Hauptmann R.:
Haftentlassung für Leichenfledderer
Von
Ulrich W. Sahm
Mit zitternder
Stimme gestand Professor Mordechai Kremnitzer im Radio eine
"vorschnelle Vorverurteilung der Presse" ein. Der Vorsitzende der
israelischen Journalistenvereinigung wurde zu dem Fall des
Hauptmanns R. befragt. dem wurde angelastet, in ein tot am Boden
liegendes 13 Jahre altes palästinensisches Mädchen, Iman el-Hams, in
der Sperrzone vor der ägyptischen Grenze, eine ganze Salve aus
seinem Schnellfeuergewehr abgegeben zu haben. Vor einem Monat
veröffentlichten Rundfunk und Zeitungen in Israel das ungeheuerliche
Verbrechen als Zeugnis der übrigen Soldaten in der Kompanie des
Hauptmanns.
Diese mutmaßliche
Leichenfledderei löste in Israel höchste Empörung aus, wie kein
anderer Kindestod seitdem der 12 Jahre alte Muhammad al Dura am
zweiten Tag der Intifada vor laufender Kamera unter weiterhin
unklaren Umständen getötet worden war.
Der Fall des
Hauptsmanns R. hatte viele Fragen aufgeworfen, etwa, wieso das
Mädchen, angeblich auf seinem täglichen Schulweg, genau in die
andere Richtung in die lebensgefährliche Zone gelaufen war. Es wurde
als "verdächtige Figur" aus verschiedenen israelischen Stellungen
heraus beschossen und getötet. Der Hauptmann begab sich entgegen
stehenden Befehlen zu der Leiche und gab angeblich Schüsse auf sie
ab. Welche Kugeln das Mädchen getroffen haben und ob der Hauptmann
im Widerspruch zur Ethik eine "Todessicherung" verübte, indem er die
Leiche durchlöcherte, kann nicht einwandfrei nachgewiesen werden, da
die Palästinenser eine Obduktion verweigern.
Der Hauptmann wurde
verhört und unter "offenen Arrest" in einem Militärlager gestellt.
In den israelischen wie internationalen Medien wurde der Hauptmann,
ein Druse, als Kriegsverbrecher vorverurteilt. Er wurde vor einem
Militärgericht angeklagt, nicht wegen Tötung des Mädchens, sondern
wegen zahlreicher Verstöße gegen Befehle, darunter auch wegen
Leichenfledderei. Am Sonntag kam es zu einer überraschenden Wende
bei dem Verfahren. Der Hauptzeuge der Anklage, einer der
Untergebenen des Hauptmanns gestand, beim Verhör "gelogen" zu haben.
Die mutmaßlichen Schüsse auf das Mädchen habe er nicht mit dem
Fernglas beobachtet, sondern aus über hundert Metern Entfernung nur
mit "bloßen Augen". Die Geschichte hätten die Soldaten "erfunden",
weil sie ihren verhassten Kommandanten loswerden wollten: "Das
Mädchen hat uns überhaupt nicht interessiert." Nachdem der Zeuge
eingestanden hatte, "gelogen" zu haben, befahl der Richter eine
sofortige Freilassung des Hauptmanns. Ihm wurde sogar die Waffe
wieder gegeben.
Das Verfahren ist
nicht eingestellt worden, wegen anderer Anklagepunkte. Aber der
schwerwiegendste Anklagepunkt wegen Leichenfledderei, der weltweit
Schlagzeilen gemacht hatte, stellt sich jetzt als böswillige
Erfindung der Soldaten heraus, zumal sich deren Angaben über den
Verlauf des Ereignisses auch in anderen Punkten "erheblich
widersprachen", wie der Richter sagte. Der Vorsitzende der
Journalistenvereinigung, Kremnitzer, warnte die Presse davor, "jetzt
den Hauptmann genau so voreilig von jedem Vergehen freizusprechen,
wie sie ihn zunächst voreilig als Kriegsverbrecher abgestempelt
hatte." Die Medien sollten Untersuchungen und Gerichtsverfahren erst
einmal abwarten, ehe sie falsche Schlüsse verbreiten.
hagalil.com
08-02-2005 |