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"Auf Wiedersehen nach dem Krieg um halb sechs"

Henryk Broders Israel Tagebuch April 2002
Erschienen in Spiegel Online

So ruhig wie jetzt ist es in Jerusalem nie - außer wenn es knallt.

Mitten im Auge des Orkans soll es ja am ruhigsten sein. Tatsächlich merkt der Reisende nicht, dass er im Krisengebiet gelandet ist, wenn er in Tel Aviv aus dem Flugzeug steigt. Es regnet in Strömen, und es ist kälter als in Berlin. Da es aber kaum Touristen, sondern fast nur Israelis sind, die ins Land kommen, kommt es nicht auf das Wetter an. 

Zur Mittagszeit hat sich eine 16-jährige Palästinenserin vor einem Supermarkt in Jerusalem in den Tod gesprengt und zwei Passanten mitgenommen. Das Verteidigungsministerium mobilisiert 20.000 Reservisten. Die Armee belagert das Hauptquartier von Arafat in Ramallah und zerstört sieben Gebäude. Wir beschließen, so zu tun, als wäre die Situation ganz normal, nehmen einen Wagen und rollen bergauf nach Jerusalem.
Wie ausgestorben: Via Dolorosa in der Altstadt von Jerusalem (Foto: Henryk M. Broder)





"No peace, no business" 
(Foto: Henryk M. Broder)


Die Stadt gehört den streunenden Katzen. Das sicherste Mittel, keinem Selbstmörder über den Weg zu laufen, scheint zu sein: Zu Hause sitzen und fernsehen. Wir fahren zu Gad Granach, der seinen 87. Geburtstag feiert. Er ist vor 66 Jahren aus Berlin nach Palästina kommen und hat alle Kriege und Krisen, die es seitdem gab, mitgemacht.

Normalerweise läuft bei Granach immer der Fernseher, aber an seinem 87. Geburtstag will er nicht wissen, was draußen passiert. Er lebt nahe genug an der Wirklichkeit. Vor ein paar Tagen gab es elf Tote, als ein Palästinenser das Café "Moment" mit Hilfe einer Sprengladung demolierte, Granach hörte die Explosion, seine Wohnung liegt gleich um die Ecke, und wenn er einkaufen geht, dann führt ihn der Weg zum Supermarkt am "Moment" vorbei.

Inzwischen kann fast jeder, der in Jerusalem lebt, eine ähnliche Geschichte erzählen. Jeder war schon mal an einer Stelle, an der es wenig später gekracht hat, saß schon in einem Café, das bald darauf in die Luft flog. Zahava ruft an und sagt, sie kann nicht zu Granach kommen, sie war in unmittelbarer Nähe des Supermarkts, "wo es heute passiert ist", und will daheim bleiben.

Anne kommt und bringt eine große Schüssel selbstgemachten Kartoffelsalat mit. Während Granach Würstchen ins heiße Wasser legt, erzählt Anne, wie schön es letzten Monat auf den Kapverdischen Inseln war und dass sie nächste Woche in den Sinai fährt, um Freunde aus Deutschland zu treffen, denn man kann es derzeit keinem anraten, nach Israel zu kommen. 
Man trägt Brille: schicke Pferde
(Foto: Henryk M. Broder)


"Wenn wir 1930 gewusst hätten, was auf uns zukommt, wären wir auch nicht in Deutschland geblieben." Anne wurde erst nach dem Krieg geboren, lebt seit den siebziger Jahren in Israel, aber das historische "wir" geht ihr mühelos von den Lippen.

Irgendjemand erzählt, im Österreichischen Hospiz soll es echten Wiener Apfelstrudel geben. Am nächsten Morgen rollen wir Richtung Altstadt, parken unseren Wagen genau an der Grenze von West- nach Ostjerusalem und gehen zu Fuß in Richtung Damaskus-Tor. An der Altstadtmauer kurz vor dem Tor stehen ein paar Polizisten mit ihren Pferden. Die Polizisten tragen schusssichere Westen, die Pferde Schutzbrillen aus Plastik. Ich habe noch nie ein Pferd mit einer Brille gesehen. Sie sehen sehr schick aus.


Abu Ali: Früher standen die
Gäste Schlange (Foto: Henryk
M. Broder)


Auf dem Platz vor dem Tor verkaufen Händler Spieluhren aus China und Nippes aus Hongkong, hinter dem Tor gibt es nur Lebensmittel zu kaufen: Obst, Gemüse und Backwaren. Alle übrigen Geschäfte sind geschlossen. "No peace, no business", sagt Abu Ali, der seit über 40 Jahren eine Bäckerei betreibt und auch Pizza bäckt. 

Früher standen die Touristen bei ihm Schlange, heute kann er die Gäste an den Fingern einer Hand abzählen. Vor dem Österreichischen Hospiz stehen ein paar Soldaten und futtern Matzen, eine Art Knäckebrot, mit harten Eiern. Im Hospiz riecht es wie in einer ungelüfteten Jugendherberge, und es gibt auch keinen Apfelstrudel.

Die Via Dolorosa ist leer wie die Fußgängerzone von Wanne-Eickel um fünf Uhr morgens, nur in der unmittelbaren Gegend der Grabeskirche haben ein paar Geschäfte mit Devotionalien halb geöffnet, indem sie eine Tür angelehnt lassen. Amira Karam, eine Maronitin aus Beirut, begrüßt ihre Kunden in acht Sprachen; sie ist vor drei Jahren nach Jerusalem gezogen, wo ihre Eltern leben, "just for business".
"In Beirut war das Leben schöner": 
Amira Karam 
(Foto: Henryk M. Broder)



Jetzt bleiben die Kunden aus und die Geschäfte laufen schlecht. Die ledige 35-Jährige findet: "In Beirut war das Leben schöner."

In Jerusalem bis vor kurzem auch. An der Tür zur Diskothek "Underground" im Zentrum der Stadt, hängt ein Schild: "Wegen Krieg geschlossen." Jemand hat mit der Hand darunter geschrieben: "Auf Wiedersehen nach dem Krieg um halb sechs".

 

Mehr von Henryk Broder auf seiner 
Offiziellen Homepage

haGalil onLine 22-04-2002

 

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