MEMRI Special Dispatch, 5.
März 2004
Iran nach den Wahlen:
Positionen der neuen Parlamentsmehrheit
Die Abadgarane Irane Eslami [Die Kultivierenden des Islamischen Iran] ist
als stärkste Gruppe aus den Wahlen zum siebten iranischen Parlament
(Majless) hervorgegangen. Sie werden zwar als Neokonservative
bezeichnet, wollen aber selbst Osuli, Fundamentalisten, genannt werden.
Da Premier Hojatoleslam Mohamad Khatami und seine Minister noch ein Jahr
amtieren werden, wird viel davon abhängen, wie das neue Parlament mit
der alten Regierung zusammenarbeitet.
Im Folgenden dokumentieren wir Äußerungen verschiedener Abgeordneter aus
den Reihen der Abadgarane über ihre wirtschaftlichen Vorstellungen, ihre
Politik gegenüber der Khatami-Regierung, ihre Haltung zum Atomprogramm
und zur US-Politik sowie ihr Verhältnis zu Reformislamisten und
politischen Freiheiten. Bedeutsam ist dabei, dass eine Aufteilung in ein
linkes und rechtes Lager in der innerislamistischen Diskussion keinen
Sinn ergibt: So verfolgen die neokonservativen "rechten Hardliner" mit
ihrem Wirtschaftskonzept eine staatliche Interventionspolitik und werfen
den "linken Reformislamisten" vor, mit der Verteidigung der
Marktwirtschaft die soziale Ungerechtigkeit gefördert zu haben.
Abschließend geben wir die Analyse des reformislamistischen Journalisten
Mashaollah Schamsolwaezin [Chefredakteur der verbotenen Zeitung Jamee]
über die Zukunft des Iran und sein Verhältnis zum Westen wider:
Wirtschaftspolitische Positionen der Abadgaran und ihre Haltung
gegenüber der Khatami-Regierung
Ahmad Tawakoli, Parlamentsabgeordneter der Stadt Teheran, behauptet, dass
das zukünftig das von der Gruppe der Abadgaran dominierte Majless, die
Khatami-Regierung mehr unterstützen wird als das sechste Majless. Er
beschreibt die Position der Abadgaran folgendermaßen: "Gegenseitige
Verständigung und Beratung sowie konsequenter Druck auf die Regierung
wird zur Änderung der Regierungspolitik führen. Dies wird mehr bringen,
als das Personal in den Ämtern auszutauschen. Khatami wird noch weitere
12 Monate im Amt bleiben. Natürlich wird das Majless währenddessen alles
unternehmen, damit die Regierung [der Bevölkerung] erfolgreicher dienen
kann als zuvor. Die Lösung der Probleme der Bevölkerung ist das erklärte
Ziel des siebten Majless. Ich denke, dieses Majless wird die Regierung
weit mehr unterstützen als das sechste, um die Probleme des alltäglichen
Lebens endlich zu lösen." [1]
Tawakoli erklärt, dass sich das siebte Majless vor allem um die
wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse der Bevölkerung kümmern
sollte. Armut, Korruption und Arbeitslosigkeit müssten bekämpft werden.
Tawakoli weist darauf hin, dass es im Iran ein großes Potential junger
Wissenschaftler gebe. Diese jungen Menschen sollten hoffnungsvoll in die
Zukunft schauen. [2] Tawakoli weiter: "Die Kargosaran [Reformislamisten]
glauben nicht an eine Einkommensverteilung und warten bis der Markt die
gewünschte Verteilung vollzieht. Wir aber glauben an eine gerechte
Verteilungspolitik." [3]
Hadad-Adel geht auf die Regierungszeit Khatamis ein: "Die
Khatami-Regierung hat positive und negative Resultate. Das Wachstum im
Bereich der industriellen Entwicklung betrug 11 Prozent. Damit erreichte
Iran den ersten Platz im Mittleren Osten. Leider ging aber dieser
Wachstumsprozess nicht mit sozialer Gerechtigkeit einher. Wir werden
also im Vergleich zu unseren Vorgängern eine verstärkte Aufbau- und
Entwicklungspolitik betreiben und dabei vermehrt auf islamische Werte
setzen. Der Iran kann sich wie Japan durch eine unabhängige Aneignung
von Technologie entwickeln." [4]
Gegenüber der Nachrichtenagentur Bastab führte er diesen Vergleich näher
aus: "Iran hat aufgrund seiner Naturressourcen und dem Ausbildungsstand
der Bevölkerung alle Voraussetzungen, zu einem entwickelten islamischen
Land zu werden. Wir glauben an dieses Prinzip. Wir planen eine
umfassende Entwicklungspolitik. Wir hoffen, dass der Iran auch in
wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Hinsicht ein entwickeltes Land
mit islamischen Werten sein wird. Das heißt aber nicht, dass der Iran
wie Japan Truppen in den Irak schickt, um die Amerikaner zu
unterstützen. Ich meine damit lediglich eine technologische und
wissenschaftliche Entwicklung." [5] Hadad-Adel definiert seine Forderung
nach mehr Entwicklung so: "Wir wollen wirtschaftliches Wachstum plus
sozialer Gerechtigkeit." [6]
Auch Dr. Dawud Danesh Jafari, Vorsitzender der Wirtschafts- und
Handelskommission des Schlichtungsrates, vertritt die Überzeugung, dass
der Iran danach streben sollte, die "führende Macht in der Region" zu
werden. [7]
Im Zuge der Diskussion, ob Khatami und seine Minister vor dem neuen
Majless befragt werden sollten, spricht sich Hamidresa Katouzian dagegen
aus, die Minister der Khatami- Regierung zur Rechenschaft zu ziehen.
"Wir wollen lediglich die Effektivität der Regierungspolitik steigern.
Minister zu befragen ist nicht produktiv und widerspricht den Interessen
des Landes. Wir werden den Ministern eine Reihe von Empfehlungen
unterbreiten, aber der Regierung Khatamis keine Schwierigkeiten
bereiten." [8] Dabei erinnert Katouzian an den ersten Revolutionsführer
des Iran, Ayatollah Imam Khomeini: "Das siebte Majless wird so gut es
kann die wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten innerhalb der Bevölkerung
abschaffen. Genauso wie Imam Khomeini dies immer gefordert und auch
umgesetzt hat, damit die Bevölkerung zufrieden ist." Und der Abgeordnete
Abasali Akhtari erklärt, dass es das Hauptziel des siebten Majless sei,
"Wohlstand für die wenig verdienenden Bevölkerungsschichten" zu
ermöglichen. [9]
Zum Atomprogramm
Tawakoli sichert der Regierung bei der Zusammenarbeit mit der
Internationalen Atomenergiebehörde Unterstützung zu: "Ich glaube, dass
das siebte Majless in Anbetracht des im Lande vorherrschenden Geistes
der Unabhängigkeit auf der Atomtechnik, die sogar von uns selbst
entwickelt wurde, bestehen wird. Das siebte Majless wird die Regierung
in der Atomfrage unterstützen - wenn aber die IAEA unsere Konditionen
nicht akzeptiert, wird es den Prozess der Zusammenarbeit natürlich nicht
weiter unterstützen. [10]
Elias Naderan vertritt die Position, dass der IAEA-Vertrag im neuen
Majless noch einmal diskutiert werden müsse. Wenn die IAEA ihr Wort,
dass der Iran die Atomenergie friedlich nutzen dürfe, nicht halte, sehe
sich der Iran auch nicht genötigt, irgendeiner Verpflichtung
nachzukommen. [11] Hossein Scheich´ul´Islam geht davon aus, dass das
Zugeständnis des Iran, die Anreicherung von Uran zu verschieben, nur auf
Druck der USA und Europas zustande gekommen sei. Die beste Antwort sei
daher "Widerstand". Er begründet seine Position damit, dass der
NPT-Vertrag die friedliche Nutzung von Atomtechnologie keineswegs
untersagt habe. Die Aufschiebung der Uran-Anreicherung sei dem Iran
lediglich von den westeuropäischen Staaten und Amerika aufgezwungen
worden. Das siebte Majless werde sicherlich eine friedliche Atomnutzung
verteidigen. [12] Gegenüber Jomhuriye Eslami bestätigte Dr. Elham
Aminsadeh die Vermutung, dass der Iran seine Verpflichtungen gegenüber
der IAEA nicht einhalten werde: "Das Versprechen des Iran gegenüber den
drei europäischen Außenministern, die Urananreicherung aufzuschieben,
hat keinen absoluten Charakter. Zu einem günstigen Zeitpunkt werden wir
wieder mit dem Programm beginnen." [13]
Zur iranischen US-Politik
Dr. Mehdi Kuchaksadeh stellt klar, dass die Abadgaran die nationale Würde
des Iran nie vergessen werden und kritisiert die amerikanische Politik:
"Die amerikanischen Beziehungen zu anderen Staaten beruhen stets auf
Gewalt." Er widersprach den Behauptungen mancher Reformislamisten, dass
die Neokonservativen im siebten Majless die Beziehungen zu den USA
verbessern wollen. "Mit dem Segen der islamischen Revolution haben wir
in den letzten 25 Jahren unserer Außenpolitik gegenseitige Akzeptanz
gefordert. Solange Amerika nicht aufhört, Gewalt auszuüben, wird es
weder zu Kontakten noch zu einem Dialog kommen. Wenn Amerika seine
Politik gegenüber dem Iran revidiert, kann es wie alle anderen Staaten
auf einen Dialog mit dem Iran hoffen. Wir sehen ja, dass sich die
unbändige Politik der Amerikaner keineswegs gemäßigt hat, sondern
täglich wilder wird."
Kuchaksadeh fügte hinzu, dass die Bezeichnung "konservativ" für die
Abadgaran nicht zutreffe und eine Erfindung der Reformisten sei. Die
Abadgaran seien "Osulgara" [Fundamentalisten] und glauben an die
Welayate Faqih [Herrschaft der Rechtsgelehrten/Klerus]. Diese würden die
nationalen Interessen des Landes schützen. [14]
Hassan Rohani, Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates und einer der
wichtigsten Figuren der Konservativen, sagte zu den
iranisch-amerikanischen Beziehungen: "Amerika benutzte den 11. September
als Vorwand, um den Islam als die Schule des Terrors vorzustellen." Zur
amerikanischen Präsenz in Afghanistan und im Irak erklärte er: "Bis
heute sind die Pläne des Feindes in der Region gescheitert. Amerika
wollte eine starke Bastion in Afghanistan errichten. Amerika möchte
einen psychologischen, wirtschaftlichen und politischen Krieg gegen den
Iran führen. Aber all diese Pläne sind gescheitert." [15]
Abadgaran und Reformislamisten
Ahmad Tawakoli weist darauf hin, dass die Entwicklung der Abadgaran eine
aktive und kluge Fraktion der Minderheit der Reformer erfordere. Eine
kluge Mehrheit werde auch eine lebendige Minderheit akzeptieren. [16]
Und Hadad-Adel hebt hervor: "Wir neigen nicht dazu, von Siegern und
Verlierern zu sprechen. Unsere Pflicht ist es, zu dienen. An Rache
denken wir nicht. Wir haben schon zuvor mit unseren Parolen alle Iraner
eingeladen, der Bevölkerung und dem Land zu dienen. Wir wollen alle
Differenzen und Streitereien zwischen den Fraktionen beenden. Die Iraner
sind müde von diesen Auseinandersetzungen." [17]
Abadgaran und politische Freiheiten
Ahmad Tawakoli weist die Kritik zurück, dass die neue Parlamentsmehrheit
repressiver als das frühere Majless vorgehen werden: "Leider gibt es
diese Meinung, dass wir die politischen Freiheiten einschränken würden.
Dabei haben wir jahrelang für politische Freiheiten in unserem Land
gekämpft, insbesondere an den Universitäten, die als Übungsfeld für
politische Auseinandersetzungen in unserem Staat fungieren. Wir werden
jede politische Entscheidung, die gegen die Unabhängigkeit unseres
Staates ist, reformieren."
Laut Hadad-Adel wird Zensur keine Rolle spielen. Er fügt in diesem
Zusammenhang hinzu, dass "die Mängel der Arbeit des Ministeriums für die
Islamische Führung [18] behoben werden, was als positiver Punkt
betrachtet werden sollte." [19]
Ahmad Ahmadi, ein weiteres Mitglied der Abadgaran, forderte, dass sich das
Erziehungs- und das Universitätssystem ändern müssten: "Unsere Jugend
hat mit ihrem Blut für die Verteidigung des Landes bezahlt. Wir müssen
eine Einheit im Majless herstellen und solange uns niemand ein Messer in
den Rücken rammt, lassen wir sie in Ruhe." [20]
Verhältnis zum Westen
Zusammenfassend analysiert der den Reformern nahe stehende Journalist,
Mashaollah Shamsolwaezin, die Zukunft des Irans folgendermaßen: "Es ist
möglich, dass der Westen aufgrund seiner eigenen Interessen ein Bündnis
mit den Neokonservativen eingeht, die unsere Ölressourcen kontrollieren
und gleichzeitig für die Verteidigung des Landes zuständig sind. Ich
zweifle sehr daran, dass Amerika wirklich eine Demokratie in Iran
befürwortet." Nach Einschätzung Shamsolwaezins werden die Amerikaner
auch deshalb gezwungen sein, mit den Neokonservativen im Iran zu
verhandeln, da diese über gute Kontakte zu Ayatollah Sistani im Irak
verfügen. Er ist der Meinung, dass die Neokonservativen die Islamische
Republik zerstören werden, auch wenn sie behaupten, den Staat zu
schützen. [21]
Anmerkungen:
[1] Homepage der Abadgaran, 23.2.2004.
[2] Homepage der Abadgaran, 23.2.2004.
[3] Fars News Agency, 24.2.2004.
[4] Fars News Agency, 24.2.2004.
[5] Bastab, 24.2.2004.
[6] Bastab, 24.2.2004.
[7] Homepage der Abadgaran, 24.2.2004.
[8] Fars News Agency, 29.2.2004.
[9] Homepage der Abadgaran, 24.2.2004.
[10] Homepage der Abadgaran, 23.2.2004.
[11] Homepage der Abadgaran, 24.2.2004.
[12] Homepage der Abadgaran, 28.2.2004.
[13] Jomhuriye Eslami, 29.3.2004.
[14] Homepage der Abadgaran, 29.2.2004.
[15] Entekhab, 2.3.2004.
[16] Homepage der Abadgaran, 23.2.2004.
[17] Fars News Agency, 24.2.2004.
[18] Kulturministerium, unter anderem zuständig für Medienzensur.
[19] Bastab, 24.2.2004.
[20] Bastab, 24.2.2004.
[21] ILNA, 4.3.2004.
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