Wehrdienstverweigerung:
Elite-Kämpfer mit Gewissensbissen
Zur großen Empörung
israelischer Politiker verweigern Mitglieder einer Spezialeinheit
den Dienst in Palästinenser-Gebieten
Von Thorsten Schmitz
Drei Jahre nach Beginn der Intifada rumort es
in der israelischen Armee gewaltig. In einer beispiellosen Serie
haben Soldaten, Offiziere, Piloten und jetzt Mitglieder einer
Elite-Einheit einen Einsatz in den Palästinensergebieten oder
gezielte Tötungen von mutmaßlichen Terroristen abgelehnt. Die
jüngste Rebellion geht von 13 Reservisten der angesehensten
Armee-Einheit Sajeret Matkal aus.
In einem Brief an ihre Vorgesetzten,
Generalstabschef Mosche Jaalon und Premier Ariel Scharon, schreiben
die Soldaten: "Wir können nicht mehr beiseite stehen. Heute sagen
wir: Wir werden nicht helfen, Millionen von Palästinensern die
Menschenrechte vorzuenthalten. Wir werden nicht Schutzwall für die
Siedlungskampagne sein."
Die öffentliche Meuterei hat im politischen
Establishment einen Proteststurm ausgelöst. Die Befehlsverweigerung
gegen Militäroperationen in zivilen Zentren der besetzten Gebiete
konfrontiert Israels Gesellschaft mit der gerne verdrängten
Besatzungsrealität – und mit der Frage, ob es sich der jüdische
Staat weiterhin leisten kann, über ein anderes Volk zu herrschen.
Mitglieder rechts-religiöser Regierungsparteien verlangten die
Einleitung von Strafverfahren, Generalstabschef Jaalon forderte eine
Rücknahme des Briefs. Aber auch Politiker der Arbeitspartei
verdammten die rebellischen Elite-Soldaten und erklärten, politische
Äußerungen zersetzten die Armee. Bisher galt Kritik an der und aus
der israelischen Armee als Tabu.
Die Israeli Defense Forces (IDF), siegreich in
allen Kriegen gegen arabische Staaten, sind der ganze Stolz des
jüdischen Staates. Die Armee, die Frauen und Männer gleichermaßen
nach der Schule zum Dienst an der Waffe für mindestens zwei und drei
Jahre verpflichtet, sicherte stets die Existenz Israels. Seit Beginn
der zweiten Intifada indes wird immer öfter die Frage gestellt, ob
die Verteidigungsarmee womöglich als Besatzungsarmee missbraucht
werde. Vor zwei Jahren verweigerten Dutzende Soldaten den Dienst im
Westjordanland und Gaza-Streifen in einem "Offenen Brief der
Kämpfer", inzwischen sind es 570. Sie werden in den meisten Fällen
angeklagt und kommen für maximal einen Monat ins Gefängnis.
Im September schlossen sich 27 Reserve-Piloten der
Luftwaffe an. Sie weigerten sich, Bomben auf zivile Ziele in den
Palästinensergebieten abzuwerfen, sagten sie zur Begründung. Der
Protest kam nach der Liquidierung eines Hamas-Führers im
Gaza-Streifen. Beim Abwurf der 1000-Kilo-Bombe starben 16
Zivilisten, darunter neun Kinder und Jugendliche. Der
verantwortliche Kommandeur Dan Chalutz erklärte anschließend: "Ich
schlafe weiterhin ganz ruhig." Die bis dahin strikt staatstreuen
Luftwaffenpiloten wollten "der Welt zeigen, dass Scharon nicht ganz
Israel vertritt". Der Preis, den sie dafür zahlten, war hoch: Sie
wurden vom Armeedienst suspendiert. Einige der Piloten, die bei der
israelischen Fluggesellschaft El Al arbeiten, wurden wegen ihres
schlechten Gewissens von Passagieren beschimpft.
Dass sich nun die 13 Elite-Soldaten anschließen,
hat sich Generalstabschef Jaalon selbst zuzuschreiben. Vor wenigen
Wochen kritisierte er Scharons Politik der militärischen
Vergeltungsmaßnahmen und sagte, Israel dürfe nicht ein ganzes Volk
in Kollektivhaft nehmen. Es müsse den Palästinensern auch Hoffnung
geben. Die neue Befehlsverweigerung setzt Scharon unter Druck. Sie
offenbart den großen Unmut darüber, dass der israelische
Regierungschef seinen Worten von der Notwendigkeit eines
Palästinenserstaates entgegengesetzte Taten folgen lässt. Siedlungen
werden ausgebaut, neue Außenposten entstehen. So "verlieren wir
unsere Zukunft", formulierte es einer der Luftwaffenpiloten.
hagalil.com
23-12-03 |