Die Redaktion der
konservativen iranischen Zeitung Jomhuriye Eslami reagierte am 17.1.2005
auf einen Artikel, den Seymour Hersh unter dem Titel "Plan B" am
28.6.2004 in THE NEW YORKER geschrieben hatte. Darin berichtete Hersh,
dass israelische Einheiten im irakischen Kurdistan kurdische Kommandos
ausbilden sollen. Hersh zitierte dazu einen nicht namentlich genannten
deutschen Sicherheitsbeamten, der erklärt hätte, dass ein unabhängiges
Kurdistan mit seinen Ölvorkommen schwerwiegende Folgen für Syrien, den
Iran und die Türkei mit sich bringen und zur Instabilität des Mittleren
Ostens beitragen könnte. Dieser Sicherheitsbeamte habe, so Hersh, von
einem unabhängigen kurdischen Staat als "einem neuen Israel, einem von
feindlichen Staaten umgebenen Paria-Staat" gesprochen.
Die Jomhuriye Eslami setzt sich
mit dieser These von Kurdistan als einem möglichen zweiten Israel" in
der Region auseinander. In ihrer Gegenargumentation hebt sie die
Unterschiede zwischen Israel und den Kurden hervor und betont
insbesondere die enge Verbindung der kurdischen Bevölkerung mit der
arabisch-islamischen Welt. Dabei kommen aber auch die Ressentiments des
iranischen Regimes gegenüber kurdischen Bewegungen sowie die strikte
Ablehnung kurdischer Ansprüche auf eine eigene Staatlichkeit deutlich
zum Ausdruck. Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus dieser
Argmentation, die sich auf vier Punkte stützt:
"1. Geopolitische Gründe:
Palästina liegt im
strategischen Zentrum des arabischen Mittleren Ostens. Die Errichtung
der zionistischen Kolonie erschwerte daher die Verwirklichung einer
arabischen Einheit. Auch die historischen Kämpfe Ägyptens erreichten
nicht ihr Ziel. Daher blieben auch die Rückschrittlichkeit und die
Abhängigkeit der Araber bestehen, was sich zugunsten der Interessen der
prozionistischen Staaten auswirkte.
Im Gegensatz dazu unterhält
Kurdistan Kontakte mit der arabischen Welt, dem Iran und der Türkei.
[…]Die Errichtung einer kurdischen Autonomieregierung würde anders als
die Gründung Israels nicht zu regionalen Konflikten führen. Vielmehr
würde eine solche kurdische Autonomieregierung die Widersprüche zwischen
Arabern, Iranern und Türken verringern, weil diese sich derzeit allesamt
davor fürchten, dass [die Errichtung] eines kurdischen Staates mit Hilfe
der Zionisten und Amerikaner ihre territoriale Einheit gefährden könnte.
Allerdings liegt es auch gar nicht im Interesse der USA und Israels [die
Errichtung eines kurdischen Staates] zu unterstützen." [1]
"2. Demographische Gründe:
Die Mehrheit der Zionisten im
besetzten Palästina hat keinerlei historische Verbindungen zu den
Palästinensern. Sie sind aus der ganzen Welt dorthin gebracht worden.
Sie leben nicht in ihrer Heimat, sondern sind ein Fremdkörper in ihrer
arabischen Umwelt, mit der sie verfeindet sind. Sie werden immer
strategische Unterstützung von außen brauchen und haben nicht die Macht,
sich den Befehlen ihrer Unterstützer zu entziehen. Seit Beginn der
Besiedlung durch die Zionisten im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts
bildeten sie keine einheitliche politische Bewegung und die
zionistischen Interessen standen immer im Konflikt mit den Interessen
der Kolonialisten, die sie unterstützen.
Die Kurden hingegen leben in
ihrem Land und teilen ihr Schicksal mit den Arabern, Iranern und Türken.
Mit ihnen gemeinsam haben sie gegen die fremden Invasoren gekämpft und
da sie alle sich auf ihrem eigenen Terrain befinden, verfügen sie auch
über ein gemeinsames Ziel. Dies führt dazu, dass sie sich nicht
untereinander verfeinden. Große Teile [der arabischen, iranischen,
türkischen und kurdischen] Bevölkerung teilen trotz ihrer
unterschiedlichen ethnischen und nationalen Zugehörigkeiten gemeinsame
Gefühle als Muslime.
In der Tat kennt die neuere
Geschichte des Irak kein Beispiel einer kurdischen Bewegung, die alle
Kurden hinter sich gebracht hätte. Jede kurdische Bewegung hatte Gegner,
die verhindert haben, dass eine einheitliche kurdische Bewegung
entsteht, die dann gemeinsame Sache mit den ausländischen Feinden hätte
machen können."
"3. Das Verhältnis zwischen der
irakischen und der arabischen Bevölkerung:
Trotz des 1979 unterzeichneten
Vertrags von Camp David ist das Sein oder Nicht-Sein des kolonialen
Gebildes [Israels; d. Red.] umkämpft. In diesem Kampf kann es kein
Unentschieden, sondern nur einen Sieger geben. […] Auch die Iraker haben
die zionistischen Übergriffe erlebt [und müssen dagegen zusammenstehen;
d.Red.] - dennoch hat die kurdische Bevölkerung zweifellos ein Recht auf
ihre ethnische Einheit. Dabei ist die arabische Umma mit ihrem Anspruch
auf arabische Einheit kein Hindernis für die Verwirklichung dieser
Einheit. Was hingegen die kurdische Einheit verhindert, ist die
besondere politische Geographie in der Region.[2]
Die Forderungen der Kurden sind
aber nur dann realistisch und kompatibel mit den existierenden
Bedingungen, wenn sie eine autonome Selbstverwaltung in denjenigen
Regionen errichten, wo sie die Mehrheit der Bevölkerung stellen. In
diesen Selbstverwaltungsgebieten sollen sie ihre Identität bewahren und
über alle politischen, zivilen, religiösen und kulturellen Rechte
verfügen. Das sind legitime und demokratische Forderungen, für die auch
nationale arabische Kräfte kämpfen.
Problematisch sind aber
politische Forderungen und Positionen, die die jeweilige nationale
Einheit [der Staaten, in denen Kurden leben; d.Red.] bedrohen und so den
Plänen der Kolonialisten und Zionisten dienen. Ansonsten gibt es keine
Differenzen zwischen Arabern und Kurden. Aus den genannten Gründen sind
die Differenzen zwischen Arabern und Kurden zweitrangig, solange diese
legitime demokratische Rechte fordern. Daher müssen solche Widersprüche
geduldet werden. […]"
"4. Kulturelle […] Gründe:
Einer der wichtigsten Motive
für die Unterstützung des Zionismus durch die europäische und
amerikanische Öffentlichkeit, liegt darin, dass die zionistischen
Konzepte zur europäischen Kultur passen. Außerdem ist der historische
Widerspruch zwischen den Europäern sowie den Arabern und dem Islam
größer, als die Widersprüche mit dem Zionismus.
Umgekehrt verhält es sich mit
den Kurden in Syrien und in Irak. Sie leben in einem kulturellen Klima
und folgen Lebensweisen, die mit dem Land, in dem sie leben, in Einklang
sind. Wie überall auf der Welt kämpfen die Muslime auch dort gegen den
Verkauf ihrer Kultur und der islamischen Werte an den Feind.
Aus all diesem Gründen ist die
Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass Kurdistan von seiner kulturellen
Umwelt getrennt und daraus ein neues Modell des zionistischen Regimes
geschaffen werden könnte. Dies zu versuchen, würde immer an den
historischen Tatsachen und den geographischen Gegebenheiten scheitern.
Dennoch müssen die arabischen
Führer eine Strategie im Kampf gegen Imperialismus und Zionismus
entwickeln. Die Einflussnahme Israels im irakischen Kurdistan und die
Zusammenarbeit der kurdischen Führer mit den Zionisten gefährden nach
wie vor Sicherheit und Stabilität des Irak und seiner arabischen und
muslimischen Nachbarn - auch wenn die Errichtung eines zweiten Israels
im Irak und die Instrumentalisierung des kurdischen Brudervolkes zur
Erfüllung eines quasi zionistischen Planes letztlich unmöglich ist."
Anmerkungen: