
Von Islam und Politik:
"Es gibt eine Tradition der
Kritik"
Der Publizist Tariq Ali über die
aktuelle Krise von Säkularismus und Demokratie in der arabischen
Welt, die Schuld des Westens an der weltanschaulichen Konfrontation
sowie die verschlungenen Wege der Generation von 1968
Interview Daniel Bax
taz: Herr Ali, in Ihrem neuen Buch
"Fundamentalismus im Kampf um die Weltordnung" zeichnen Sie ein Bild
islamischer Geschichte, das auf die Tradition von Toleranz und
Kritik abhebt: Werte, die in der arabischen Welt derzeit nicht
gerade hoch im Kurs stehen, oder?
Tariq Ali: Das war
der Grund, warum ich das Buch geschrieben habe: Um den Islamisten zu
zeigen, wie reich ihre Kultur einst war - reich an Häresie, reich an
Widerspruch, reich an Skeptizismus. Und um ihnen den Widerspruch
deutlich zu machen, einen Islam verteidigen zu wollen, der viel
rückständiger ist, als er in den ersten sechshundert Jahren nach
Mohammed gewesen ist. Aber auch, um zu zeigen, dass die
Veränderungen, die der Islam erfahren hat, eine direkte Folge der
Politik des 20. Jahrhunderts sind. Wenn Sie mich fragen, wer den
politischen Islam kreiert hat, dann sage ich: Die USA haben ihn
kreiert, als Bollwerk gegen ihre kommunistischen Feinde, und dann
ist das Ganze außer Kontrolle geraten.
Interne Gründe halten Sie nicht für maßgeblich?
Es gab auch interne Einflüsse, aber sie wären
politisch nicht so durchgeschlagen, hätten die USA nicht die
rückständigsten und reaktionärsten Elemente im Islam unterstützt, so
wie die Wahhabiten in Saudi-Arabien. Die USA halten dieses
Wahhabitenmonster am Laufen, und der Wahhabismus dominiert den
Islam: einen Islam, der durch Petrodollars angefeuert wird.
Für wie stabil halten Sie die gegenwärtige
Lage?
Ich glaube, wenn die USA im Irak einmarschieren,
dann könnte das Regime in Saudi-Arabien stürzen, weil die
Bevölkerung das nicht tolerieren würde. Die westeuropäischen Länder
wissen das, darum sind sie gegen einen Einmarsch. Denn wenn
Saudi-Arabien wankt, dann gerät das Öl in Gefahr und damit die
Weltökonomie. Viel hängt von der Politik der kommenden zwölf Monate
ab. Aber ich weiß, dass es viel Opposition gibt in Saudi-Arabien,
religiös wie nichtreligiös: Die Leute haben einfach genug von diesem
Regime.
Was aber käme danach?
Wer weiß? Das ist schwer vorherzusagen.
Sie sagen, der Islam braucht eine Reformation.
Danach sieht es derzeit aber gar nicht aus.
Das stimmt, aber die Lage hat sich nach dem 11.
September geändert: Sogar in Pakistan veröffentlichen die Zeitungen
Artikel, die sich sehr kritisch mit dem islamischen Fundamentalismus
auseinander setzen. Die Leute realisieren, wie kritisch die
Situation geworden ist. Das wird, so mein Eindruck, nicht
nachlassen.
Im Westen wünscht man sich mehr Selbstkritik …
Ja, aber sie halten auch die meisten dieser Regime
in der arabischen Welt am Leben. Die Regime in Saudi-Arabien und
Ägypten würden nicht existieren, wenn der Westen sie nicht
unterstützen würde. Der Westen kann nicht beides haben: diese
Diktaturen unterstützen und sich dann beklagen, dass es nicht genug
Selbstkritik gibt.
Es gibt eine Tradition der Kritik in der
arabischen Welt, aber sie ist in den Untergrund gegangen, sie kommt
in der Poesie und in der Literatur zum Ausdruck. Sie wird auch
wieder auf dem Feld der Politik hervortreten, wenn man den Menschen
eine Chance gibt. Die europäische Kritik hat keinen Effekt. Mein
Buch dagegen wird als ein Buch gesehen, das von innerhalb der
islamischen Welt kommt: Das ist sehr wichtig.
In einem arabischen Land hätten Sie Ihr Buch
aber wohl kaum schreiben können, oder?
Nein - obwohl ich weiß, weil ich viel in diesen
Ländern reise, dass Millionen Menschen dort mit meiner Sichtweise
übereinstimmen. Aber sie haben zu viel Angst, es zu sagen. Ich
möchte nicht anmaßend klingen, aber ich glaube, dass mein Buch einen
Anstoß für Debatten geben wird: Die Leute werden es lesen.
Wo wird es auf Arabisch veröffentlicht?
Es wird wohl in Beirut erscheinen, und sich dann
allmählich verbreiten, auch klandestin.
Ist der Islamismus, der auf den Westen wie ein
Atavismus wirkt, nicht gerade ein Resultat sozialen Wandels? Ist er
nicht auch ein Klassenkampf, der im Gewande eines Kulturkampfs
daherkommt?
Ja, natürlich. Wenn man sich die Rhetorik dieser
islamischen Radikalen ansieht, dann greifen sie die reichen Eliten
ihrer Länder an, und dann machen sie es zu einer Frage der
Identität: Ihr seid die Lakaien des Westens.
Aber die wirkliche Kluft in der arabischen Welt
herrscht nicht zwischen den Religionen, sondern zwischen den
Klassen: Der Mehrheit der Bevölkerung, die arm ist, werden die
Möglichkeiten und Chancen auf Bildung und Wohlstand vorenthalten,
während die reichen Eliten ins Ausland reisen und die beste
Ausbildung genießen. Das ist die wahre Teilung der islamischen
Gesellschaften, sie kreiert die anderen Teilungen.
Die Islamisten machen allerdings keinen
Unterschied zwischen säkularen Intellektuellen, die den Regimen
kritisch gegenüberstehen, und den Regimen selbst. Und ein großer
Teil der säkularen Linken ist nun mal - wie Sie selbst - stets ein
Teil der Elite gewesen.
Das stimmt. Aber es gibt in allen Schichten der
Gesellschaft säkulare Stimmen, und sie sind immer noch da.
Üben militante Islamisten wie Bin Laden nicht
auf viele junge Leute eine enorme Faszination aus? Er war immerhin
der Erste, der die USA empfindlich zu treffen vermocht hat.
Ja, aber was war der Effekt? Afghanistan wurde
rekolonisiert, Israel bedrängt die Palästinenser. Was also hat der
11. September der arabischen Welt gebracht? Es ist die Politik des
Spektakels, großes Theater. Aber wenn die Politik zurückkehrt, sieht
man den Schaden, den es angerichtet hat.
Sie entstammen einer Linken, die noch sehr
internationalistisch gedacht hat. Heute gelten Sie, aufgrund Ihrer
Herkunft, als Mittler zwischen Ost und West. Wo würden Sie sich
selbst verorten?
Ich sehe mich selbst als Teil der kosmopolitischen
Linken, ich habe Freunde in den meisten Teilen der Welt. Der
Generation von 1968 anzugehören, ist, wie einem Club anzugehören:
Man fühlt sich nicht einer bestimmten Nationalität zugehörig.
Was hat, Ihrer Meinung nach, die Entfremdung
zwischen Ost und West bewirkt?
Die Globalisierung hat größere soziale
Ungleichheiten produziert, als sie die meiste Zeit des 20.
Jahrhunderts hindurch bestanden haben. Wenn ich dann Politiker wie
Blair im Fernsehen reden höre, der wie ein grinsender Discjockey
über die Wunder des Internets schwadroniert, frage ich mich: In
welcher Welt lebt er eigentlich? Weiß er nicht, dass für den größten
Teil der Welt das Internet das Privileg einer sehr kleinen Elite
ist? Diese Leute leben in einer Traumwelt. Sie sind ihrer eigenen
Rhetorik verfallen und glauben, dass die Globalisierung nach unten
durchsickert und die ganze Welt reicher wird. Das ist leider
überhaupt nicht so.
Was ist von 1968 geblieben?
Wir hatten in gewisser Weise Glück, jung zu sein
in einer Zeit, in der die ganze Welt an der Schwelle zur Veränderung
zu stehen schien. Das hat uns politisiert. Aber immer, wenn es eine
Zeit der Niederlage gibt, ändern sich die Menschen, weil sie eine
Wahl über ihren weiteren Lebensweg treffen müssen. Und es ist ein
echtes Phänomen: Es gibt, allein im britischen Kabinett, drei
Mitglieder, die in einer trotzkistischen Gruppe waren, und in ganz
Europa ist das so. Ich treffe oft zufällig auf Leute, die ich noch
aus den Sechzigern kenne, und wenn ich sie frage, was sie machen,
sagen sie mir: Oh, ich bin Minister in Schweden. Da ist eine Kluft
zwischen uns. Sie haben sich entschieden, ihren Frieden mit dem
Establishment zu machen.
In Pakistan, in Ägypten oder in Algerien dagegen
wandelten sich viele zentrale Führer der Maoisten zu islamischen
Fundamentalisten. Der Weg vom Großen Vorsitzenden Mao zu Allah
scheint nicht so weit gewesen zu sein (lacht).
Sie waren immer politisch aktiv. Warum haben
Sie in den 90ern begonnen, historische Romane zu schreiben?
Auslöser war der Golfkrieg und die Debatten, die
ihm folgten. Ich fand, der einzige Weg, mit der Ignoranz im Westen
gegenüber der arabischen und islamischen Welt umzugehen, war durch
Fiktion. So schrieb ich mein erstes Buch, "Der Schatten des
Granatapfelbaums". Die Resonanz darauf war phänomenal, besonders in
Deutschland. Das hat mich ermutigt, weiterzumachen.
Glauben Sie, dass Literatur etwas verändern
kann?
Sie kann zumindest zum Nachdenken anregen. Ich
erinnere mich, wie nach einer Lesung in München einmal ein bekannter
CDU-Politiker auf mich zukam und mir sagte, er sei, nachdem er mein
Buch gelesen hätte, mit seiner Frau nach Andalusien gefahren, um
sich die Orte anzusehen, die ich beschrieben habe. Das hat mich sehr
berührt. Denn im kleinen Maßstab schafft es Verständnis.
Haben Sie nicht manchmal selbst das Gefühl, von
den jungen Muslimen der zweiten Generation entfremdet zu sein? Dass
Sie deren religiösen Eifer einfach nicht verstehen?
Die Religion ist für sie eine Form, ihre Identität
zu wahren und zu zeigen: Wir sind anders. Um zu zeigen: Wir wollen
uns nicht völlig vom Konsum vereinnahmen lassen.
Ich bin kein Teil dieser Generation. Aber was die
Basis für einen Dialog schafft, ist die Geburt einer neuen
Antikriegsbewegung in Europa. Wir hatten sehr große Demonstrationen
in Großbritannien: Junge und alte Muslime haben sich dort mit
Pazifisten, Liberalen, Grünen und radikalen Linken getroffen, sind
ins Gespräch gekommen und haben sich geöffnet. Sie werden davon
beeinflusst. Und sie hören mich bei diesen Demonstrationen sprechen.
Sie stimmen mit einer Menge von dem, was ich sage, überein und sie
fragen sich, wie ich so etwas sagen kann, wo ich doch überhaupt
nicht gläubig bin. Aufgrund meiner Herkunft kann ich mit beiden
Welten kommunizieren. Aber sie reden nur mit mir, weil sie wissen,
dass ich sehr kritisch gegenüber den USA bin. Andere Intellektuelle
dagegen, die einst kritisch waren, sind jetzt eingeknickt. Und in
den USA gibt es jetzt eine Mainstreamlinke, die mit dem Argument des
Universalismus westliche Interessen verteidigt.
Sehen Sie da Ansätze für neue Entwicklungen?
Ich bin da zuversichtlich, die momentane Situation
ist sehr im Fluss. Der 11. September hat das Interesse an
Weltpolitik neu geweckt: Viele Medien, die lange nichts mehr über
die Welt gebracht haben, sind plötzlich wieder interessiert. Und
dann gibt es die globalisierungskritische Bewegung. Es ist nicht das
Gleiche wie in den Siebzigern, natürlich. Aber es gibt wieder ein
neues Interesse an Weltpolitik.
In Deutschland merkt man davon wenig …
Die deutschen Universitäten haben sich in einen
sozialen Konservatismus zurückgezogen. Aber in den USA sind die
Debatten auf dem Campus immer sehr aufregend und intensiv, in
England ist es ähnlich. Und ich war kürzlich in Istanbul und Ankara,
an der dortigen Fakultät für Politikwissenschaften, und es waren 700
Leute da. Es hieß, es hätte kein so großes Meeting gegeben seit den
Siebzigern. Es bewegt sich also etwas.
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12-12-2002 |