Israels Premier bereitet die endgültige Abkehr von den
Palästinensern vor:
Scharons Totenrede
Von Thorsten Schmitz
Die Enttäuschung in Israel und in der
US-Regierung über den neuen palästinensischen Regierungschef Achmed
Kurei steigt mit jedem Tag. Kureis Versuch, einen einjährigen
Waffenstillstand mit den palästinensischen Terrorgruppen Hamas und
Islamischer Dschihad auszuhandeln, ist vergangene Woche gescheitert.
Kurei besitzt auch nicht die Befehlsgewalt über die
palästinensischen Sicherheitsdienste – wie sein Vorgänger gilt er
als Lakai von Palästinenserpräsident Jassir Arafat.
Israels Regierungschef Ariel Scharon ist von
Kureis Tatenlosigkeit nicht überrascht. Nie hat er einen
unabhängigen palästinensischen Ministerpräsidenten erwartet. Nur
US-Präsident George Bush zuliebe hat Scharon nun in einer Aufsehen
erregenden den Friedensfahrplan hochgelobt – in Wahrheit trug er ihn
zu Grabe. Das Festhalten der Palästinenser an der Gewalt und das
Unvermögen palästinensischer Politiker, konstruktiv zu arbeiten,
nutzt Scharon für seinen hoffnungsleeren Plan.
Dieser Plan funktioniert nach dem Prinzip
Zuckerbrot und Peitsche und geht davon aus, es könne eine gute
Besatzung geben. Scharon verabschiedet sich von den Palästinensern
und versüßt die Trennung mit dem Versprechen, den Alltag der
Zivilbevölkerung zu erleichtern, indem er etwa Straßensperren
aufhebt oder die wirtschaftliche Zusammenarbeit befördern will. Aber
das hat er schon oft versprochen und schon oft nicht eingehalten.
Wichtiger als alles andere sind Scharon im Moment
ohnehin Umfragen. Seine Popularitätswerte sinken, weil er die
Intifada verwaltet, nicht löscht. Zudem entwerfen
Oppositionspolitiker alternative Friedenspläne wie die Genfer
Initiative, während Scharon auf bloße militärische Bekämpfung der
Intifada setzt. Scharon handelt in der Annahme, dass mit den
Palästinensern ein Interimsabkommen frühestens in zehn Jahren
erzielt werden kann. Außerdem muss er davon ausgehen, dass Juden im
Jahr 2010 angesichts der Geburtenrate der Palästinenser und der
israelischen Araber in der Minderheit sein werden.
Um zu verhindern, dass Israel zu einem
Apartheidsstaat wird, in dem eine jüdische Minderheit über eine
muslimisch-arabische Mehrheit herrscht, kündigte Scharon jetzt eine
neue Sicherheitsgrenze an, sollte Kurei scheitern. Doch neu ist
diese Grenze nicht. Längst führt der Sperrzaun von über 140
Kilometer Länge durch das westliche Westjordanland. Auch wenn
Scharon von einem „vorübergehenden“ Bau spricht – die gigantische
Investition von einer Milliarde Dollar und der Verlauf des Zauns,
der zum Teil tief in palästinensisches Gebiet hinein schneidet,
haben bleibenden Charakter. In seiner Rede hat Scharon also die
Annexion von Teilen des Westjordanlandes in Aussicht gestellt. Ein
paar jüdische Siedlungen sollen "verlegt", nicht aufgelöst werden,
während der Sperrzaun weitergebaut wird.
Wer mit eigenen Augen im Westjordanland den Bau
des Sperrzauns sieht, der begreift sehr schnell, dass Israel
irreversible Fakten schafft. Scharons Palästinenserstaat bestünde
aus unzusammenhängenden Kantonen. Im Westjordanland werden Straßen,
Brücken und Tunnel errichtet, mit denen diese Kantone verbunden
werden sollen (und die nach Belieben von der israelischen Armee
geschlossen werden könnten).
Die Palästinenser haben es sich freilich auch
selbst zuzuschreiben, dass Israel von der Idee Abstand genommen hat,
gemeinsam mit ihnen in absehbarer Zeit einen Frieden vereinbaren zu
können. Vor Scharon gab es Offerten und Chancen, die Arafat nicht
wahrgenommen hat, weil er sich einen Staat blutig erkämpfen möchte –
einen Staat, dessen Verfassung zum Beispiel jener Arafat bis heute
nicht skizzieren will. Wären die Palästinenser schlau und Kurei
mutig genug, würden sie Scharons Trennungsplan durchkreuzen, indem
sie endlich dem Terror abschwören und die Hamas und den Islamischen
Dschihad zerstören. Die Welt wartet darauf.
hagalil.com
22-12-03 |