Ärzte-Training in
Israel:
Übung beendet, Patient tot
In Israels größter
Klinik übt das Personal den Einsatz nach einem Chemiewaffen-Angriff
Von Susanne Knaul
Tel Aviv -
Fünf Patienten, davon zwei in
Krankenhauskleidung, stürmen in das Behandlungszimmer. "Doktor, ich
kann nichts sehen", ruft einer und berichtet von einer Explosion
"direkt unter dem Balkon". Eine junge Frau zerrt hysterisch am
Kittel eines Arztes, eine zweite sitzt hustend auf einem Stuhl und
klagt über Bauschmerzen, während ein schwitzender älterer Mann mit
Schaum vor dem Mund in Ohnmacht fällt.
Die Hektik in Israels größtem
Krankenhaus Scheeba - Tel Hashomer ist gespielt. 50 Ärzte,
Schwestern und Sanitäter üben den Ernstfall eines Angriffs mit
atomaren, chemischen und biologischen Kampfstoffen. "Wir wissen
nicht, was wir zu erwarten haben", meint Krankenhausdirektor Seew
Rotstein, "aber wir wollen auf alles vorbereitet sein." Schon an
"der Körpersprache von Saddam Hussein" sei erkennbar, dass "Israel
mit dem Schlimmsten rechnen muss".
Unter dem wachsamen Auge ihrer Ausbilder
behandeln die Mediziner die leicht Verletzten, die, im Fall eines
Angriffs, nach Vermutung der Ärzte knapp die Hälfte der zu
betreuenden Fälle ausmachen werden. Ein Mann mit schwerem
Erstickungsanfall, der zittert und versucht, sich zu erbrechen, wird
auf einer Bahre ins Nebenzimmer gefahren. Im Nachbarbett liegt eine
Plastikpuppe mit abgerissenem Bein. Von draußen dringt das Geheul
von Sirenen, die das Kommen weiterer Ambulanzen mit noch mehr
Verletzten ankündigen.
Eine Gruppe von Ärzten in
ABC-Schutzanzügen und Gasmasken nimmt die bereits dekontaminierten
Patienten in Empfang. "Es gibt Raum für Verbesserungen", resümiert
der Sanitäter Schai Solomon die Arbeit seiner "Schülerin", einer
Schwester aus dem Krankenhaus Rambam in Haifa. Während der
computersimulierte Blutdruck ihres Plastikpuppen-Patienten stetig
absank, prüfte sie noch die Listen der möglichen Medikation.
"Nur nicht in Haifa sein, wenn die
Raketen kommen", betet der Schauspieler Joram Halevi, der einen
Schwerverletzten simuliert. "Das Team, das mich behandeln sollte,
hat mich gleich zweimal sterben lassen." Sein Kollege Hillel Schimon
spricht von einer "heiligen Arbeit" der Schauspieler. "Jeden Fehler,
den ein Arzt bei mir macht, wird er nicht wiederholen. Wer weiß, wie
viele Menschenleben ich auf diese Weise schon gerettet habe."
Angesichts der wenig vorbereiteten
Mediziner verwundert die Eile des Premierministers Ariel Scharon,
wenn er an die USA appelliert, den Militärschlag gegen Irak, "wenn
überhaupt, dann schnell" auszuführen. Insgesamt wurden in Tel
Hashomer bislang 550 Mediziner für den Einsatz nach einem Angriff
mit chemischen und biologischen Kampfstoffen trainiert. Sie hatten
nur einen Tag für ihre Fortbildung, was kaum ausreicht, um alle
Szenarien durchzuspielen. So gab es keinen einzigen Patienten bei
der Übung, der erkennbar mit Pocken infiziert war.
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31-01-2003 |