hebraeisch.israel-life.de / israel-tourismus.de / nahost-politik.de / zionismus.info
Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com
 
Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

Jüdische Weisheit
Hymne - Israel
Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!
Advertize in haGalil?
Your Ad here!

Der tunesische Minister für religiöse Angelegenheiten:
"Fundamentalismus ist Opportunismus"

Der Wiener Journalist Lucian O. Meysels, ständiger Mitarbeiter der Illustrierten Neue Welt, zählt zu den fundiertesten Nahostexperten Österreichs und hat etliche Jahrzehnte lang die Entwicklungen in der islamischen Welt studiert. Erst vor etlichen Wochen interviewte er in Tunis den Minister für religiöse Angelegenheiten und Pro-Rektor der islamischen Zeituna Universität, Jelal Jribi.

Bei der Verurteilung der Fundamenalisten nimmt sich Jribi kein Blatt vor den Mund: „Fundamentalisten sind Opportunisten, die Schaden über die islamische Gemeinschaft bringen.“ Das Interview ist auch in Meysels neu aufgelegtem Buch „Gottes Rächer, religiöse Fundamentalisten im Vormarsch“, Edition Va bene, zitiert. Meysels setzt sich darin mit fanatischen Strömungen in anderen „etablierten“ Religionen auseinander.

jelal jribi

INW: Was verstehen Sie unter dem Ausdruck „islamischer Fundamentalismus“?
Prof. Jribi: Zuerst einmal: Ich widerspreche entschieden dem gängigen Ausdruck „Fundamentalismus“ (Usuliin), weil er den Eindruck vermittelt, dass es um die Fundamente des Glaubens geht. Diese Art des sogenannten Fundamentalismus wird von extremistischen Gruppen propagiert und ich ziehe es vor, von Opportunismus und nicht von Fundamentalismus zu sprechen.

INW: Und wie würden Sie diese Art des religiösen Extremismus definieren?
Prof. Jribi: Ich würde diesen Fundamentalismus, wie er seit der Frühzeit des Islam existiert, folgendermaßen interpretieren: Das entscheidende Kriterium dieser Gruppen ist es, dass sie die Ansichten anderer Gruppen nicht akzeptieren. Sie zeigen keinerlei Verständnis für Gegenwart und Zukunft, sondern leben ausschließlich in der Vergangenheit. Sie glauben auch nicht an Rationalität und verwerfen deshalb jede Interpretation des Koran oder religiöser Texte, außer der eigenen. Ein weiteres Kriterium dieser Gruppe ist, dass sie das Töten jener rechtfertigen, die ihre Thesen ablehnen. Das ist übrigens nichts Neues, sondern wurde bereits von Extremisten in der Vergangenheit praktiziert. Vereinfacht dargestellt: Diese Gruppen lehnen jede Mäßigung ab und bekennen sich ausschließlich zu radikalen Lösungen. Eigentlich haben sie nichts mit den Prinzipien der Religion zu tun, sondern verfolgen mit ihren Aktivitäten politische Ziele. Sie meinen, dass nur sie ein Monopol auf die Wahrheit besitzen. Sie maßen sich daher ein Recht an, Urteile über die Ansichten anderer zu fällen. Wobei diese Urteile nicht auf Recht oder Unrecht, sondern lediglich auf ihren eigenen Auffassungen beruhen.

INW: Sie sehen also keine Gemeinsamkeiten zwischen den sogenannten Fundamentalisten und normalen konservativen Moslems?
Prof. Jribi: Natürlich keine. Es gibt keine Verbindung zwischen Fundamentalisten und Konservativen. Ein Konservativer ist für mich eine Person, die über fundierte Kenntnisse der Heiligen Schrift verfügt. Logischerweise fördert dieses Wissen Toleranz, Akzeptanz anderer Meinungen, Rationalität und die Berurteilung von Verbrechen. Je weiter man sich von diesen Texten entfernt, desto öfter findet man Entschuldigungen für bestimmte Verbrechen.

INW: Glauben Sie, dass Außenstehende die Trennungslinien zwischen Konservativen und Fundamentalisten so einfach erkennen?
Prof. Jribi: Leider herrscht in der breiten Öffentlichkeit ein hohes Maß an Verwirrung. Viele können den Unterschied nicht erkennen zwischen jenen, für die Religion eine Glaubensfrage ist, und anderen, für die sie ein politisches Kampfmittel darstellt. Wir vertrauen auf den Wert von Erziehung und Bildung und hoffen, dass Bildungseinrichtungen und Medien in diesem Zusammenhang ihren Beitrag leisten werden, um den Unterschied zwischen Religion und Fundamentalismus deutlich herauszuarbeiten.

INW: Sind die Fundamentalisten wirklich  auf dem Vormarsch oder wird dieses Phänomen in den Medien künstlich hochgespielt?
Prof. Jribi: Der Fundamentalismus trat bereits in der Frühzeit des Islam auf, aber er ist keineswegs ein rein islamisches Phänomen. Er tritt auch innerhalb der christlichen und jüdischen Konfessionen auf. Fundamentalismus wirkt wie ein Feuer in einem Heuhaufen, das rasch um sich greift. Aber es ist ein Strohfeuer, das wieder ausgeht mangels Brennstoff.

INW: Besteht eine Chance auf Mäßigung unter den Fundamentalisten?
Prof. Jribi: Es ist schwer, sich zu mäßigen oder eine derartige Gruppe zu verlassen, wenn man einmal dazugehört. Die vorrangige Zielgruppe der Fundamentalisten sind ungebildete Jugendliche. Darüber hinaus vertreten die Fundamentalisten das Prinzip, dass der Zweck die Mittel heiligt. Mit diesem Ziel vor Augen setzen sie neben Geld auch Sex, Drogen oder Mystifikation ein, um neue Anhänger zu gewinnen.

INW: Wieso Sex?
Prof. Jribi: Sie sagen den Jugendlichen, dass es möglich ist zu heiraten, einfach indem man nur eine gewisse Sure aus dem Koran verliest. Und dass man sich auf die gleiche einfache Art scheiden lassen kann. Das macht das Ganze für Jugendliche, besonders für ungebildete, attraktiv.

INW: Also widerspricht die Praxis des Fundamentalismus, Ihrer Ansicht nach den Grundprinzipien des Islam, der sich über die Jahrhunderte oftmals als toleranter erwiesen hat als andere Konfessionen?
Prof. Jribi: So ist es.

INW: Stellen die Fundamentalisten eine Gefahr für die etablierten Regierungen islamischer Staaten dar?
Prof. Jribi: Man sollte hier nicht verallgemeinern. Jeder Fall ist „sui generis“. Viel hängt von den sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Konditionen ab. Wenn Sie auf die Lage in Algerien anspielen, so muß ich betonen, dass diese sich von jener in Tunesien grundlegend unterscheidet. Algerien hat eine sehr schwierige Vergangenheit, was politische Entwicklung, Demographie und Institutionen betrifft. Tunesien hat, im Gegensatz zu seinen Nachbarn, eine relativ einheitliche Bevölkerung, in der es keine Gegensätze zwische Arabern und Berbern gibt. Algerien ist ein Vielvölkerstaat. Wir waren etliche Jahrzehnte lang ein französisches Protektorat. Algerien wurde mehr als ein Jahrhundert lang direkt von Paris regiert. Auch nach Erlangung der Unabhängigkeit wählten wir unterschiedliche Wege. Etwa im Erziehungsbereich. Wir bildeten unsere eigenen Lehrer aus, Algerien holte die meisten aus Ägypten.

INW: Wie ist es um die Rolle der Frau in der fundamentalistischen Gesellschaft bestellt? Sind die Frauen als schwächstes Glied das erste Opfer?
Prof. Jribi: Die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit ist das Ziel und das Opfer des Fundamentalismus. Die Frauen, die Intellektuellen, die Andersdenkenden und die Armen, sie alle sind Opfer des Versuchs, das Rad der Geschichte zurückzudrehen.

INW: Der Iran und das Taliban-Regime in Afghanistan gelten schlechthin als fundamentalistisch. Dennoch sind sie erbitterte Feinde. Hängt das mit dem Gegensatz Schiiten – Sunniten zusammen?
Prof. Jribi: Überhaupt nicht. Die Gegensätze sind rein politisch.

INW: Gibt es übernationale Verflechtungen unter den Fundamentalisten?
Prof. Jribi: Offenkundig sind Fundamentalisten Teil eines weltweiten Netzes. Es gibt Parallelen zu anderen Bewegungen.

INW: Und was ist die wirksamste Waffe gegen den Fundamentalismus?
Prof. Jribi: Der Fundamentalismus ist ein universelles Problem. Für alle Konfessionen. Die Antwort liegt in der internationalen Solidarität zum Schutz gemeinsamer Werte.

haGalil onLine 25-12-2001

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved