Sinkende Einwandererzahlen:
Der Strom versiegt
Trotz des Auszugs französischer
Juden nach Israel geht dort die Zahl der Einwanderer zurück
Von Thorsten Schmitz
Tel Aviv - Seit Beginn der Intifada vor knapp
vier Jahren ist die Zahl der Juden, die nach Israel einwandern,
drastisch gesunken. Nur die französischen Juden liegen nicht in
diesem Trend. Allein 2002 und 2003 machten jedes Jahr etwa 2000
Juden aus Frankreich "Alijah", was hebräisch ist und soviel wie
"Aufstieg ins Gelobte Land" meint.
In Israel und in Frankreich gibt es
unterschiedliche Angaben darüber, weshalb immer mehr französische
Juden sich für ein Leben jenseits des Mittelmeers entscheiden. Ist
es die Zunahme des Antisemitismus in Frankreich, die Regierungschef
Ariel Scharon vor kurzem dazu verleitet hatte, zum Entsetzen der
Regierung in Paris alle französischen Juden zur Auswanderung nach
Israel aufzurufen? Oder handelt es sich hierbei lediglich um eine
Entwicklung, die keinerlei politischen oder gesellschaftlichen
Krisen unterliegt? Nach Angaben der Jewish Agency, der im Auftrag
Israels agierenden Organisation für die Einwanderung jüdischer
Immigranten, wandern im allgemeinen jedes Jahr etwa 1000
französische Juden nach Israel aus. Die Zunahme in den Jahren 2003
und 2004 führt der Sprecher der Jewish Agency, Michael Jankelowitz,
auf die Zunahme von Antisemitismus in Frankreich zurück. Frankreichs
Botschafter in Israel, Gerard Araud, dagegen hält die Zunahme der
Einwanderung französischer Juden für zufällig. In der New York Times
warnte er davor, in die höheren Zahlen eine Flucht vor
Antisemitismus hinein zu interpretieren. Italien und Belgien
verzeichneten dieselbe Anzahl antisemitischer Zwischenfälle, die
jedoch weniger Aufmerksamkeit erhielten, weil dort weniger Juden
lebten.
Mit 600 000 Juden ist Frankreich das EU-Land mit
der größten jüdischen Bevölkerung. Erst am Mittwoch landeten 200
französische Juden in Israel, die von Scharon am Flughafen in einer
Begrüßungszeremonie in Empfang genommen wurden. Gegenüber
israelischen Fernsehreportern machten die Ankömmlinge
unterschiedliche Angaben über ihre Motivation, nach Israel
auszuwandern. Ein religiöser Jude sagte, er fühle sich in Paris
unwohl, mit einer Kippa herumzulaufen. "Das ist einfach zu
gefährlich", erklärte der Familienvater unter Hinweis auf den hohen
muslimischen Anteil in der Pariser Bevölkerung. Immobilienmakler in
Israel bestätigen den Trend, dass immer mehr französische Juden
Wohnungen in Israel kauften. Zum einen, um einen Zweitwohnsitz
einzurichten, und zum anderen, so der Jerusalemer Makler Alex Losky,
um sich einen Fluchtort zu sichern, falls antisemitisch motivierte
Gewalt in Frankreich drastisch zunehmen sollte. Der Zunahme
französischer Einwandererer steht ein drastischer Rückgang anderer
Immigranten gegenüber. Nach Angaben der Jewish Agency kamen im Jahr
2000 noch 60 000 Juden ins Land, 2002 waren es nur noch 35 000. Im
vergangenen Jahr sank die Zahl weiter auf nur noch 24 000. Das ist
die geringste Einwanderungsquote seit 1990.
Zögern im Osten
In diesem Jahr rechnet die Jewish Agency mit einem
weiteren Rückgang. Allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres
wurden nur 9000 Einwanderer nach Israel gezählt. Die traditionell
größte Einwanderergruppe sind Juden aus den Staaten der früheren
Sowjetunion. Die Emigration erreichte mit dem Zerfall des Imperiums
1990 ihren Höhepunkt: Damals zogen allein 200 000 russische Juden
nach Israel. Doch inzwischen zögern auch die Juden aus Russland, der
Ukraine oder Georgien vor einem solchen Neuanfang. Amos Lahat, der
im Auftrag der Jewish Agency die Immigration aus den früheren
Sowjetstaaten koordiniert und sich zur Zeit deshalb in Moskau
aufhält, sagte im Telefonat mit der SZ: "Zu unserem Leidwesen
entscheiden sich immer weniger russische Juden für ein Leben in
Israel." Kamen 2002 noch 18 500 Juden aus den Staaten der früheren
Sowjetunion, waren es im Jahr darauf nur noch 12 500. Auch für
dieses Jahr rechnet Lahat mit einem weiteren Rückgang. Dies habe
mehrere Gründe. Zum einen scheuten die potentiellen Einwanderer den
in ihren Augen archaisch anmutenden Kampf um Blut und Boden. Zwar
seien sie mit Terror vertraut, aber unwillig, diesen gegen den
Terror im Nahost-Konflikt zu tauschen. Ein anderer Grund sei die
schlechte wirtschaftliche Situation in Israel. Russische Akademiker
fänden mitunter höchstens Jobs in Supermärkten oder als Putzhilfen.
Viele entschieden sich daher für eine Auswanderung nach Deutschland.
Im Gegensatz zur israelischen Regierung versorge die deutsche
Regierung die Einwanderer mit Wohnungen und vergleichsweise
großzügigen finanziellen Hilfen. Das sei für viele russische Juden
der ausschlaggebende Grund, nach Deutschland umzusiedeln.
Der israelische Regierungschef hat die
Einwanderung zu seinem persönlichen Programm erhoben. Angesichts der
demografischen Entwicklung verfolgt Scharon das Ziel, in den
kommenden zehn Jahren eine Million Juden zur Einwanderung nach
Israel zu bewegen. Wegen der höheren Geburtenrate in der
palästinensisch-arabischen Bevölkerung in Israel, dem Westjordanland
und dem Gaza-Streifen sagen Demoskopen voraus, dass in zehn oder 20
Jahren in den Gebieten mehr Muslime leben werden als Juden. Auch
weil das Ziel, eine Million Juden nach Israel zu holen, sehr hoch
gesteckt ist, hat sich Scharon für ein Ende der Besatzung des
Gaza-Streifens entschieden. Dessen 1,4 Millionen Palästinenser
tauchen dann künftig nicht mehr in der Statistik auf.
hagalil.com
02-08-04 |