Ali Shokuhi,
Kommentator der Zeitung Entkhab, beleuchtet nach der Wahl im Iran in
mehreren aufeinander folgenden Artikeln die verschiedenen politischen
Ausprägungen der Reformer. In seinem ersten Kommentar unterteilt
Shokuhi, der die Zeitung Entkhab selbst als "moderat-konservativen"
bezeichnet, die "linken" Reformer in sieben Gruppen. Im zweiten Teil
seiner Analyse spricht er sich für eine politische Reorganisation der
Reformer und der "Linken" aus und kommentiert den Umgang mit ihnen in
der Islamischen Republik Iran. Im dritten Artikel proklamiert er eine
geistige und institutionelle Reorganisation der "Linken".
Abschließend
dokumentieren wir kurz neue Positionen des "linken" Reformislamisten und
ehemaligen Mitarbeiters des Geheimdienstes, Said Hajjarian, der von
einer mangelnden Zivilgesellschaft im Iran spricht.
Erster Teil:
Sieben Reformgruppen
Shokuhi unterteilt
die Reformer wie folgt: Die erste Gruppe der "Linken" lehne sowohl die
Prinzipien der religiösen Regierung als auch jegliche
Regierungsinstitutionen und –mitarbeiter ab. Politisch orientierten sie
sich nach dem Westen, insbesondere auf Amerika. [1] Da sie aber
gegenwärtig auf der "Reformwelle reiten" wollten, verteidigten sie
manche Strömungen innerhalb der Regierung, wobei sie aber ein
liberal-demokratisches westliches System wollen. Diese Gruppierung
unterscheidet sich jedoch von den säkularen Royalisten und Kommunisten,
die die Regierung direkt stürzen wollen.
Die zweite Gruppe
besteht Shokuhi zufolge aus westlichen, liberalen und linken
Intellektuellen, die gegen die religiöse Regierung sind, aber lediglich
eine Änderung der politischen Kräfte innerhalb der herrschenden
Verhältnisse befürworten. Sie gehen davon aus, dass sie auf lange Sicht
ihre Reformbestrebungen innerhalb der Regierung durchsetzen können.
Während sich diese Gruppierung hauptsächlich im Kulturbereich und für
die Durchsetzung von Menschenrechten engagiere sei die erste Gruppe
"politischer".
Die dritte Fraktion
bestehe aus religiösen Intellektuellen, die aber nicht-religiöse
Vorstellungen verfechten. Diese Intellektuellen glauben laut Ali Shokuhi
nicht an die "Totalität des Islam", sondern wollen eine Trennung von
Staat und Religion. Der Philosoph, Abdolkarim Sorush zähle zu dieser
Gruppe und bezeichnet sich selbst, wie Shokuhi abfällig bemerkt, als
einer der größten Unterstützer des Präsidenten.
Laut Shokuhi
versammeln sich in der vierten Gruppierung die Nationalreligiösen, die
zu Beginn der Revolution in der Regierung waren, sich aber langsam von
dieser distanziert haben. Nach dem Sieg Khatamis habe diese Gruppe den
Präsidenten unterstützt. Sie habe unter Studenten und in akademischen
Kreisen ihre Basis. Ihre Kandidaten seien bei den Kommunalwahlen jedoch
auch nicht gewählt worden.
Die fünfte Gruppe
bestehe aus der "Partizipationspartei" und der Organisation der
Mojahedin der islamischen Revolution. Zwar seien diese zwei Gruppen
ideologisch sehr unterschiedlich, bildeten aber beide im letzten Majless
die Hauptsäulen der Reformer. Beide Fraktionen näherten sich den
laizistischen und den nationalreligiösen Gruppen an, wobei sie dem
Ayatollah Montazeri [2] sehr nahe stünden. Einige ihrer Intellektuellen
kritisierten inzwischen das Denken des Imam Khomeini.
Die Majmae Rohaniune
Mobares [Kämpfende Geistlichkeit] glaube als die sechste Gruppe
mehrheitlich an Khomeini und befürworte das Prinzip der absoluten
Herrschaft des Klerus und Reformen innerhalb des Regimes. Diese sechste
Gruppierung stehe der fünften, bestehend aus der "Partizipationspartei"
und die Organisation der Mojahedin der islamischen Revolution sehr nahe.
Die siebte Fraktion,
die Kargosarane Sasandeghi [Beamte des Wiederaufbaus], hat Shokuhi
zufolge keine feste Organisationsstruktur mehr. Sie habe allerdings im
Vorfeld der letzten Wahlen versucht, mit den unterschiedlichsten
Gruppierungen zusammenzuarbeiten, um an der Macht beteiligt zu werden.
Zweiter Teil: Über
den Umgang mit linksislamistischen Reformern
"Der politische und
ideologische Pluralismus innerhalb der Khatami-Front [3] ist eine
unleugbare Realität. [4] Eine Einheit erlangt die Khatami-Front
lediglich durch den Druck, dem sie durch eine äußere Konkurrenz
ausgesetzt ist. Innerhalb dieser Front hat es keine Bemühungen zur
Einigung gegeben. Sobald die Konkurrenz von außen verblasste, wurden wir
oft Zeugen von Kriegen innerhalb der 72 Stämme. Gerade wegen der
vielfältigen Ausrichtungen innerhalb der Reformer kann man sich kein
einheitliches Urteil über sie bilden." Shokuhi weist daraufhin, dass die
Gruppierungen innerhalb der Regierung mit den "Kräften, die behaupten
Reformer zu sein, aber die ideologische Grundlage der Islamischen
Republik und das Denken von Imam Khomeini ablehnen und insbesondere mit
dem Prinzip der absoluten Herrschaft des Klerus Probleme haben, nie zu
Rande kommen werden. Selbstverständlich können diese Personen nicht
Schlüsselpositionen besetzen und für die Bevölkerung wichtige
Entscheidungen treffen. Die Verantwortlichen im Land müssen darauf
achten, dass die Handlungsorientierung des Systems und der Gesellschaft
nicht von seiner Richtung abweicht." Laut Shokuhi ist es naiv
anzunehmen, dass die Präsenz von "solchen Personen in sensiblen Posten
des Staates keine Gefahr für die Fortsetzung der Revolution" habe. So
Shokuhi weiter: "Bürgerrechte zu besitzen, bedeutet nicht, dass man
nicht den konterrevolutionären und antireligiösen Kräften begegnet."
Shokuhi prophezeit den allmählichen Sturz der Regierung, wenn derartigen
Bewegungen Rechte eingeräumt werden würden.
"Dies bedeutet nicht,
die Demokratie abzulehnen. Denn Demokratie und Volksherrschaft müssen im
Rahmen einer islamischen Ordnung einen Sinn bekommen." Weder dürfe die
Demokratie die Religion abschaffen, noch sollte die Religion eine Kritik
an der Macht und die Meinungsfreiheit verhindern.
"[...]Sie [diese
Gruppierungen] müssen akzeptieren, dass der Islam nicht mit dem
Christentum gleichzusetzen ist und die moslemische Gesellschaft daher
eine andere Entwicklung haben wird." Shokuhi spricht sich für eine
Revision des Begriffs Reformen aus, da es keine einheitliche Bedeutung
dieses Begriffs gäbe. Die unterschiedlichen Positionen der genannten
Gruppierungen seien der beste Beweis dafür, dass der Begriff Reform
keine einheitliche Bedeutung kennt. Für manche sei beispielsweise das
Schicksal der Medien und für andere hingegen das Problem der nicht
gewählten Institutionen am wichtigsten.
"Die Linken, die für
Reformen sind, müssen deutlich machen, dass sie an Reformen innerhalb
unseres Systems glauben. Es ist möglich, uneffektive Strukturen zu
kritisieren, ohne dabei die Prinzipien der Herrschaft zu negieren. Sie
müssen zeigen, dass Reformen nicht notwendigerweise eine Negation der
Vergangenheit bedeuten müssen. Notwendigkeit für die Durchführung der
Reformen ist hingegen eine Rückkehr zur Linie von Imam Khomeini und den
Werten der Revolution. Die Reformer, die sich innerhalb der
revolutionären Front befinden, müssen über Reformen als
‚Revolutionierung der permanenten Revolution‘ nachdenken. In diesem
Sinne müssen sie ihre Front reorganisieren."
Dritter Teil: Die
institutionelle Reorganisation der "linken" Reformislamisten
Shokuhi zufolge haben
sich in den letzten Jahren leider Kräfte im linken Spektrum organisiert,
die keineswegs an die Kultur der Revolution glauben. Zwar sei es
verständlich, wenn Intellektuelle ihre Positionen ändern, trotzdem ist
Shokuhi der Überzeugung, dass die "Linke" an folgenden Problemen
krankt[5]:
" - Manche linke
Gruppen organisieren sich lediglich aus Gründen des Protestes gegen ihre
Kontrahenten.
- Manche verhalten sich zwar sehr radikal gegenüber den Machthabern. Aber
außerhalb der dieser Machtstrukturen verhalten sie sich liberaler. [...]
- Manche Gruppen sind von der weltweiten Niederlage der Linken und vom
Sieg der kapitalistischen Staaten beeinflusst und glauben daher, dass
man sich nur noch der (westlichen) Weltmacht unterordnen könne. Sie
verfechten daher brav liberale und westliche Ideen.
- Manche Gruppen wollen nicht verstehen, dass sie inzwischen mit ihrer
geänderten Position bezüglich des Verhältnisses zwischen Religion und
Politik nicht mehr die Imam-Khomeini-Linie vertreten.
- Manche richten sich bloß nach Trends.
Dies macht deutlich,
dass heute die Verteidigung der Revolution und der religiösen Werte und
der Prinzipien der religiösen Herrschaft ihren Preis hat."
Shokuhi schlägt vor,
dass die traditionellen Linken ihre Vorstellungen neu formulieren
sollten und Ideologien, die den Prinzipien der islamischen Ordnung
widersprechen, meiden müssten. Die Bereicherung der Kultur müsse im
Rahmen der Vorstellungen der islamischen Revolution eingebettet sein.
Shokuhi fragt:
"Haben denn etwa die liberalen und demokratisch-westlichen Ideen so gute
Ergebnisse gezeitigt, dass es einen Grund für uns gibt, unsere Gedanken
erschrocken aufzugeben? [...]."
Weiterhin schlägt
Shokuhi eine Reorganisation der "Linken" vor. Ansonsten seien mit ihnen
gemeinsame Aktionen nicht möglich. Die Aktivisten der
Partizipationsfront würden selber gestehen, dass sie eine uneinheitliche
politische Kraft geschaffen haben, ohne dass sie gemeinsame langfristige
Ziele teilen. Shokuhi schlussfolgert:
"Erstens müssen all
diejenigen, Reformer, die ihre revolutionäre Vergangenheit beiseite
geschoben haben und die Prinzipien der Islamischen Republik Iran
ablehnen, von den revolutionären Reformern getrennt werden. [...]
Natürlich dürfen wir es nicht gleichgültig hinnehmen, wenn ihnen
grundlos ihre politischen und gesellschaftlichen Rechte genommen werden,
aber deswegen müssen wir sie auch nicht allseitig unterstützen.
Zweitens müssen die
revolutionären und linken Gruppen sich annähern und sich auf der
Grundlage der Prinzipien der Revolution und der Interessen der
Bevölkerung neu gestalten und neue politische Aktivitäten organisieren.
Ein Blick auf die Erfahrungen des rechten Spektrums, der "Abadgarane
Irane Eslami" zeigt, dass man durch realistische Parolen und neue Ideen
die Gesellschaft überzeugen und neue Schritte zur Realisierung der
Reformen unternehmen kann." [6]
Shokuhi empfiehlt,
dass die Reformkräfte neue Initiativen schaffen sollen, um die Gruppen
und Personen, die sich nicht mehr mit ihrer revolutionären Vergangenheit
identifizieren, zu stoppen.
Said Hajjarian: Es
gibt keine Zivilgesellschaft
In der
Nachrichtenagentur ILNA entfaltet der Reformtheoretiker und ehemalige
Geheimdienstler Said Hajjarian seine These, dass sich "im Iran noch
keine Zivilgesellschaft formiert" hat. [7] Diese stecke erst in den
"Anfangsprozessen" und sei "ohne Leben". Er schlägt daher der
Partizipationsfront vor, die Massen zu organisieren und sich nicht
allein auf die Intellektuellen zu verlassen. Es müssten neue Zeitungen,
Gewerkschaften, Syndikate und neue zivilgesellschaftliche Institutionen
gegründet werden. Dies benötige jedoch Zeit. Die Reformbewegung müsse
jede Möglichkeit nützen, um sich an der Macht zu beteiligen.
Anmerkungen:
[1] Entekhab, 7.3.2004
[2] Islamistischer Kritiker des Regimes, der aber antisemitische und
antizionistische Ideologien verficht. Montazeri ist auch für die
Verfolgung der Angehörigen der Baha´i-Religion mitverantwortlich. Bisher
hat er sich von dieser Gesinnung noch nicht distanziert.
[3] "23-Mai-1997-Front", Khatami wurde an diesem Datum gewählt. Zur
Spaltung der Khatami-Front siehe auch: MEMRI Special Dispatch - 27.
Januar 2004
[4] Entekhab, 8.3.2004.
[5] Entekhab, 9.3.2004.
[6] Shokuhi geht nicht auf die im Iran verbreitete Meinung eines massiven
Wahlbetrugs ein.
[7] ILNA, 12.3.2004.
THE MIDDLE EAST MEDIA RESEARCH
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