Die israelischen Verteidigungskräfte (IDF):
Militarismus oder Notwendigkeit?
Von Dr. Yehudit Koznizky
Wehrdienst und Zivilleben sind in Israel durch
einige Faktoren eng miteinander verbunden. Diese Verbindung wird zum
einen vom grundsätzlichen Streben nach Frieden und zum anderen von
der Notwendigkeit der Selbstverteidigung, auf Grund der langjährigen
Geschichte des jüdischen Volkes vor und seit Staatswerdung, genährt.
Der Zweite Weltkrieg hat für die westlichen Völker
die Lehre "Nie wieder Krieg!" hervorgebracht, wobei der Holocaust
für das jüdische Volk als die extrem höchste Vernichtungserfahrung
erlebt wurde, aus dem die Lehre, dass die Selbstverteidigung ein
Muss für seine Existenz in Frieden ist, gezogen wurde.
Israel wird immer wieder kritisiert, ein
militärischer Staat zu sein. Das besonders Tragische infolgedessen
ist die Tatsache, dass Israel der einzige westliche Staat ist, der
seit Staatswerdung den Vernichtungsbedrohungen durch Kriege und
Terroranschläge innerhalb und außerhalb seiner Grenzen ausgesetzt
ist. Angesicht dieser Realität ist es nur verständlich, dass die IDF
seit ihrer Etablierung am 26. Mai 1948 durch die provisorische
Regierung ein integraler Bestandteil des Staates sind und hohes
Ansehen und Prestige genießen. Sie werden als Maßstab der
israelischen und der pan-jüdischen selbständigen
Identitätsbestimmung bewertet. "Israel ist die Lebensversicherung
aller Juden auf der Welt" (1998) - wie es Paul Spiegel, Vorsitzender
des Zentralrates der Jüdischen Gemeinden in Deutschland,
formulierte.
Demzufolge melden sich auch Jugendliche ehemaliger
israelischer Familien und sogar Jugendliche aus den ehemaligen
GUS-Ländern, die nach dem jüdischen Gesetz (Halacha) nicht als Juden
angesehen werden, zum Wehrdienst in Israel. Ferner schöpft die
Verbindung zwischen den Verteidigungskräften und dem Zivilleben in
Israel aus den gemeinsamen grundsätzlichen Erziehungsidealen der
Moral und der menschlichen Qualität. Hierzu ist die Einstellung des
ersten Premierministers David Ben Gurion 14 Tage nach Ausrufung des
Staates und zu Beginn des Unabhängigkeitskrieges (1948) zu zitieren:
"Wir werden diesen Krieg nicht nur mit militärischen
Mitteln gewinnen, selbst nicht mit einer größeren Armee. Das
Wichtige sind Moral und intellektuelle Stärke."
Im Verlauf der letzten Jahre haben sich diese Werte
immer wieder, trotz der schwierigen Lebensbedingungen in Israel,
bewahrheitet.
1. Themen der Friedenserziehung, der Toleranz
gegenüber den Anderen und das gemeinsame Leben in einer
multikulturellen Gesellschaft der jungen Generation vom Kindergarten
bis hinein in den militärischen Dienst stehen im Vordergrund. Es
muss betont werden, dass sich auch junge Männer aus der arabischen
Bevölkerung freiwillig zum Militärdienst melden: Drusen, Beduinen,
Tscherkessen christliche Araber. Im letzten Monat (November 2003)
hatten sich sogar zwei arabische Mädchen zum Militärdienst gemeldet.
Auch die Kritik in Bezug auf die moralische
Rechtfertigung von Einsätzen, die in Israel von Uniformierten und
von Zivilisten ausgesprochen wird, ist ein starker Beweis für das
Bestehen eines demokratischen Staates, in dem “Moral und
intellektuelle Stärke” seiner Bevölkerung, auch innerhalb der Armee,
weiter gefördert werden. Vor allem beweist es auch, dass die Armee
in Israel nicht als “Heilige Kuh” betrachtet wird. Dennoch ist es
wichtig in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass innerhalb des
Militärs vor den verschiedenen Einsätzen Gespräche mit den
Offizieren stattfinden, manchmal auch mit den Soldaten, um die
Möglichkeit Angriffe auf unschuldige Menschen zu vermeiden bzw. zu
vermindern.
Aufgrund dessen werden auch Einsatzpläne geändert
oder sogar storniert. Im Gegensatz dazu, wenn man hier überhaupt
vergleichen kann, werden die Terroranschläge geplant und gezielt auf
israelische Kinder und die Zivilbevölkerung ausgeführt.
2. Da das Militär, als ein erzwungenes Muss, ca. 40%
des Staatsbudgets (Etat) verschlingt, hat es sich zu einer hoch
profilierten Ausbildungsstätte anderer Art qualifiziert. Als solche
macht es den potenziellen Nachteil anderer Lebensbereiche durch
Können und Erfindungsgeist wett. Insofern hat es auch Auswirkungen
auf den Arbeitsmarkt und trägt als "Volksmilitär" für die
"gesellschaftliche Verschmelzung" und für die Förderung der sozialen
Chancengleichheit innerhalb der vielschichtigen israelischen
Gesellschaft bei.
Zum Abschluss dieses Artikels möchte ich eine Antwort
während meiner letzten Vortragsreise in Deutschland (im Oktober
2003) zitieren. Unter anderem wurde ich öfter gefragt, ob man in
Israel nur die positiven Seiten an der Armee sähe. Meine Antwort
darauf ist, dass die israelischen Verteidigungskräfte, so lange sie
durch die Sicherheitsbedingungen für die Verteidigung des Staates
und seiner allgemeinen Bevölkerung erforderlich sind, eine
Wechselwirkung und Ergänzung mit dem Zivilleben haben.
Darüber hinaus versucht man in Israel immer wieder
(letztens anschließend an die Diskussion über den Staatshaushalt ),
ihren Umfang und ihre Wechselwirkung auf das Zivilleben durch
Verkürzung der Dienstzeit etc. zu verkleinern, da sich der
Wehrdienst auf das Leben der jungen Menschen auswirkt und sogar für
ihr ganzes weiteres Leben durchaus schädlicher Art sein kann. Sie
werden durch Probleme der Autorität, Gehorsamkeit und besonders
durch Traumata der Gewalterfahrungen, der physischen Verletzungen,
die u.U. das ganze Leben belasten oder verändern, und die Verluste
an Leben (Freunde, Kameraden, Familienangehörige) geschädigt.
Als Konsequenz daraus bemüht man sich in Israel sehr
stark um die Realisierung des Friedens und damit auch um die
Auflösung der Armee. Denn sie stützt sich nicht auf eine
ideologische Einstellung, sondern auf die gegebene Notwendigkeit.
Somit kann man der Existenz des Militärs in Israel zwei Bedeutungen
beimessen: IDF
- als Wehrdienst zur Sicherheit des Staates und des
Volkes, seien es Juden arabische Bürger oder andere
Bevölkerungsgruppen, gegenüber jeglicher Form von Angriffen und
gleichzeitig
- als Wehrdienst im Sinne des Anstrebens eines
Friedens, was in Israel das Ideal eines jeden Heranwachsenden und
Erwachsenen im wahren, realistischen, existenziellen Sinne ist.
Dr.
Jehudit Koznizky ist Vorsitzende einer Fakultät für Erziehung.
Universitätsdozentin für Philosophie, Erziehung und Psychologie,
referiert auf internationalen Konferenzen und veröffentliche
Artikeln zu israelischen, jüdischen und internationalen, humanitären
Themen.
Dieser Artikel erschien im Magazin "CAMPO de Criptana", Heft 4, I
Quartal 2004.
hagalil.com
15-01-2004 |