Die Internetseite
Islam-online beschäftigte sich
kürzlich mit dem Thema Homosexualität - in den meisten Gesellschaften
des Mittleren Ostens weiterhin ein Tabuthema. Islam-online möchte nach
eigenem Bekunden einen "lebendigen und modernen Islam" präsentieren und
dabei die "Prinzipien von Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie und
Menschenrechten" ebenso stärken wie ethische und moralische Werte auf
der Ebene von Individuum, Familie und Gemeinschaft.
Ideologisch repräsentiert
Islam-Online das Spektrum der islamistischen Muslimbrüder. Ein Komitee
von Islamgelehrten unter der Leitung von Yusuf Qaradawi, einer der
zentralen Figuren in der Bewegung der Muslimbrüder, soll dafür Sorge
tragen, dass bei Islam-Online nichts gegen die "festgelegten Prinzipien
des Islamischen Rechts" verstößt. Ihren Lesern und LeserInnen aus aller
Welt bietet die Site die Möglichkeit, ein Expertengremium per mail
direkt um Rat in persönlichen, religiösen und politischen
Angelegenheiten zu fragen. So fragte ein Leser aus den USA nach einer
"islamischen Bewertung von Homosexualität". Für Islam-Online antwortete
ihm am 16. Juni 2003 Reda Bedeir, Vorsitzende des Fachbereichs Englisch
an der Azhar-Universität und Englisch-Dozentin an der American Open
University in Kairo.
Frage: Wie beurteil der Islam
Homosexualität? Hier in Amerika wird Homosexualität allgemein
akzeptiert. Ich würde gerne mehr darüber wissen, damit ich anderen die
Wahrheit nahe bringen kann.
Reda Bedeir:
Salaam,
Vielen Dank für Deine Frage. Es ist tatsächlich so, dass Homosexualität im
Islam als Sünde gilt. So weit es den Islam betrifft gilt Homosexualität
als grundlegender Fehler, insbesondere da Menschen nicht von Natur aus
homosexuell sind. Menschen werden durch ihr Umfeld homosexuell.
Besonders entscheidend ist
dieses Umfeld während der Pubertät. Vorstellungen, Ideen und seltsame
Träume sind Symptome verwirrter Versuche, die neuen und ungehemmten
sexuellen Begierden zu verstehen. Diese werden schnell als Beleg für die
sexuelle Ausrichtung interpretiert. Diese Schlussfolgerungen erhalten
noch mehr Gewicht, wenn [Jugendliche] reale sexuelle Erfahrungen mit dem
gleichen Geschlecht machen.
Menschliche Instinkte können
dem Willen unterworfen werden. Sexualität basiert auf der Entscheidung
für eine Identität, aus der bestimmte Handlungsweisen und schließlich
sexuelle Fantasien resultieren. Menschen sind auf besondere Art und
Weise dazu befähigt, ihre Gedanken zu kontrollieren, manche
beizubehalten, andere zu verworfen. Wenn dieser freie Wille allerdings
nicht anerkannt wird, kann man sich leicht dazu hinreißen lassen, die
Selbstwahrnehmung als Tatsache und nicht als mögliche Wahl zu
betrachten.
[...] Der Satz 'Ich bin faul',
zum Beispiel, könnte von jemanden für wahr gehalten werden. Wenn der,
der dies denkt, den ganzen morgen im Bett herumliegt, wird die Faulheit
[für ihn schließlich] zum Beweis für die Aussage ‚Ich bin faul’. Wenn er
sich immer wieder entscheidet dies zu tun, verfestigt sich der Beweis
und die Idee wird in seiner Identität festgeschrieben.
Dies kann sogar physische
Erscheinungsformen annehmen und einige physiologische und psychische
Veränderungen für sie oder ihn bedeuten. Dieser Prozess kann bei jedem
Selbstbild, egal ob gut oder schlecht, auftreten, das hauptsächlich auf
Beweisen, die aus eigenen Taten resultieren, basiert. Dieses Bild könnte
sein: 'Ich bin schwul' oder 'Ich bin zufrieden' oder 'Ich liebe es, viel
zu essen'.
Die Wahrheit ist – man ist das,
was man selbst gewählt hat. Man tut das, wofür man sich entschieden hat
und man denkt das, wofür man sich entschieden hat. Es mag eine große
Zeitspanne zwischen den Entscheidungen und den Auswirkungen liegen, aber
jeder kann sich selbst ändern. Es gibt geheilte Ex-Drogenabhängige,
geheilte Ex-Spielsüchtige und Ex-Homosexuelle. Bei all diesen Fehlern
ist die Vermeidung tausendmal besser und viel leichter als die Heilung.
Es gibt die Vorstellung, dass
Homosexualität genetisch vererbbar ist und dass diejenigen, die diese
‚Prädisposition’ haben, Opfer und keine Sündigen sind. Sicherlich gibt
es andere Sachen, die wahrscheinlich genetisch vererbbar sind und auf
eine Prädisposition zurückgehen, wie zum Beispiel Spielsucht und
Alkoholismus.
Es wurde auch schon behauptet,
dass Untreue in den männlichen Genen festgeschrieben ist! Aber das
bedeutet nicht, dass dies richtig ist und verhindert nicht, dass dies
als sündig angesehen wird. Im Islam wird der Genuss von Alkohol immer
noch als sündig betrachtet, selbst wenn man eine Präsdisposition zum
Alkoholismus hat.
Der Trick besteht darin, und
das wird Dir jeder Ex-Alkoholiker bestätigen, dass sobald man trocken
ist, man niemals wieder einen Tropfen anrühren darf. Das ist ein langer
und beschwerlicher Weg, aber Dein Leben ist besser ohne. Sobald ein
bestimmtes Verlangen eng mit deiner Identität verbunden ist und Du auf
irgendeine Weise Gefallen daran findest, wird es immer wieder einfach
sein, dahin zurückzukehren – man ist unfähig, die Befriedigung zu
vergessen.
Die schwierige Aufgabe besteht
darin, sich an die schlechten Seiten dieses Verlangens zu erinnern, wie
zum Bespiel einen Kater, das verlorene Geld, den Selbsthass oder einfach
nur das Gefühl von Verlust über das, was man verpasst. Auch wenn Du dich
zum Guten veränderst, solltest Du dich daran erinnern. [...]
Der Koran und Homosexualität
Es gibt fünf Stellen im Koran,
die sich auf schwules und lesbisches Verhalten beziehen. Manche befassen
sich offensichtlich mit 'femininen Männern' und 'maskulinen Frauen'. Die
zwei wichtigsten Verweise auf homosexuelles Verhalten im Koran ist
einmal die 7. Sure, Vers 80-81:
"80 Und (wir haben) den Lot
(als unseren Boten gesandt). (Damals) als er zu seinen Leuten sagte:
'Wollt ihr denn etwas Abscheuliches begehen, wie es noch keiner von den
Menschen in aller Welt vor euch begangen hat? 81 Ihr gebt euch in
(eurer) Sinnenlust wahrhaftig mit Männern ab, statt mit Frauen. Nein,
ihr seid ein Volk, das nicht maßhält.'"
Und zum anderen die Sure 26,
Vers 165[-166]:
"165 Wollt ihr euch denn mit
Menschen männlichen Geschlechts abgeben 166 und (darüber)
vernachlässigen, was euer Herr euch in euren Gattinnen (als Ehepartner)
geschaffen hat? Nein, ihr seid verbrecherische Leute."(1)
Beide Verweise beziehen sich
auf schwule und nicht auf lesbische Sexualität, da diese im Koran nicht
erwähnt wird. Lut wird in den hebräischen Schriften als 'Lot'
bezeichnet. Diese Passage ist ein offensichtlicher Verweis auf die
Ereignisse bei Sodom und Gomorrah.
Dies scheint zu implizieren,
dass es vor der ersten Erwähnung in Sodom keine Homosexualität gab. Dies
ist ein ausschließlich im Islam existierendes Konzept, das weder im
jüdischen noch im christlichen Glauben vorkommt. Diese Passage verbindet
die Sünden von Sodom – den Grund für die Zerstörung – mit
Homosexualität.
Es gibt den Konsens unter
islamischen Gelehrten, dass alle Menschen von Natur aus heterosexuell
sind. Homosexualität wird von den Gelehrten als sündhaft und als
perverse Abweichung von der Norm angesehen. Alle islamischen Denkschulen
sowie die islamische Rechtswissenschaft betrachten den schwulen Akt als
ungesetzlich.
Nur in Bezug auf die Bestrafung
unterscheiden sie sich. Manche halten eine physische Strafe nicht für
gerechtfertigt. Andere erachten eine ernsthafte Bestrafung für
notwendig, während es einige wiederum für nötig halten, dass mindestens
vier erwachsene Männer als Zeugen auftreten müssen, bevor jemand der
Homosexualität beschuldigt werden kann.
Ich hoffe, dies beantworte
Deine Frage und ermöglicht dir einen kurzen aber klaren Überblick über
den islamischen Standpunkt zur Homosexualität. Für weitere Informationen
stehen wir Dir gerne zur Verfügung.
Vielen Dank, Salaam.