Iran:
Griff nach der Bombe
Die iranischen Machthaber
könnten bald Atomwaffen herstellen und lassen sich auch nicht von
internationalem Druck einschüchtern.
Von Wahied Wahdathagh
Jungle World 42 v. 6.10.2004
Werner Schoeltzke, der Vorsitzende des Nah- und
Mittelost-Vereins weiß, wer wie viel Geld zu verlieren hat. Deswegen
prophezeit er, dass sowohl Westeuropa als auch der Iran verlieren
würden, wenn der Iran sein Urananreicherungsprogramm nicht beende
und die europäische Diplomatie keine Lösung für den Atomkonflikt
finde. Vergangene Woche reiste der Lobbyist schon mal mit
Wirtschaftsstaatssekretär Alfred Tacke und einer deutschen
Firmendelegation in den Iran. Man wollte die Bedeutung des
iranischen Marktes für das deutsche Kapital unterstreichen und
zugleich die Mullahs davon überzeugen, dass die Geschäfte gefährdet
sind, falls sie in der Atomfrage nicht nachgeben.
Werner Schoeltzke hat kein Problem mit der
Diktatur der Mullahs, die durch wirtschaftliche Beziehungen
stabilisiert wird. Nur der Bau einer iranischen Atombombe und
entsprechender Trägerraketen, die München und London erreichen
könnten, wird zu einem Problem. Dabei steht mehr auf dem Spiel als
die Interessen des deutschen und europäischen Kapitals. Es geht um
die Stabilisierung der islamistischen Diktatur und ihren Aufstieg
zur Atommacht, die eine regionale Aufrüstung provozieren dürfte. Es
geht es um die mögliche Unterstützung von terroristischen Gruppen
mit schmutzigen Waffen. Und es geht um die Gefahr einer Zerstörung
Israels durch einen Gottesstaat. Denn nicht nur der General der
Revolutionsgarden, Rahim Safavi, hält "die Zeit für gekommen, Israel
auszumerzen".
In Europa und den USA glaubt niemand, dass der
Iran den gesamten nuklearen Brennstoffkreislauf nur deshalb
beherrschen will, um seine Energieversorgung zu gewährleisten und
verarmte Dörfer zu elektrifizieren. Schließlich kann angereichertes
Uran für den Bau von Atombomben verwendet werden. Der staatliche
Klerus hofft, seine Herrschaft mit Atomwaffen zu untermauern und so
zu verewigen. Immerhin zweifeln immer mehr Iraner an der Legitimität
des Gottesstaates; erst am Freitag feierten hunderte Iraner in
verschiedenen Städten das altpersische Mehregan-Fest, was durchaus
auch als symbolischer Protest gegen die herrschenden islamischen
Gesetze gedeutet werden kann. Vor allem in Isfahan kam es dabei zu
gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, bei denen nach
Angaben der Nachrichtenagentur Bastab drei Polizisten schwer
verletzt und 270 Leute verhaftet wurden. Der großen iranischen
Zeitung Hamshahri zufolge sollen allein in den letzten fünf Monaten
über 34 000 Menschen, zumeist junge Frauen, wegen "Sittenlosigkeit"
verhaftet worden sein.
Wie Ali Akbar Velayati, der im Mykonos-Urteil als
einer der Drahtzieher des Attentats auf iranische Oppositionelle
identifiziert wurde und gegenwärtig zu den offiziellen Beratern des
religiösen Führers Ali Khamenei zählt, kürzlich feststellte, gehört
der Iran zu den zehn Atomstaaten der Welt. Er lobte die
"Staatskunst", die dies erst ermöglicht habe.
Um die Europäer zu beruhigen, treten die
Reformislamisten für die Einhaltung der internationalen Verträge ein
und meinen, dass diese nur durch nationales und islamisches Recht
eingeschränkt werden können. Wie in allen anderen Fragen haben
allerdings auch in der Atomfrage die Hardliner des Wächterrats das
letzte Wort. Und inzwischen droht sogar der reformislamistische
Präsident Muhammad Khatami mit einem Ausstieg aus dem
Atomwaffensperrvertrag, den der Iran bereits 1970 unterschrieben
hatte.
Khatami erklärte kürzlich, der Iran werde das
Abkommen kündigen, falls die Urananreicherung im UN-Sicherheitsrat
thematisiert werde. Immerhin hat der Gouverneursrat der
Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) den Iran dazu
aufgefordert, die Urananreicherung zu beenden. Ungeklärt seien die
Gründe der Kontaminierung von Maschinen mit angereichertem Uran, der
Import und die Herstellung von Zentrifugen sowie der Bau eines
Schwerwasserreaktors. Die IAEA sowie Deutschland, Frankreich und
Großbritannien haben sich mittlerweile der US-amerikanischen
Position angenähert und verlangen von Teheran, bis zur nächsten
Ratssitzung am 25. November Bericht zu erstatten und endlich das
Zusatzprotokoll zu ratifizieren.
Um Zeit zu gewinnen, haben die iranischen
Politiker geschickt taktiert. Hassan Rohani, Mitglied des Nationalen
Sicherheitsrates, war einer derjenigen, der die Europäer beruhigte
und versicherte, dass der Iran kein Programm zur Urananreicherung
verfolge. Doch wenn die Europäer nicht auf den Wunsch nach
Technologietransfer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit dem Iran
eingingen oder den Fall dem UN-Sicherheitsrat vorlegten, könne der
Iran sich für eine Anreicherung entscheiden. Damit nahmen die
iranischen "Staatskünstler" die europäischen Politiker sozusagen als
Geisel, ohne dass diese es bemerkt hätten. Sie schufen die
Voraussetzung, dass radioaktive Munition bereitgestellt wird,
trösteten aber die Europäer, dass die Waffe noch nicht geladen sei.
Vor knapp zwei Wochen gab der Leiter der
iranischen Atomenergiebehörde bekannt, dass der Iran mit der
Anreicherung von 37 Tonnen "yellow cake" begonnen habe. Das Gas aus
dem "gelben Kuchen" ist ein Vorprodukt für die Urananreicherung und
könnte für mindestens eine Atombombe reichen. Somit könnten die
Drohungen eines Staatsterroristen wie Ali Akbar Velayati, der tönt,
dass der Iran "nicht nur eine regionale Macht, sondern eine
Weltmacht" werde, Wirklichkeit werden. Damit wäre die
Appeasement-Politik des europäischen "konstruktiven Dialogs", aber
auch die US-amerikanische Strategie gescheitert.
Es sind keineswegs nur energiepolitische Gründe,
weswegen der Iran auf den nuklearen Kreislauf pocht. Schließlich
besitzt das Land immense Öl- und Gasressourcen, außerdem könnte die
zukünftige Energieversorgung mit Sonnenenergie gesichert werden. Der
Iran setzt auf Autarkie und will "unabhängig" vom Ausland sein.
Daher spricht auch Hassan Rohani von einem "logischen Recht" auf den
geschlossenen atomaren Kreislauf. Der Iran hält die Forderungen der
EU, der USA und der IAEA, die Urananreicherung zu stoppen, für
unhaltbar.
Offenbar verfolgt der Iran drei strategische
Ziele, ein diplomatisches, ein wirtschaftliches und ein
militärisches. Auf der diplomatischen Ebene versucht man, die
Widersprüche zwischen Europa und den USA zu seinen eigenen Gunsten
auszunutzen. Wirtschaftlich werden die Europäer einerseits dazu
eingeladen, im Iran zu investieren, andererseits wird mit einem
neuen Ölboykott gedroht. Akbar Aalami, Mitglied des Nationalen
Sicherheitsrates des Parlaments, drohte kürzlich, dass Europa vom
iranischen Öl abhängig sei und im Falle einer Entscheidung für den
Sicherheitsrat wirtschaftlich verlieren würde. Militärisch schwingt
man sich zur Regionalmacht auf. Offen drohte General Yadollah Javani
jüngst mit Angriffen auf Israel und US-amerikanische Stützpunkte im
Mittleren Osten. Am Samstag kündigte Außenminister Kamal Charrasi
Vergeltungsmaßnahmen an, falls Israel den Iran angreifen sollte.
Verteidigungsminister Ali Shamkhani drohte gar mit einem
Präventivschlag mit den Mittel- und Langstreckenwaffen, die erst
Mitte September erfolgreich getesteten wurden.
Die deutsche Außenpolitik ist mit der
Unterstützung des reformislamistischen Flügels der Diktatur
gescheitert, ebenso ein Teil der säkularen Exilopposition, die
Exil-Republikaner. Nun sprechen sich diese für eine friedliche
Nutzung der Atomenergie durch den Gottesstaat aus und fordern erneut
eine Quadratur des Kreises: die Reformierung der "Islamischen
Republik Iran".
hagalil.com
10-10-2004 |