Die Iranian Student News Agency veröffentlichte am 26.02.2003
Auszüge aus einem Gespräch mit Dr. Mohssen Mirdamadi, Vorsitzender der
Kommission für nationale Sicherheit und Außenpolitik des iranischen
Parlaments. Mirdamadi geht dabei auf Überlegungen zur Positionierung des
Iran in der gegenwärtigen Irakkrise ein. Im folgenden dokumentieren wir
Auszüge aus dem Interview, dass unter
www.isnagency.com
veröffentlicht wurde:
"Der Streit zwischen den USA und dem Irak brachte prinzipiell nichts,
d.h. die Berichte der Waffenkontrolleure der Vereinten Nationen über den
Irak und die Diskussionen im Sicherheitsrat haben nichts an den
politischen Zielsetzungen der USA verändert. [...]
Die Widerstände [auf internationaler Ebene] können die militärischen
Operationen für ein paar Tage verzögern, aber der militärische Aufmarsch
der Amerikaner zeugt davon, dass der Krieg stattfinden wird. Die
Amerikaner haben sich auf einen Weg ohne Rückkehr begeben, um das
irakische Regime zu ändern. Da der Ruf der Amerikaner auf dem Spiel
steht, können die Berichte der Kontrolleure lediglich den Krieg
verzögern, ändern aber am eigentlichen Problem nichts. [...]
Die USA haben eine mächtige Rolle in der neuen Weltordnung für sich
vorgesehen und sie sehen sich in der Lage, gegen jedes Regime einen
Krieg zu führen und nach Belieben für einen Regimewechsel zu sorgen.
Nach Afghanistan haben die USA ihre Politik gegen den Irak auf eine
neue Ebene gebracht. Der Irak kann für eine solche Strategie nur der
Anfang, und nicht das Ende sein. Wenn die Amerikaner an diesem
Anfangspunkt aufgehalten werden und nicht erfolgreich sind, werden sie
diese Chance für immer verloren haben. Sie werden daher all ihre Kräfte
nutzen, um [gleich] zu Beginn all ihre Vorteile zu nutzen.
Sollten sie die Zustimmung der anderen bekommen, werden sie gemeinsam
mit ihnen handeln. Wenn nicht, so werden sie alleine handeln. Handeln
sie anders, wird die von ihnen beabsichtigte neue Ordnung eine
Niederlage erleiden.
Die Bedingungen haben sich in der Region nicht verändert und sie [die
Amerikaner] werden bald gegen den Irak vorgehen. Die Sache könnte sich
anders entwickeln, wenn ein Wandel innerhalb des Irak vollzogen wird,
was jedoch sehr unwahrscheinlich ist. [...]
Die Präsenz der amerikanischen Militärkräfte in der Region wird
ernsthafte Auswirkungen haben, und wie schon erwähnt, wird der Irak
nicht das Ende dieses Planes in der Region sein, sondern dessen Anfang.
Dann [erst] werden die ernsten Konsequenzen einsetzen. Falls die
Amerikaner im Irak erfolgreich sein werden und wenn dieser Erfolg in
kürzerer Zeit erzielt wird, werden diese Auswirkungen besonders groß
sein. [...]
Nach dem Irak wird der größte Druck auf Syrien ausgeübt werden, zumal
Syrien mit Israel benachbart ist. Ein anderer Nachbar des Irak ist die
Türkei. Die Türkei und Israel arbeiten militärisch zusammen und [auch]
Jordanien ist pro-amerikanisch. Der neue Irak wird sich ähnlich [wie
Jordanien] verhalten und [somit] wird Syrien umzingelt sein. Zunächst
wird der Druck auf Syrien lasten, damit es sich aus dem Libanon
zurückzieht, dann werden weitere Schritte folgen. [...]
Auch der Ölmarkt wird sich stark ändern. Wenn Irak mehr Öl exportieren
wird, werden Saudi-Arabien und Iran große Probleme bekommen. Die USA
könnten so intensiver im Irak investieren, dass die OPEC de facto
geschwächt würde. Die OPEC könnte in einem solchen Fall auseinander
fallen. Es sind die wirtschaftlichen Probleme, die die Staaten der
Region in Schwierigkeiten bringen könnten. Hinzu kommt noch der
politische Druck, der auf die Staaten ausgeübt wird. [...]
Auch Jemen und Ägypten sind nicht vor den Auswirkungen eines
Irak-Krieges gefeit. Die Ägypter sind überzeugt, dass sie die Nachbeben
der amerikanischen Militäroperationen spüren werden. Wenn die
amerikanischen Operationen lange dauern, werden die amerikanischen
Erfolge umso geringer sein. [...]
Außerdem wird der Extremismus und Radikalismus in der Region zunehmen,
besonders weil in den islamischen Ländern ein großer Hass gegen die USA
besteht. Die Menschen sehen, dass gegen die israelische Politik nicht
protestiert wird, während die USA hart gegen den Irak vorgeht. Dennoch
hat die Politik des Irak in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass
niemand den Irak unterstützt, nicht einmal Frankreich und Deutschland,
die gegen die militärischen Operationen der Amerikaner sind. Sie
betonen, dass sie nicht Saddam verteidigen, aber wenn sie die Situation
in Palästina betrachten und sehen, wie die USA und andere Weltmächte
sich dort verhalten und wenn sie die US-Palästina-Politik mit der
US-Irak-Politik vergleichen, bemerken sie, dass zweierlei Maß angesetzt
werden, und sehen das Ergebnis dieser unterschiedlichen Reaktionen
[seitens der USA und der Weltmächte]. Deswegen werden nach den
militärischen Operationen die extremistischen und radikalen Bewegungen
in der Region stärker wachsen. Je mehr die USA ihre Politik in der
Region fortführt, desto mehr wird der Radikalismus zunehmen. [...] Iran
kann in diesem Krieg auf keiner der beiden Seiten in den Krieg
eintreten. Wir können nicht das irakische Regime verteidigen, wenn wir
an den langen [iranisch-irakischen] Krieg denken. Die iranische
Bevölkerung würde einen solchen Schritt nie akzeptieren. In der
Vergangenheit hat das irakische Regime große Unsicherheit in der Region
ausgelöst.
Wir können [aber] auch nicht auf der Seite der Amerikaner kämpfen. Wir
können nicht mit ihnen kooperieren. Denn die USA wollen ohne eine
Verbindung mit der irakischen Bevölkerung Entscheidungen treffen, die
den Willen der Bevölkerung nicht berücksichtigen. Eine solche Politik
kann in der gegenwärtigen Weltordnung nicht akzeptiert werden. Wir
können nicht mit den Amerikanern kooperieren, da uns eine solche Politik
in Zukunft große Probleme bereiten würde. [...]
Wir müssen aufpassen, dass wir auf keine Seite gezogen werden. Wir
müssen aber mit allen regionalen und internationalen Protagonisten im
Zusammenhang mit diesem Problem in Kontakt bleiben und eine aktive
Diplomatie betreiben.
Wir haben mit allen Nachbarländern gemeinsame Interessen. Wir müssen an
den gemeinsamen Interessen arbeiten. Beispielsweise haben wir mit der
Türkei das gemeinsame Interesse, dass der Irak nicht geteilt wird. Mit
Kuwait, das ein Verbündeter der USA ist, haben wir gemeinsame Interessen
beim Schutz des Ölmarktes und der OPEC. Mit den Kuwaitis haben wir auch
das gemeinsame Interesse, dass im zukünftigen Irak strukturelle
Änderungen vollzogen werden und dass die Iraker selbst ihr Land
regieren. Wir haben mit Syrien in Bezug auf die libanesische Hizbollah
und Palästina gemeinsame Interessen. Wir haben mit allen unseren
Nachbarländern in der Region bei einer Reihe von Themen gemeinsame
Interessen und wir müssen mit ihnen zusammen arbeiten. [...]
Europa verfolgt auf der internationalen Ebene eine ernsthafte Politik
gegen den Krieg. Diese Politik harmoniert gänzlich mit unserer Politik.
Wir können gemeinsam mit Staaten wie Deutschland und Frankreich eine
Politik gegen den Krieg verfolgen. Wir können mit einer aktiven
Diplomatie in der Region unsere Präsenz zeigen. Natürlich können wir
auch gegenüber den USA in einem mehrseitigen Dialog unsere Positionen
austragen und uns verteidigen. [...]
Unsere Beziehung zu der irakischen Regierung bedeutet nicht, dass wir
Saddam unterstützen. Die Türkei ist Mitglied der NATO und wird sicher an
den militärischen Aktionen gegen den Irak beteiligt sein. Aber trotzdem
pflegt die Türkei diplomatische Beziehungen mit dem Irak. Das Kommen und
Gehen der Minister verschiedener Länder weist nicht auf gegenseitige
Unterstützung hin. Im Vordergrund steht jeweils die Vertretung der
eigenen Interessen. Wir haben Beziehungen mit dem Irak, weil unsere
Pilger nach Irak reisen und weil wir gemeinsame Handelsabkommen haben.
Daher müssen die entsprechenden Apparate miteinander agieren.
Niemand in der Welt hat den Besuch des irakischen Außenministers im
Iran als Zeichen einer iranischen Unterstützung interpretiert. Alle
wissen, dass beide Seiten nationale Interessen verfolgen. Diese
Spielregeln sind in der internationalen Diplomatie normal. [...]
Auch der Besuch [des iranischen Außenministers] bei [Tony] Blair in
England bedeutet nicht eine Bestätigung der britischen Irak-Politik. Es
geht mehr um Beratung. Wir müssen sehen, welche gemeinsamen Interessen
wir haben können. Morgen könnte sich der iranische Außenminister auch
mit dem französischen Außenminister treffen, der eine ganz andere
Politik als England verfolgt. Weder kann eine Reise nach England als die
Bestätigung der britischen Politik interpretiert werden, noch bedeutet
eine Reise nach Frankreich die Bestätigung der französischen Politik.
Diese beruhen auf Gegenseitigkeit und sind für die Außenbeziehungen der
Staaten wichtig, sogar gegenüber Staaten, deren Politik gänzlich
abgelehnt wird.
Er ergänzte: Wir sehen überhaupt keine Probleme im Umgang mit Irak und
Europa. Wir müssen besonders mit den europäischen Staaten diplomatische
Beziehungen pflegen. [...]"
THE MIDDLE EAST MEDIA RESEARCH
INSTITUTE (MEMRI)
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