falafel-Laden in Downtown Seattle. Dort verlangte er vom palästinensischen Imbissbesitzer auf Hebräisch, dieser solle sich ausweisen. Die arabischen Schriftzeichen, der Geruch von Humus, das Bild vom Felsendom in Jerusalem über der Fritteuse hatten Omri in die Vergangenheit katapultiert.

Zwei Nächte lang konnte er nicht einschlafen, tagsüber ertappte Omri sich dabei, wie er regungslos auf den Computerbildschirm starrte und den Kampf in seinem Kopf gegen die Bilder aus der Vergangenheit verlor. Wenn er von der Arbeit nach Hause kam und seinen Sohn mit Harry Potter in den Schlaf las, hoffte Omri, seinem Sohn möge die Armee erspart bleiben. Und also die Scham, die auf dem Vater lastet, seitdem der die Uniform an den Nagel gehängt hat.

Mit toten Fledermäusen

Mit 20 Jahren, in einer Elitekampfeinheit der israelischen Armee in den besetzten Palästinensergebieten, "war mein Gewissen unausgereift", sagt Omri heute als 31-Jähriger. Töne waren von ihm zu hören, über die er heute entsetzt ist. Die Angst vor der Intifada und davor, bei der Verteidigung der Heimat mit der Waffe in der Hand zu versagen, kaschierte Omri damals mit starken Sprüchen: "Wenn ich einen Palästinenser erwische, der Steine nach mir geworfen hat, wird der ganz klein. Er beginnt zu weinen, und dabei fühle ich mich gut. Ich habe dann Kontrolle über ihn."

Diese Sätze sprach Omri vor zehn Jahren in die Kamera seines Armeekollegen Jarif Horowitz, der im Auftrag der Armee einen Film drehen sollte über die Stimmung junger Soldaten in Nablus während der ersten Intifada. Stoischen Blicks berichtet Omri darin von Vorgesetzten, die den jungen Rekruten in Plastiktüten tote Fledermäuse überreicht hätten mit der Aufforderung, damit die Menschen in den besetzten Gebieten einzuschüchtern. "Wir waren von der Intifada überrascht, es gab keine Lösungen und keine konkreten Vorschriften, wir mussten improvisieren. An einem Ort voller Gewalt und Macht wirst du als Soldat sehr kreativ..."

Omri ist seit zwei Jahren das erste Mal wieder in Israel, um seine Eltern zu besuchen. Die Freunde von der Armee meidet er. Der Filmemacher Horowitz hat ihn eingeladen, spielt ihm die Sätze von damals in seinem Wohnzimmer in Tel Aviv vor. Fassungslos blickt der 31-jährige Omri auf den 20- jährigen Omri und sagt: "Das war nicht ich, der da gesprochen hat."

Der Filmemacher Horowitz hatte damals als Soldat in der Lehrabteilung der Armee den Auftrag, einen Film zu drehen, der die Soldaten in den Palästinensergebieten aufmuntern und ihnen die Angst nehmen sollte. Alle zehn Soldaten, mit denen Horowitz damals sprach, waren Mitglieder einer Eliteeinheit, "Melach Ha‘aretz" genannt, Salz des Landes. Doch die Gespräche mit Soldaten wie Omri verliefen bereits in den ersten Minuten nicht wie geplant. Die Soldaten berichteten von orientierungslosen Kommandeuren, die von dem Ausbruch der Gewalt der Palästinenser ebenso überrascht worden waren wie das politische Establishment.

Die Hilflosigkeit und die fehlende Zurückhaltung der Vorgesetzten übertrug sich auf die jungen Soldaten. Horowitz ließ in seinem Film den damals 20-jährigen Ilan zu Wort kommen: "Ich renne fünf Minuten hinter dem Palästinenser her, mit meiner kiloschweren Ausrüstung in glühender Hitze. Ich schwitze und bin müde, und wenn ich ihn erwische, bin ich wütend auf ihn, weil ich ihm hinterherrenne und er Steine nach mir wirft und weil ich in Nablus sein muss. In dem Moment empfinde ich nur Wut, die ich an ihm auslasse. "

Zehn Jahre später sind die meisten Soldaten aus der ersten Intifada, wie Omri etwa, die Zeit in den Palästinensergebieten immer noch nicht los. Zehn Jahre nach Abgabe ihrer Uniformen leiden sie unter Schlaflosigkeit oder periodisch wiederkehrenden Alpträumen, in denen geschossen und gebombt wird, in denen Palästinenser und Soldaten bluten und sterben. Manche, wie Omri, sind vor der Heimat und den Erinnerungen ins Ausland geflüchtet, andere, wie Ilan, in Israel geblieben und haben ihr Leben völlig geändert. Vor zehn Jahren war Ilan wild entschlossen, den Aufstand der Palästinenser zu brechen. Heute lebt er zusammen mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Söhnen im Norden Israels auf einer Hippiefarm in atemraubender Natur und schämt sich.

Ein anderer Mensch

Der 30-Jährige, der ebenfalls nur seinen Vornamen nennt, trägt weite T-Shirts und Stoffhosen aus Nepal, das Haar reicht ihm bis über die Schultern, er sitzt in seinem Obst- und Gemüsegarten und raucht am späten Vormittag einen Joint und erzählt, wie die Armee damals in den drei Jahren Dienst aus ihm einen anderen Menschen gemacht habe: "Ich war nach der Armee voller Aggression. Ich bin nach Hause zu meinen Eltern gekommen, habe alle Möbel verrückt, Porzellan zerbrochen, Vorhänge heruntergerissen und sie angebrüllt ‚Seht, das ist eine ordentliche Hausdurchsuchung!’ – Ich bin total ausgerastet." Aus nichtigen Anlässen habe er sich mit anderen geschlagen, erzählt er, gebrüllt und gestänkert habe er. Ilan lebt jetzt ohne Armbanduhr und ernährt sich vom Verkauf seiner Obst- und Gemüseernte. Das bislang Aufregendste in seinem ansonsten ereignisarmen Leben war das Zähnekriegen seines Sohnes. Er steht auf einem Hügel, von dem er das nördliche Galiläa nahe dem See Genezareth überblickt und sagt: "Wer seine Impulse zu beherrschen weiß, ist ein wahrer Held. Damals haben mich meine Impulse beherrscht." Mitleid für die jungen Soldaten und Soldatinnen, die gegen die Akteure dieser zweiten Intifada eingesetzt sind, hat Ilan bereits jetzt: "Wir schicken unsere Kinder in den Krieg, und auch wenn wir stärker sind als die Palästinenser, bleiben Wunden unser Leben lang."

Ilan, Omri und all die anderen Elitesoldaten sind in den letzten zehn Jahren in psychologischer Behandlung gewesen, manchmal über Jahre hinweg. Chaim zum Beispiel, ein heute 30-jähriger Familienvater und Nachbar von Ilans Gemüsefarm, gibt freimütig zu, dass damals Palästinenser fast zu Tode geprügelt worden seien, "einfach so. Manchmal sind wir Steinewerfern hinterhergerannt, haben sie gefangen genommen und dann, wenn dein Vorgesetzter anfängt draufloszuschlagen, dann tust du es ihm gleich." Seit zehn Jahren trägt Chaim eine Schuld mit sich herum, "die mir niemand nehmen kann".

Die Worte der vergessenen Kinder Israels werfen ein Schlaglicht auf eine Generation, die kurz nach der Schule in Uniformen gesteckt wird und mit Waffen ihre Heimat verteidigt. Und wie in allen Armeen dieser Welt zieme es sich auch in der israelischen nicht, Schwächen und Ängste zu zeigen, erklärt Dr. Joram Juval, ein Psychiater und Psychoanalytiker aus Tel Aviv, der traumatisierte Soldaten zu seinem Patientenstamm zählt.

Der Armee ist das Thema offenkundig unangenehm. Ehud Knobler, der Chef der Trauma-Abteilung der Streitkräfte, sucht die Zahl der traumatisierten Soldaten kleinzureden: Sie sei "signifikant" niedriger als die unter Soldaten der UNO etwa. Dr. Juval dagegen sagt, viele Soldaten litten nach ihrer Zeit bei der Armee unter posttraumatischem Stress, der sich in Alpträumen, Hyper- Stresssymptomen wie Aggressionen und Schlaglust, auch Drogenkonsum äußere. Mit Hasch und Ecstasy flüchteten viele Ex-Soldaten in eine "friedliche Welt, in der es keine Intifada gibt". Manche Soldaten seien derart von schlechtem Gewissen gemartert, dass sie auch tagsüber Erlösung in Wasserpfeifen und Joints suchten.

Und manche bleiben daran hängen. Eine halbe Autostunde von Tel Aviv entfernt befindet sich Kfar Isun, das "Dorf des Gleichgewichts". Es ist ein offenes Camp für globetrotternde Ex-Soldaten, die auf ihren Indien- und Nepaltripps nach der Armee-Zeit auf Drogen hängen geblieben sind, oder für Soldaten, die den Anblick von Leichen im Westjordanland und das eigene Töten psychisch nicht verkraftet haben.

Das Dorf ist ein Heilungsort für Verwundete, deren Wunden man nicht sieht. Geleitet wird es vom früheren Offizier Omri Perisch und einem Team aus Psychologen, Sozialarbeitern, Therapeuten und der ehrenamtlich arbeitenden Frau von Verteidigungsminister Schaul Mofaz. Zur Zeit halten sich dort etwa 120 israelische Jugendliche auf, manche nur tagsüber, manche auch in der Nacht. Es ist eine Insel der Friedfertigkeit, ohne Checkpoints und Armeestützpunkte, ohne schusssichere Westen, militärische Befehle, Hausdurchsuchungen, Schüsse.

Die Vögel hört man in Kfar Isun, das Meeresrauschen und von ganz weit weg den steten Verkehr auf der Küsten-Autobahn. Fernsehen ist verpönt, denn man stößt auf allen Kanälen auf Berichte über die Intifada und ihre Opfer. Stattdessen vertreibt man sich die Zeit mit Musik, Schiazu- und Fußreflexzonenmassage. Die Ex-Soldaten sprechen mit Therapeuten, lassen Drachen steigen, machen Musik und studieren Theaterstücke ein.

Gedanken an Selbstmord

Jonathan sitzt auf den Stufen der Treppe zum Massageraum und raucht eine Zigarette. Er gehörte der Elitetruppe "Duvdevan" (Kirsche) an, einer Kampfeinheit, deren Mitglieder sich als Palästinenser verkleiden und sich in den Städten der autonomen Palästinenser-Gebiete unters Volk mischen. Sie sprechen arabisch, haben eine palästinensische Vita auswendig gelernt, falls jemand in Ramallah, Tulkarem oder Nablus Verdacht schöpfen sollte, und sie nehmen potenzielle Selbstmordattentäter fest.

Jonathan ist an seiner Aufgabe zerbrochen: "Irgendwann musste ich mir eingestehen, dass ich nicht über die Stärke verfüge, die ich nach außen hin gezeigt habe." Zusammen mit seinen Kameraden sei er in Häuser eingedrungen bei Nacht unter den angstvollen Blicken der Kinder in ihren Pyjamas, erzählt der junge Mann, "wir haben Zivilisten getötet, und ich habe mir immer gesagt, ‚Jonathan, du machst nur deine Arbeit’. Meine Vorgesetzten haben mir versichert, man könne abschalten, das Undercoverleben könne mir nichts antun." Doch eines Tages brach Jonathan zusammen, wurde vom Dienst befreit, heulte sich beim Militärpsychologen aus. "Es tut mir sehr leid, was ich anderen Menschen angetan habe an Verletzungen. Ich bin wie gelähmt, sitze zuhause, blättere in Comic-Heften, habe nichts zu tun." In Kfar Isun lerne er, sich selbst kennenzulernen, erzählt er.

Der Leiter des Dorfes, Omri Perisch, sagt: "Vor zwei Jahren hatten wir nur Rucksacktouristen, die auf ihren Reisen zwischen Armee und Universität auf Drogentripps hängen geblieben waren. Seit Beginn der Intifada kommen mehr und mehr Soldaten zu uns, die den Krieg vor der Haustür nicht mehr verkraften. Manchmal rufen uns Eltern an und berichten, dass sie ihre Söhne nicht wiedererkennen. Dass sie aggressiv geworden sind, oder apathisch in ihren Zimmern liegen oder von Selbstmord reden." In Gesprächen mit den Soldaten hört Omri Perisch oft den Satz: "Ich habe das nicht getan, jemand anderes in mir war das."

Ansichten aus Israel

hagalil.com 25-07-02

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