Blut an den Händen:
Und wenn Israel Arafat tatsächlich anrühren sollte
Von David Grossmann
Was wird passieren, wenn Arafat aus der Region
entfernt oder erschossen wird, wie einige hohe Minister es vorschlagen?
Werden dann die Aussichten auf einen Frieden zwischen Israel und den
Palästinensern zunehmen? Wird der Terror plötzlich aufhören? Wird dann
ein palästinensischer Führer erscheinen, der sein Volk in einen
Friedensprozess führt, mit all den schmerzlichen Verzichten, die das
beinhalten würde?
Man muss ein Träumer sein, wenn man daran glaubt. Es
stimmt schon, Arafat ist ein problematischer Führer, dem man nicht
vertrauen kann und der sein Volk in eine Katastrophe gestürzt hat als
er, im Juli 2000, die Gelegenheit verpasste, aus den Angeboten Baraks in
einen zufrieden stellenden Friedensvertrag zu machen. (...)
Dennoch wäre es ein Fehler, sogar ein Verbrechen von
Israel, ihm nach dem Leben zu trachten. Richtig, Arafat hat Blut an den
Händen. Aber auch Sharon. Es gibt heute auf beiden Seiten kaum
Politiker, die kein Blut an den Händen haben, und letzten Endes, das
weiß jeder, werden die beiden Seiten sich gegenseitig die blutigen Hände
reichen müssen.
Ein Anschlag auf einen feindlichen Führer ist der Akt
einer Terrororganisation, nicht eines Rechtstaats. Ein Anschlag auf
Arafat würde das palästinensische Volk so demütigen, dass es die
Beziehungen zu dem Punkt zurückbringen würde, an dem sie sich vor allen
Kontakten und allen Kompromissversuchen befunden haben. Auch für eine
Fortsetzung der Verhandlungen würde ein Anschlag destruktiv sein, denn
jeder Führer nach Arafat müsste zunächst seine Treue zum Weg Arafats
unter Beweis stellen. (...)
Man muss kein politisches Genie sein um zu verstehen,
dass in einem nationalen Kampf wie dem zwischen Israel und den
Palästinensern nur ein palästinensischer Führer, der aktiv gegen die
Besatzung gekämpft hat, die Öffentlichkeit um sich vereinen kann,
einschließlich eines Teil von Hamas. Das ist der Grund, warum die
Palästinenser Arafat als ihr nationales Symbol betrachten…Eigentlich hat
das israelische Volk Ariel Sharon nach Ausbruch der Intifada aus
ähnlichen Gründen gewählt.
Und das darf man nicht vergessen: genau wie Sharon,
der entschlossene Kämpfer, der für seine harte Haltung zu den
Palästinensern bekannt ist, der einzige Führer ist, der heute von einem
Großteil der Israelis unterstützt werden wird, sollte er sich zu
schmerzlichen Verzichten entscheiden, so ist auch Arafat, und nicht
Abbas oder Karie, der einzige palästinensische Führer, der von seinem
Volk bei Verzichten unterstützt werden wird. (...)
Sharon weiß ganz genau, dass eine Verletzung der
Position Arafats die gemäßigten Palästinenser schwächen, die noch zu
einem Abkommen bereit sind, und die radikalen Kräfte enorm stärken
würde. Ein Anschlag auf Arafat würde (...) letzten Endes die
palästinensische Gesellschaft spalten und sie in einen internen,
blutigen Kampf stürzen. Dann würde Israel wirklich keinen Partner für
Verhandlungen mehr haben.
Aber- ist es nicht das, was Sharon eigentlich will?
Ist das nicht genau die Situation, die ihm helfen würde, wieder einmal
zu "beweisen", dass seine Haltung die richtige ist, so wie die Gewalt,
die er anwandte, immer wieder im Nachhinein seine Argumente
"bestätigte", die Lage weiter verschlechterte und jeden
Hoffnungsschimmer auslöschte, den Frieden immer weiter entfernte- und
damit auch die Notwendigkeit, Verzichte einzugehen?
Die Überlegungen Sharons sind kompliziert und
trickreich. Seit fast drei Jahren schafft er es, fast die ganze Welt
irrezuführen, vor allem jedoch die Israelis selbst. Mit ungemeiner
Schlauheit gelingt es ihm, viele von denen, die an ihm zweifeln, dazu zu
bringen, an seine relativ gemäßigten Erklärungen zu glauben. Er achtet
darauf, diese Erklärungen sofort wie ein Seiltänzer mit radikalen und
kämpferischen Maßnahmen zu "balancieren". Dieser Seiltänzer, diese große
Stratege, führte Israel in die schlechteste Lage seit vielen Jahren.
Wenn er jetzt- oder nach dem nächsten Anschlag- Arafat
angreifen sollte, dann wäre dies sein gefährlichster und
schwerwiegendster Schritt seit seinem "Besuch" auf dem Tempelberg im
September 2000. Sharon schreckt vor Provokationen dieser Art ja nicht
zurück, und er sieht sie als Instrument zur Vorantreibung seiner
politischen Ziele.
Das Feuer, das er immer wieder entfacht, nützt jedoch
wahrscheinlich nur einem Menschen, Sharon selbst, dessen wahres Ziel,
wie es sich in den letzten Jahren abzeichnet, es ist, seine politische
Karriere zu beenden, ohne in die Geschichtsbücher als der Mann
einzugehen, der den Palästinenserstaat gegründet hat.
hagalil.com
21-09-03 |