Interview mit islamischer Feministin:
"Wir müssen den Koran neu interpretieren"
Interview: Farsaneh Sarmadi
Die iranische Frauenrechtlerin Mahbubeh
Abbasgholizadeh kämpft für die Gleichberechtigung und kann das mit
ihrem muslimischen Glauben vereinbaren. Sie hält den islamischen
Feminismus für so modern wie den nichtislamischen
taz: Sie bezeichnen sich als "islamische
Feministin". Wodurch unterscheiden Sie sich von modernen
Feministinnen?
Mahbubeh Abbasgholizadeh: Der Unterschied liegt in
erster Linie nicht in den konkreten Forderungen, sondern in der
Weltanschauung. Ich bin eine Iranerin und gehöre einer bestimmten
Religion an. Ich glaube an Gott, verrichte täglich das Gebet und
möchte zugleich alle Rechte genießen, die einem freien Individuum
zukommen. Ich trete für Gleichberechtigung zwischen Männern und
Frauen ein, möchte aber dabei meinen Glauben, der einen wichtigen
Teil meiner Identität und Persönlichkeit ausmacht, nicht verlieren.
Ich kann zum Beispiel nicht einsehen, warum Mütter, die sich
gewöhnlich weit mehr als Väter um ihre Kinder kümmern, nicht das
Sorgerecht bekommen, warum Frauen nicht richten und als Zeugin beim
Gericht auftreten können und warum diese Rechte allein Männern
zugestanden werden. Solche Ungleichheiten passen nicht mehr in
unsere Zeit. Ich fordere die Einhaltung der Menschenrechte, will
aber auf meine religiösen Überzeugungen nicht verzichten.
Aber diese Ungleichheiten gehören zum Islam,
sie basieren auf dem Koran.
Richtig, sie werden aus dem Koran und den
Überlieferungen abgeleitet. Aber wenn ich sie ablehne, muss ich doch
deswegen nicht meinen Gott und meinen Glauben aufgeben. Wir müssen
den Koran neu lesen und interpretieren. Für mich sind bestimmte
Werte, die die Substanz der Religion bilden, wichtig. Das ist auch
der Standpunkt der modernen islamischen Aufklärer. Sie lesen den
Koran mit einem kritischen Blick, lassen sich dabei von ihrem
Verstand und ihrer Vernunft leiten und berücksichtigen die
Erkenntnisse und Errungenschaften der Moderne. So betrachtet ist der
islamische Feminismus genauso modern wie der nichtislamische.
Gibt es im Iran Gruppen, die sich speziell für
Frauenrechte einsetzen?
Ja, die meisten Reformparteien und Organisationen
haben eine Frauenarbeitsgruppe. Aber das Hauptziel dieser Gruppen
ist eine größere Beteiligung der Frauen an der politischen Macht.
Daneben gibt es FrauenrechtlerInnen, die im akademischen Bereich
tätig sind. Ihre Arbeit ist wertvoll, hat aber keine unmittelbare
gesellschaftliche Wirkung. Ausgesprochen wirksam war das Engagement
einer neuen Generation von Journalistinnen, die mit dem Beginn der
Reformen zum Zug kam. Sie wurde jedoch durch das Verbot zahlreicher
Zeitungen in den letzten Jahren wieder zurückgedrängt. Die
wichtigste Arbeit leisten regierungsunabhängige Frauengruppen.
Einige kämpfen für die Rechte der Frauen oder allgemein für
Menschenrechte, andere sind in Bereichen wie Erziehung, Umwelt und
Gesundheit engagiert.
Konnten die Reformer um Präsident Chatami, die
auch im Parlament die Mehrheit hatten, in Bezug auf
Gleichberechtigung Erfolge vorweisen?
In gewisser Hinsicht schon. Immerhin wurden
zahlreiche Frauen in die Regierungsarbeit miteinbezogen. In die
höchsten Ränge gelangten sie allerdings, bis auf wenigen Ausnahmen,
nicht. Denn erstens gehört die monopolisierende Dominanz der Männer
nach wie vor zu unserer Kultur und zweitens mangelt es den Frauen an
Erfahrung. Der Vorschlag der Reformerinnen, mehr Frauen in die
Staatsführung aufzunehmen, wurde mit der Begründung abgelehnt, dass
die Zeit dafür noch nicht reif sei und man sich solche Provokationen
gegen die Islamisten nicht erlauben könne. Insgesamt kann man sagen,
dass die Reformbewegung den Frauen mehr Freiräume und größeres
Mitspracherecht gewährt hat. Aber in Bezug auf Erweiterung der
Frauenrechte hat sie wenig vorzuweisen. Das, was gesetzlich
beschlossen worden ist, hätte auch ohne die Reformer erreicht werden
können. Die Bilanz wäre positiver ausgefallen, wenn die Männer mehr
Sensibilität für die Rechte der Frauen gezeigt hätten. Gleichzeitig
muss man berücksichtigen, dass die Freiräume auch negative Folgen
hatten: die Scheidungsrate ist enorm gestiegen, ebenso die Zahl
junger Frauen, die ihre Eltern verlassen. Auch der Frauenschmuggel
und die Prostitution stellen heute im Iran ein wichtiges
gesellschaftliches Problem dar.
Nun wird vermutlich der Sieg der Konservativen
bei den Parlamentswahlen den Reformen ein Ende setzen. Welche Folgen
wird die politische Wende Ihrer Meinung nach für die Frauen haben?
Zunächst waren wir resigniert. Doch dann dachten
wir, die Zivilgesellschaft wird sich durchsetzen. Wir haben unsere
konkreten Forderungen, die von 120 regierungsunabhängigen
Organisationen unterzeichnet wurden, formuliert und sie auch im
Internet veröffentlicht. Ich denke, die Ereignisse der letzten
Monate haben die Frauen noch mehr zusammengeschmiedet. Nach meiner
Überzeugung werden selbst die radikalsten Fundamentalisten die
Realitäten nicht ignorieren können. Eine Rückkehr in die Zeit vor
zwanzig Jahren wird es nicht geben.
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29-04-2003 |