Zusammengestellt von Wahied
Wahdat-Hagh*
Anfang Juni forderte die
Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch die EU auf, in Sachen
Menschenrechte mehr Druck auf den Iran auszuüben. Bereits seit dem Jahr
2000 hätten Folterungen und willkürliche Verhaftungen zugenommen, sagten
Vertreter der Organisation in New York. Am 14. und 15 Juni fand dann die
vierte Runde des Menschenrechtsdialoges zwischen der EU und dem Iran in
Teheran statt. In einer Erklärung zeigte sich die EU nach der Konferenz
"tief beunruhigt über die andauernden und zahlreichen
Menschenrechtsverletzungen".
Kritisiert wurde die
Diskriminierung von Frauen, das Fehlen einer unabhängigen Justiz, die
Vollstreckung der Todesstrafe und von Körperstrafen, Folter sowie
menschenrechtsfeindliche Behandlungen von kritischen Journalisten.
Überdies widerspreche das Wahlsystem der Ausübung demokratischer Rechte.
Der Iran, der sich damit neben
der Atomfrage erneut unter Druck gesetzt sieht, weist die EU-Kritik
zurück. Dennoch ist im Land eine Diskussion um eine Reform der
Rechtsprechung und um den Umgang mit Dissidenten entstanden. Einige
iranische Reaktionen auf die Kritik sind im Folgenden zusammengefasst:
Kritik an der EU-Delegation
Bereits im Vorfeld des Besuchs
der EU-Menschenrechtsdelegation sprachen sich iranische
Majless-Angehörige dagegen aus, diese überhaupt einreisen zu lassen. So
etwa Hussein Scheich-ul-Eslam, Mitglied der neuen Abadgarangruppe im
Majless: "In unserem Land gibt es die verschiedensten Formen von
Freiheit. Wir brauchen keine europäische Menschenrechtsdelegation und
brauchen uns nicht nach den Ausländern zu richten, wenn wir uns für
Meinungsfreiheit einsetzen wollen. […] Die Menschenrechte sind vielmehr
ein Hebel in den Händen der Amerikaner, mit dem sie uns unter Druck
setzen. Es wäre besser, diese Delegation würde in den Irak, nach
Afghanistan oder Palästina reisen. Wir brauchen sie jedenfalls nicht."
Und Esatollah Jussefian, ebenso Parlamentsmitglied, meinte: "Immer wenn
es ihnen politisch in den Kram passt, versuchen sie mit
Menschenrechtsthemen gegen unseren Staat vorzugehen. Wenn der Iran den
Amerikanern im Irak helfen würde, gäbe es solche Delegationen erst gar
nicht." [1]
Nach dem Besuch der
Europäischen Menschenrechtsdelegation wies der Sprecher des iranischen
Außenministeriums, Hamidresa Assefi, deren Erklärung als unwahr und
unzutreffend zurück. Nach Ansicht von Assefi beweise diese die
"mangelnde Fähigkeit der Europäischen Union zu einem konkreten und
transparenten Dialog." Der Iran akzeptiere "keine Vorbedingung für einen
Dialog." Außerdem würden Menschenrechtsverletzungen auch in Europa
stattfinden. Die Europäer seien aber verärgert, wenn der Iran etwa die
Diskriminierung von moslemischen Migranten thematisiere. Bei den
Gesprächen in Teheran seien die Europäer überdies mehrfach auf die
Menschenrechtsverletzungen in den besetzten palästinensischen Gebieten
und im Irak erinnert worden: "Die iranischen Dialogteilnehmer haben
betont, dass Europa seine gesamte Kapazität für die Beendigung der
Verbrechen des zionistischen Regimes einsetzen muss." [2]
Eine reformislamistische
Perspektive: Menschenrechtsverletzungen im Vergleich
In einem Kommentator der
Zeitung Sharq geht Mehran Karami auf die europäisch-iranischen
Beziehungen ein und stellt zunächst einmal fest, dass die EU [nach dem
Konflikt um die atomaren Anlagen] binnen kürzester Zeit zwei Erklärungen
gegen den Iran abgegeben habe. Das enttäusche diejenigen iranischen
Politiker, die gehofft hatten, dass Europa eine "Festung gegen den
amerikanischen Druck" darstellen könne. Aber auch diejenigen, die
gemeint hatten, die inneriranischen Verhältnisse könnten die Beziehungen
zu Europa nicht trüben, wüssten nun, dass "Europa zwar großen Wert auf
die Wirtschaft legt, […] sie aber die Fragen von Demokratie und
Menschenrechten nicht den Wirtschaftsinteressen opfern wollen." Auch
Karami weist indes darauf hin, dass Folter und schlechte Behandlung von
politischen Gefangenen nicht auf den Iran und den Mittleren Osten
beschränkt seien: "Es ist der Westen, der nicht nur Menschenrechte
verletzt, sondern in islamischen Ländern auch Verbrechen begeht." Karami
kritisiert dann die "Neutralität" Europas hinsichtlich von
Menschenrechtsverletzungen in Abu Ghuraib, Guantanamo und Palästina,
erinnert jedoch auch daran, dass es immerhin die konservative Washington
Post gewesen sei, die die ersten Bilder von Abu Ghuraib veröffentlicht
habe. Wenn eine Zeitung im Mittleren Osten einen vergleichbaren Schritt
unternommen hätte, wäre sie mindestens verboten, vielleicht aber auch
der verantwortliche Redakteur wegen Verrat und Spionage für die Fremden
verurteilt worden, so Karami in der Sharq. [3]
Unter dem Titel "Iran, der
Westen und die Menschenrechte" schrieb auch der namhafte Soziologe Sadeq
Sibakalam einen Artikel in Sharq: "Die Bürger- und Bruderkriege, die in
vielen Ländern der Welt gegenwärtig stattfinden, sind ein Ergebnis der
ausbeuterischen Politik der Kolonialisten, die sich hinter der Waffe der
Menschenrechte verstecken. Es ist beschämend, wie diese Händler des
Todes, diese Aasgeier und Hyänen, die diese Kriege verschuldet haben,
nun in der Rolle der Propheten des Friedens und der Verteidiger von
Freiheit, Demokratie und Menschlichkeit auftreten und lauthals
verkünden, dass die Menschenrechte im Iran verletzt würden. Was wollen
sie dem Rest der Welt beibringen? […] Sie wollen nicht, dass es auch
andere unabhängige und freie Völker auf der Erde gibt." Als Beispiel
führt Sibakalam den Energieverbrauch der USA gegenüber Staaten wie
Bangladesh und Sudan auf und bemängelt, dass das Pro-Kopf-Einkommen in
Bangladesh nicht einmal 40 Dollar betrage, während in Europa und den USA
das Einkommen von "Möchtegern-Menschenrechtlern" die 20.000 Dollargrenze
überschreite.
Auch Sibakalam stellt
Vergleiche an: " Das Verhalten von Israel in den besetzten Gebieten ist
tausend Mal schlimmer als das Verhalten der Islamischen Republik Iran
gegenüber seinen Gegnern. […] Ja, im Iran werden Frauenrechte verletzt.
Sind aber die Rechte der iranischen Frauen etwa vergleichbar mit denen
in Saudi-Arabien oder Kuwait? Europa hat Recht - im Iran gibt es
politische Gefangene. Aber gibt es in Ägypten nicht hundert Mal mehr als
im Iran? Europa behauptet, dass politische Gefangene im Iran schlecht
behandelt werden. Die bittere Wahrheit aber ist, dass vor allem
fundamentalistische Moslems in den Gefängnissen Ägyptens,
Saudi-Arabiens, Kuwaits, Marokkos, Tunesiens, Pakistans und Algeriens
hundert Mal schlimmer behandelt werden." Keiner der genannten Staaten
würde jedoch von Europa verurteilt werden und auf den schwarzen Listen
der Amerikaner tauchten sie auch nicht auf. Am Ende konstatiert der
reformorientierte Soziologe aber, dass selbst wenn sämtliche
Menschenrechtsberichte zum Iran von US-Handlangern und Zionisten
geschrieben worden wären, dann seien Berichte über Schriftsteller,
Journalisten, Studenten und politisch aktive Frauen, die ohne
Gerichtsverfahren monatelang in iranischen Gefängnissen säßen, doch
nicht falsch. [4]
Zu einer Reform der
Rechtsprechung
Die Reaktionen auf die
Menschenrechtsberichte mündeten auch in eine Debatte um Reformen in der
iranischen Rechtsprechung insbesondere was den Umgang mit politischen
Gegnern angeht. Mohammad Kianushsad, ehemaliges Mitglied der Kommission
für nationale Sicherheit und Außenpolitik, sagte: "In den letzten Jahren
haben die Auseinandersetzungen der Judikative mit politischen
Aktivisten, unabhängigen Journalisten und manchen Intellektuellen
gezeigt, dass es Probleme mit den Menschenrechten im Iran gibt. Die
Kritik der internationalen Institutionen an der Islamischen Republik
darf uns nicht daran hindern, die Realitäten unserer Gesellschaft zu
sehen. Es darf nicht dazu kommen, dass wir manche innerstaatlichen
Probleme nicht kritisieren. […] Wir müssen uns gegenüber den
internationalen Konventionen und Verträgen verpflichtet fühlen." [5]
Das Majlessmitglied Eshrat
Shayeq forderte eine Reform der Gerichtsbarkeit, da Unklarheiten in der
Gesetzgebung vorlägen. Das Majless müsse Gesetzesvorlagen schaffen,
damit eine Reihe von Strukturen überdacht werden könnten. [6] In diesem
Zusammenhang schreibt die Zeitung Sharq: "Die europäische
Menschenrechtsdelegation forderte die Freilassung von 40 politischen
Gefangenen. Die iranische Justiz jedoch weist darauf hin, dass in der
iranischen Strafgesetzgebung gar keine Strafen für politische Taten
vorgesehen sind und es daher also gar keine politischen Gefangenen geben
könne. Es liegt aber auf der Hand, dass das öffentliche Bewusstsein
Akbar Ganji, Hassan Jussefi Eshkewari, Taqi Rahmani, Hoda Saber, Resa
Alijani, Nasser Sarafshan und andere gefangene Studenten und
Journalisten als politische Gefangene betrachtet." […]
"Bisher haben iranische
Gerichte auf politische Häftlinge und Journalisten immer die normalen
strafrechtlichen Gesetze angewandt. […] So hat es ein Sprecher der
Judikative in einem Fernsehinterview auch [abgelehnt], politische
Delikte anders als normale Verbrechen zu behandeln, weil [im iranischen
Rechtsverständnis] ein politisches Verbrechen erst vorliegt, wenn es um
Aktivitäten geht, die sich gegen das System der Islamischen Republik
richten." Auch der Kommentator Amadoldine Baqi [s.u.] ist der
Überzeugung, dass politische Delikte in den Bereichen von Journalismus,
Literatur oder öffentlichen Vorträgen nicht als politisches Verbrechen
eingestuft werden könnten, da es sich ja nicht um einen bewaffneten
Kampf gegen die Republik handle. Noch weiter geht der frühere Chef der
Judikative, der Reformislamist Ayatollah Seyyed Abdolkarim Mussawi
Ardebili: "Man versteht eine Kritik der Herrschaft als politisches
Verbrechen. Eine solche Kritik ist in der islamischen Tradition aber
nicht nur kein Verbrechen, sondern sogar erwünscht." [7]
Auch Rassul Montajeb, Mitglied
der "Organisation der kämpfenden Geistlichkeit", wies auf
Definitionsmängel in der Rechtsprechung hin, die zur Ursache von
Menschenrechtsverletzungen werden könnten: "Wir müssen dringend eine
Definition der politischen Verbrechen vornehmen und deutlich machen, in
welchem Rahmen diese Verbrechen behandelt werden. In der Verfassung wird
zwischen politischen und Mediendelikten sowie anderen Verbrechen
unterschieden. […] Und wie wir für die Presse spezielle Gesetze haben,
benötigen wir solche auch für politische Verbrechen. Jenseits der
unterschiedlichen politischen Positionen von Gruppen und Fraktionen
müssen wir eine transparente Definition für politische Verbrechen
liefern und einen festen Rahmen dafür schaffen." [8]
Auch um die Frage von
Geschworenengerichten drehte sich die Diskussion. In der Sharq hieß es
dazu: "In der iranischen Verfassung heißt es, dass für politische
Strafen Geschworene im Gericht mitentscheiden muss. Dies ist aber bisher
nicht umgesetzt worden." […] Schon das fünfte Majless habe für das
Pressegericht unabhängige Geschworene gefordert. Das Klerusgericht habe
beispielsweise Abdollah Nuri als Herausgeber der Zeitung Khordad in
Anwesenheit einer Geschworenengruppe aus Geistlichen verurteilt.
Schriftsteller dürften jedoch in einem Pressegericht ohne Geschworene
verurteilt werden. Tatsächlich gebe es bisher eine anerkannte
Geschworenengruppe, deren Mitglieder alle von staatlichen Gremien
stammten: Im Pressegericht setzen sich die Geschworenen aus dem
Vorsitzenden des Stadtrates, dem Vorsitzenden der Judikative, dem
Kulturminister oder seinem Vertreter, dem Vorsitzenden der Organisation
der islamischen Propaganda [Tabliqate Eslami] und einem Vertreter der
Hoseye Elmiye [Kleriker-Akademie in Qom] zusammen. Im speziellen
Klerikergericht hingegen würden die Geschworenen persönlich vom
Vorsitzenden des Gerichts gewählt. Kritisiert wird laut Sharq, dass
eigentlich die Geschworenen das gesellschaftliche Gewissen darstellen
und daher nicht von staatlichen Vertretern besetzt werden solle. Dabei
sei den iranischen Bürgern schon vor 100 Jahren in der konstitutionellen
Verfassung ein solches Recht gewährt worden. Dieses Gesetz sei jedoch
nie in die Praxis umgesetzt worden. [9]
Khatami zur Rolle der
Scharia
Der iranische Präsident Mohamad
Khatami erklärte auf einer Konferenz der Verantwortlichen der iranischen
Judikative, dass man keinen "Wettbewerb" um die Umsetzung des göttlichen
Gesetz veranstalten solle: "Unterdrückung", so Khatami, "gibt es dort,
wo es Macht gibt. In der Regel wird der Schwache Opfer der Aggressionen
von Starken. Was muss man machen, um die Unterdrückung in der
Gesellschaft abzubauen? Die Macht kann einerseits Ursache von
Unterdrückung sein. Andererseits benötigt man auch für den Kampf zur
Abschaffung von Ungerechtigkeit Macht. Wer die politische,
wirtschaftliche, militärische und wissenschaftliche Macht besitzt, hat
viele Möglichkeiten, Repressionen auszuüben. Daher sind ein machtvolles
System und eine mächtige Justiz erforderlich, um die Unterdrückung zu
verhindern. [...] Brüder, ich wende mich als Geistlicher an Euch!
Göttliche Gesetze sind sehr wichtig - aber wir sollten nun keinen
Wettbewerb um die Umsetzung dieser Gesetze veranstalten. Wir müssen uns
auch darum bemühen, Beweise zu liefern." [10]
Konkret hat sich die Lage der
islamischen Dissidenten indes nicht gebessert: So hat der Richter im
Fall des zum Tode verurteilten Intellektuellen Aqajeri zwar inzwischen
festgestellt, dass der Häftling kein Apostat sei. [11] Daher entfällt
sein Todesurteil. Aqajeris Anwalt beklagt jedoch laut Sharq, dass das
Verfahren nun wieder auf den Stand von vor zwei Jahren, also vor dem
Zeitpunkt der Verkündung der Todesstrafe wegen Apostasie zurückgestellt
sei. Und der ebenfalls in Haft sitzende Journalist Amadoldin Baqi
weigerte sich am 28. Juni, sich vor dem Gericht zu verteidigen. Er wies
darauf hin, dass das Gericht unabhängige Geschworene benötige, die es de
facto aber nicht gäbe. [12]
*Dr. Wahied Wahdat-Hagh ist
Politikwissenschaftler und arbeitet für MEMRI zum Iran.
Anmerkungen: