Übersetzt und
zusammengefasst von Dr. Wahied Wahdat-Hagh*
In der reformislamistischen
Zeitung Sharq vom 20. September 2004 erklärte Mohammad Javad Ruh, dass
das Atomprogramm für den Iran mittlerweile wichtiger als die Frage der
Meinungsfreiheit, die Lage der politischen Gefangenen oder das Wahlrecht
geworden sei. Schließlich könne eine Untersuchung durch den
UN-Sicherheitsrat einen wirtschaftlichen Boykott oder ein militärisches
Embargo gegen den Iran zur Folge haben, was dem politischen und
kulturellen Klima des Landes schaden würde.
In seinem Artikel analysiert
Ruh die unterschiedlichen Positionen zur Atomfrage von drei Gruppen im
In- und Ausland. Er unterscheidet dabei zwischen Gruppen, die einen
Krieg gegen den Iran befürworten sowie den demokratischen
Friedensanhängern und den Konservativen. Ruh stellt in der Atomfrage
einen Konsens zwischen säkularen Exilrepublikanern und den
Reformislamisten im Iran fest. Für beide stünden dabei die nationalen
Interessen des Iran im Vordergrund. Außerdem geht der Autor auf die
Forderung von über 200 Majlessmitglieder nach einem Ausstieg aus dem
NPT-Vertrag [Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen]
ein. [1] Wir dokumentieren Auszüge aus seinem Artikel:
Die Kriegsbefürworter
Ruh geht zunächst auf die
Gruppe der Befürworter eines Krieges gegen den Iran ein - zählt aber
lediglich die Organisation der Volksmojahedin zu dieser Kategorie. Diese
begrüßten seiner Meinung nach auf jeden Fall einen militärischen Angriff
gegen den Iran, um den Sturz der Regierung zu forcieren. Die
Volksmojahedin seien jedoch in der iranischen Gesellschaft eine
isolierte Gruppe. […]
Demokratische Kriegsgegner:
Reformislamisten und säkulare Exilrepublikaner
Dann bemerkt Ruh: "Es ist
deutlich geworden, dass die Positionen der verschiedenen Fraktionen der
Friedensanhänger im In- und Ausland in der Atomfrage gleich sind. Es
handelt sich dabei um politische Fraktionen, deren politische
Zielsetzungen eigentlich völlig unterschiedlich sind und die
insbesondere aufgrund ihrer Geschichte Differenzen und Feindseligkeiten
gegeneinander hegen. Dennoch haben sich diese Kräfte immer intensiver
mit dem Thema der Demokratisierung auseinandergesetzt." So hätten auch
die Exilgruppen trotz unterschiedlicher ideologischer Ausrichtungen die
Wahl von Mohammad Khatami zunächst unterstützt.
Mit der Zeit hätten sich die
strategischen Unterschiede aber zu einem [politischen] Widerspruch
entwickelt: "Die Reformer pochten auf einer 'islamischen Republik' und
die [Exil]opposition auf einer [säkularen] 'Republik'. Dabei
entwickelten sie unterschiedliche Positionen zu den Kommunalwahlen oder
der Wahl des siebten Majless. In der Atomfrage scheint es aber keine
Differenzen zwischen den beiden Lagern zu geben. Zwar gibt es
unterschiedliche Positionen zu innenpolitischen Themen, wie der
Verfassungsfrage oder den Rechtsfragen in Hinblick auf eine
Demokratisierung der Machtstrukturen - bezüglich des Atomproblems gibt
es jedoch keine Differenzen. [...] [Auch] über die bestehenden
internationalen Verträge wie den NPT-Vertrag gibt es keinerlei
Meinungsunterschiede zwischen den inländischen Reformern und der
exil-republikanischen Opposition."
Beispielhaft führt Ruh seine
These dann anhand der Position des bekannten Mitglieds der
Partizipationsfront [Jebheye Mosharekat] Mohssen Mirdamadi aus, der im
sechsten Majless Vorsitzender der Kommission für nationale Sicherheit
war. Ruh zitiert ihn mit der Frage, warum die Aufsicht über die
Atomkontrolle nunmehr von den nationalen Gremien auf die internationalen
Institutionen übertragen worden sei. Mirdamadi moniert laut Ruh, dass er
als Vertreter der Kommission für nationale Sicherheit erst ein Jahr nach
Al-Baradei die Atomanlagen in Natanz und Arak besuchen konnte. Viele
offizielle iranische Instanzen würden über die genaue Atompolitik des
Iran nicht informiert werden. Mirdamadi weiter: "Wir sind der
Überzeugung, dass wir alle internationalen Verträge und Protokolle
akzeptieren sollten und durch die Schaffung einer Vertrauensbasis
verhindern müssen, dass gegen uns weitere Maßnahmen jenseits der
Verträge ergriffen werden. Wir müssen die Kapazitäten des Iran
realistisch betrachten und überlegen, ob wir, falls die Akte wirklich
zum Sicherheitsrat geschickt werden sollte, ein Wirtschaftsembargo
überstehen würden."
Ähnlich wie die "Organisation
der Mojahedin der islamischen Revolution" [1] habe die
reformislamistische Partizipationsfront, so folgert Ruh, eine
"Kosten-Nutzen-Analyse" durchgeführt: "Wenn die iranische Atomfrage an
den Sicherheitsrat überstellt würde, wäre eine rote Linie für das Land
überschritten. Ein solcher Vorgang würde nicht nur den [Ausbau eines]
geschlossenen Atomkreises und die Urananreicherung verhindern, sondern
darüber hinaus würden uns weitere Einschränkungen auferlegt werden." Es
müsse alles unternommen werden, um zu vermeiden, dass die iranische
Atomakte im Sicherheitsrat lande. "Andernfalls", so zitiert Ruh
Mirdamadi, "müssten wir einen hohen Preis zahlen und für immer auf
unsere Errungenschaften auf dem Gebiet der Atomforschung verzichten."
Ruh referiert dann die Position
des Physikers Ahmad Shirsad, Mitglied des Zentralrats der
reformislamistischen Partizipationsfront, der in seiner Kritik am
iranischen Atomprogramm noch weiter geht als Mirdamadi: "Dieses
(Atom-)Problem", so Shirsad, "ist zur Schwachstelle des Iran geworden,
das von den Ausländern dazu benutzt wird, um den Iran unter Druck zu
setzen. Dieses Problem schwächt den Iran, statt ihn zu stärken." Ähnlich
zitiert Ruh auch den Bruder des amtierenden Präsidenten, Mohammadresa
Khatami, Generalsekretär der Partizipationsfront: "Unser größtes
außenpolitisches Problem im nächsten Jahr ist das Atomproblem. Die
Krisen werden sich verschärfen, wenn das Atomproblem mit
Menschenrechtsproblemen vermischt wird." Auch Khatami fürchte, dass der
Druck auf den Iran noch stärker werden könnte. […]
Anschließend vergleicht Ruh
diese Positionen von Reformislamisten im Iran mit den Ansichten der
säkularen Exilrepublikaner und kommt zu dem Schluss: "Die Positionen der
Exilrepublikaner als wichtigste Oppositionsgruppe stimmen auf bestimmte
Art und Weise mit den Ansichten der inländischen Reformer überein."
Letztere hatten Anfang September in einer Erklärung ihre Sorge um die
nationalen iranischen Interessen, das Atomprogramm und die Situation in
den Nachbarländern formuliert. Und wie sie seien eben auch die
Exilrepublikaner darüber besorgt, dass die Europäer dem iranischen
Atomprogramm mittlerweile misstrauisch gegenüberständen, weil die
Gespräche mit Frankreich, England und Deutschland gescheitert seien und
der Iran seine Versprechen über einen Stopp des Zentrifugenbaus zur
Urananreicherung zurückgenommen habe. So hätten die Exilrepublikaner zum
Beispiel davor gewarnt, militärische Drohgebärden zu äußern und sich
dabei auf die Reden des iranischen Verteidigungsminister bezogen, der im
Fall eines Angriffs auf den Iran von einem möglichen atomaren
Gegenschlag [Podafande Hastei] gesprochen hatte.[3]
Außerdem, so Ruh weiter, hätten
die Exilrepublikaner darauf verwiesen, dass die USA die iranische
Atomakte auf jeden Fall vor den Sicherheitsrat bringen wollten. So
hätten die Amerikaner eindeutig erklärt, alles tun zu wollen, um das
Atomprojekt des Iran zu stoppen. Auch Israel habe davon gesprochen,
gegebenenfalls die iranischen Atomanlagen zu zerstören. Diese
Entwicklungen, so fasst Ruh die Warnung der Exilrepublikaner zusammen,
könnten dazu führen, dass die iranischen Machthaber das politische Klima
weiter militarisieren und zu militärischen Lösungsversuchen greifen
könnten, weil sie innenpolitische Probleme durch außenpolitische
Spannungen vertuschen wollten. Trotzdem seien auch die Exilrepublikaner
der Überzeugung, dass der Iran ein Recht auf das Atomprogramm habe.
Bedingung dafür sei jedoch, dass das Vertrauen der internationalen
Gemeinschaft gewonnen werde und die internationale Atomenergiebehörde
ihre Kontrollen fortsetzen dürfe. Auch die Beziehungen zu den USA
sollten normalisiert werden. Andernfalls könnte es passieren, dass der
Iran einen hohen ökonomischen oder gar militärischen Preis zahlen
müsste. Auch würden sie Exilrepublikaner Ruh zufolge die iranische
Regierung weiter davor warnen, Europa und die USA in der Atomfrage
spalten zu wollen oder gar die Probleme der USA im Irak zu
instrumentalisieren. Auch die mit solchen Ambitionen verbundene
Hoffnung, die IAEA könnte dem iranischen Atomprogramm womöglich ohne
Berücksichtigung der US-Position zustimmen, seien nicht realistisch. Vor
diesem Hintergrund würden die Exilrepublikaner von der iranischen
Regierung fordern, dem NPT-Vertrag treu zu bleiben, die Militärs aus dem
Atomstreit herauszuhalten und die Spannungen in den Beziehungen mit den
USA nicht weiter zu verstärken.
Die Konservativen
Die Konservativen nähmen, so
Ruh, in der Außenpolitik eine radikale Position ein. Eine Verbesserung
der Beziehungen mit dem 'Westen' würde nach Einschätzung der
Konservativen lediglich den Interessen der "Fremden" dienen. Deswegen
würden sich die Konservativen von vorneherein gegen jede Zusammenarbeit
mit der IAEA wenden.
Hussein Shariatmadari,
Herausgeber der Zeitung Kayhan, sei einer der Sprecher dieser Fraktion.
Er habe sich von Anfang an für einen Austritt des Iran aus dem
NPT-Vertrag ausgesprochen. Shariatmadari kritisiere daher auch die
Verhandlungen mit Europa und erklärt, dass der Westen den Iran auf diese
Weise nur "überlisten" wolle. Ruh zufolge, fühlt sich Shariatmadari
dadurch bestätigt, dass sich die Positionen von Europäern und
Amerikanern in den letzten Wochen angenähert haben. Der Dialog mit
Europa habe dazu geführt, dass die iranische Regierung eine "rote Linie
des Systems" überschritten habe.
Ruh erinnert in seinem Artikel
daran, dass kürzlich über 200 Majlessmitglieder schriftlich beantragt
haben, dass der Iran entgegen den Forderungen der internationalen
Atomenergiebehörde mit der Urananreicherung beginnen solle. Die
gegenwärtige politische Lage habe dazu geführt, dass inzwischen auch
moderate Konservative, wie Mohammad Javad Larijani [4], in einem
Fernsehinterview "nicht nur die Urananreicherung, sondern auch die
Atombombe als ein legitimes Recht des Iran betrachten". Larijani habe im
Kanal 2 des iranischen Fernsehens gesagt: "Mit Blick auf unsere
Verteidigungsstrategie macht es absolut keinen Sinn, dass der Feind
Atomwaffen besitzt, wir aber auf Atomwaffen verzichten." Ruh erinnert
daran, dass dies zu einem Zeitpunkt veröffentlicht worden wäre, als die
Islamische Republik erklärt hatte, dass die "Atombombe aus religiösen
Gründen verboten" sei. Trotzdem habe Larijani, der auch für einen
Ausstieg aus dem NPT-Vertrag ist, ausdrücklich gesagt: "Wir brauchen die
ganze Propaganda des Westens, nach der die Verfügung über atomare
Verteidigungsmittel nicht legitim ist. Es ist vielmehr eindeutig unser
Recht, Atomwaffen zu besitzen. Alle Länder um uns herum besitzen die
Atombombe. Israel hat die Atombombe und hat daher kein Recht, uns davon
abzuhalten, sie ebenfalls zu besitzen."
*Dr. Wahied Wahdat-Hagh ist
Politikwissenschaftler und arbeitet für MEMRI zum Iran.