MEMRI Special Dispatch – 11. Oktober 2002
Leserbrief eines Vater in al-Hayat:
"Wer gibt das Recht, unsere Jugend in den Tod zu treiben?"
Die in London erscheinende Tageszeitung
al-Hayat veröffentlichte kürzlich den Leserbrief eines Vaters, dessen
Sohn als Selbstmordattentäter einen Anschlag in einer israelischen Stadt
ausführte. Abu Sabr M.G. wendet sich mit seinem Brief an die
Verantwortlichen der verschiedenen palästinensischen Gruppierungen und
bestreitet die Legitimation von Erklärungen, mit denen politische und
religiöse Autoritäten Jugendliche zu Selbstmordanschlägen aufrufen.
Der Brief erschien am 01. Oktober 2002:
„Ich finde keine passenderen Worte als die
Worte Gottes, um diesen Brief, den ich mit schmerzvollem Herzen und
weinenden Augen schreibe, zu beginnen: ‚Gebt um Gottes Willen, und werft
euch nicht mit euren eigenen Händen ins Verderben.’
Diesen koranischen Vers, um Gottes Willen zu
geben und von Taten abzusehen, die uns ins Verderben stürzen, müssen wir
heute mehr als zu irgendeiner Zeit zuvor befolgen.
Vor vier Monaten verlor ich meinen ältesten
Sohn, nachdem ihn seine Freunde verführten und ihm den Weg des Todes
schmackhaft machten. Sie überzeugten ihn, sich in einer Stadt in Israel
in die Luft zu sprengen. Mit dem Zerschmettern des reinen Körpers meines
Sohnes zerschmetterten die letzten Züge des Lebens, der Hoffung und des
Wunsches zu leben. Seit jenem Tag wurde ich zu einem Schatten, der über
den Boden wandert. Nach der Zerstörung des Hauses, in dem wir lebten,
wurden meine Frau und ich, meine anderen Söhne und Töchter zu
Obdachlosen.
Der letzte Halm, der mein Rückgrat brach, war
zu erfahren, dass die Freunde meines ältesten Sohnes, des Märtyrers,
begannen, sich wie die Schlangen um meinen anderen Sohn, der nicht älter
als 17 Jahre ist, zu wickeln, um ihn auf den selben Pfad zu lenken, den
sein Bruder gegangen war - sich in die Luft zu sprengen, um seinen
Bruder zu rächen, schließlich habe er ja nichts mehr zu verlieren.
Mit dem verwundeten Herzens eines Vaters, der
das Teuerste in seinem Leben verloren hat, wende ich mich hier an die
Führer der palästinensischen Fraktionen, und an deren Spitzen an die
Führer und Scheichs der Hamas und des Islamischen Djihads, die immer
mehr Söhne Palästinas mit ihren religiösen Urteilen und Erklärungen in
den Tod treiben.
Sie tun dies, genau wissend, dass die
Entsendung dieser Jugendlichen, um sich in Israel in die Luft zu
sprengen, keinen Feind abschrecken und kein Land befreien wird. Im
Gegenteil, gerade nach Operationen wie diesen, verstärken sich die
Angriffe, die Tötungen von Zivilisten, die Zerstörung von Häusern, die
Wiederbesetzung der palästinensischen Städte und Dörfer.
Dann erscheinen diese Führer und deren
Sprecher erneut [in der Öffentlichkeit] und versprechen dem Feind noch
größere Vergeltung und Rache für ihre barbarischen Taten. Sie treiben
noch mehr Jugendliche in den Tod.
Ich frage, in meinem Namen und im Namen eines
jeden Vaters und einer jeden Mutter, die von der Nachricht, ihr Sohn
habe sich selbst gesprengt, heimgesucht wurden: Mit welchem Recht
schicken diese Führer junge Menschen, selbst jugendliche Jungs in der
Blüte ihrer Jugend, in den Tod? Wer gab die religiöse oder irgendeine
andere Legitimation, unsere Kinder zu verführen und unsere Jugend in den
Tod zu treiben?
Hat das Leben
der Kinder einen Preis?
Ja, ich rede von Tod, und nicht von
Märtyrertum. Es anders zu benennen und zu verschönern, oder der Familie
des Sohnes, der gegangen ist und nie zurückkommen wird, ein paar Tausend
Dollar zu bezahlen, ändert nicht am Schock und kann das Ergebnis nicht
ungeschehen machen. Diese Gelder, die den Familien der Märtyrer gezahlt
werden, verursachen mehr Schmerz als dass sie heilen würden. Diese
Gelder lassen sie fühlen, als ob sie einen Preis für das Leben ihrer
Kinder erhielten. Aber hat das Leben der Kinder einen Preis? Ist der Tod
das einzige Mittel geworden, um Rechte zurück zu erhalten, um das Land
zu befreien? Wäre dies so, warum hat nicht ein einziger von jenen
Scheichs, die um die Veröffentlichung der schärfsten Verlautbarung
streiten, seinen Sohn geschickt? Warum hat kein einziger jener Führer,
die sich in den Sendungen der Satellitenprogramme nicht bremsen können,
ihre Freude und Erregung zu zeigen, jedes Mal wenn ein palästinensischer
Junge oder ein palästinensisches Mädchen aufbricht, sich selbst in die
Luft zu sprengen, ihre Kinder geschickt?
Ich sage: Warum haben wir bis zu diesem Moment
nicht einen ihrer Söhne oder eine ihrer Töchter gesehen, einen
Sprengstoffgürtel tragend und in Taten, und nicht in Worten, das
erfüllend, was ihre Väter Tag und Nacht predigen? Ist das böse Spiel des
‚Djihads’, des ‚zum Märtyrer Werdens’ und des Todes auf eine bestimmte
Gruppe beschränkt? Sind die Söhne und Töchter der Elite von dem
ausgenommen, wozu die Söhne und Töchter der Allgemeinheit getrieben
werden? Wie lange wird dieses geduldige Volk fortfahren, dass Blut ihrer
Söhne für eine idiotische Politik zu bezahlen, deren verheerendes
Scheitern bei der Befreiung auch nur eines kleinen Teiles der geraubten
palästinensischen Rechte bewiesen ist?
Was die Seele am tiefsten sticht, das Herz am
meisten schmerzt, die Augen am stärksten weinen lässt, ist zu sehen, wie
einige dieser Scheichs und Führer – Mahmud al-Zahar, Ismail Abu Shanab,
Abd al-Aziz al-Rantisi - es umgingen, ihre Söhne ins Schlachtfeld zu
schicken.
Als die Intifada ausbrach, schickte al-Zahar
seinen Sohn Khaled in die USA, Abu Shanab seinen Sohn Hassan nach
Großbritannien. Und die Ehefrau al-Rantisis lehnte es ab, ihren Sohn
Muhammad auszuschicken, sich selbst in die Luft zu sprengen. Stattdessen
schickte sie ihn in den Irak, damit er dort sein Studium beenden könne.“
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