Punkt ohne Umkehr:
Der Krieg gegen Irans Atombombe
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Wenn Iran die Atombombe baut, werde Israel noch
vor den USA angreifen. "Wir befürchten, dass Israel es tut, ohne
gefragt zu werden", so der amerikanische Vizepräsident Dick Cheney.
Der Welt bleibe dann, anschließend das "diplomatische Chaos" zu
beseitigen. Mossad-Chef Meir Dagan konterte vor dem
Sicherheitsausschuss der Knesset, dass Cheney mit der Erwähnung
angeblicher militärischer Absichten Israels die Europäer aufrütteln
wollte. Der Ausschussvorsitzende Juval Steinitz sagte: "Beim Krieg,
nein, beim Kampf gegen Irans Atompotential wird Israel nicht die
Speerspitze sein."
Steinitz äußerte die Sorge, dass schon demnächst der "Punkt ohne
Umkehr" erreicht sei. Innerhalb kurzer Zeit werde Iran ohne Hilfe
von Außen Uran anreichern können. Der israelische Iran-Experte
Efraim Kamm erklärte dieser Zeitung, dass die Fähigkeit, Uran
anzureichern der entscheidende Schritt auf dem Weg zur Atombombe
sei. Gering angereichertes Uran werde als Brennstoff in
Kernreaktoren verwendet. Hoch angereichertes Uran werde allein für
die Atombombe benötigt. Die Fähigkeit, Uran anzureichern sei die
entscheidende Stufe vor der Bombe.
Ob Israel die Fähigkeit und den Willen hat, Irans Atomprogramm zu
zerstören, wird öffentlich nicht diskutiert. Kamm meint, dass
möglicherweise nicht alle Atom-Fabriken und Labors im Iran bekannt
seien. Ein Militärschlag könne kein Ende des iranischen
Atomprogramms garantieren. Andere Hindernisse, etwa dass israelische
Kampfflugzeuge von befreundeten Ländern wie der Türkei starten oder
den Luftraum feindlicher Länder wie Syrien überfliegen müssten, wird
nicht diskutiert.
Vor einigen Monaten wies Premierminister Scharon seine Minister an,
keine Äußerungen über Iran zu machen. Scharon will Israel aus dem
Rampenlicht heraushalten. Gleichwohl lässt sich das Thema in Israel
nicht totschweigen. Auf Trägerraketen mit einer Reichweite von
tausenden Kilometern stand "Tel Aviv" als Adressat. Im vergangenen
Sommer verließ deshalb der französische Militärattaché aus Protest
eine Militärparade in Teheran. Israel hat zwar als einziges Land der
Welt ein funktionierendes Raketen-Abwehr-System entwickelt. Aber
selbst das beste Abwehrsystem bietet keine Garantie. Israel ist
geographisch so winzig, dass eine einzige Atombombe auf Tel Aviv
ausreicht, um den jüdischen Staat auszulöschen. Gemäß
Pressemeldungen besitzen mehrere arabische Staaten eigene
Atomprojekte, darunter Syrien und Ägypten. Sie argumentieren, eine
"Antwort" auf Israels angebliches Atompotential besitzen zu müssen.
Israelis stellen da gerne die geographischen Verhältnisse gegenüber.
Die arabische Welt mit 22 Staaten, mit den "muslimischen" Ländern
handelt es sich gar um 57 Staaten mit über einer Milliarde Menschen,
reicht von Marokko bis Indonesien. Die Juden hingegen haben nur ein
einziges Land, so groß wie Hessen und mit knapp zweimal der
Bevölkerung Berlins. Israel die Existenz einer Atombombe niemals
öffentlich bestätigt und schon gar nicht einem arabischen Land mit
"Vernichtung" gedroht. Israels Zerstörung anzudrohen gehört jedoch
in der arabischen Welt zum Standardprogramm. So verweigert auch
Irans Propaganda Israels das Existenzrecht. Iran fördert
palästinensische Terrororganisationen finanziell und politisch.
Teheran beliefert die Hisbollah im Libanon mit Raketen, die jeden
Ort in Israel treffen können. Iran stört aktiv die
Waffenstillstandsbemühungen des Mahmoud Abbas im Gazastreifen. Die
Politik Irans, Israel den Tod zu wünschen, gepaart mit dem
israelischen Holocausttrauma, erklärt Jerusalems Nervosität.
Doch Israel will nicht den Sündenbock spielen, wie es Cheney
andeutet. Juval Steinitz betont, dass die iranischen Trägerraketen
Westeuropa genauso erreichen können wie Saudi Arabien, Irak oder
eben Israel. "Wir handeln hinter den Kulissen, damit neben den USA
auch die Europäer handeln." Während die Amerikaner offenbar bereit
wären, gegen Irans Atomprogramm militärisch vorzugehen, mit
wesentlich besseren Ausgangspositionen als Israel, so zögert Europa,
dem Iran die Stirn zu bieten. Bundeskanzler Gerhard Schröder setzt
auf Diplomatie und entschärft amerikanisches Säbelrasseln. "Zu einer
militärischen Intervention darf es nicht kommen", sagte Schröder
beim SPD-Neujahrsempfang in Berlin. Doch diplomatisch sind die
Europäer bisher nicht sehr weit gekommen. Iran log und umging
Abmachungen mit Brüssel. Wiener Atom-Inspektoren mussten Wochen im
Voraus ihre Besuche anmelden und durften bestimmte Gebäude nicht
betreten. Weder Israel noch die Amerikaner haben Vertrauen in die
Aufrichtigkeit Teherans.
Wie vor dem Irak-Krieg, als arabische Länder dem amerikanischen
Druck glaubten und Saddam Hussein anboten, ins Exil zu gehen, um
einen Krieg zu verhindern, so baut sich im Fall von Iran schon
wieder eine fast identische Kontroverse zwischen Europa und den USA
auf. Indem Schröder eine militärische Intervention ausschließt,
mindert er den Druck auf Iran. Die Mullahs können sich wie Saddam
Hussein in Sicherheit wägen, keiner Kriegsgefahr ausgesetzt zu sein.
Unbekümmert können sie die "diplomatischen Bemühungen" der Europäer
in die Länge ziehen und insgeheim ihr Atomprogramm ausbauen. Sollte
diese Analyse stimmen, wäre Cheneys Äußerung über eine israelische
Attacke ein Griff in die psychologische Trickkiste. Die EU wie Iran
scheinen von der Unberechenbarkeit Israel überzeugt zu sein. Indem
Cheney keine Garantie für Israels Verhalten abgeben kann,
neutralisiert er die diplomatische Zurückhaltung der Europäer und
bekräftigt den amerikanischen Willen, um jeden Preis Iran vom Bau
einer Atombombe abzuhalten. Henri Barkey, Diplomat unter Bill
Clinton, durchschaute den Trick: "Wir haben hier eine rhetorische
Eskalation. Cheney erhöht das Drohpotential, indem er Israel ins
Spiel bringt."
hagalil.com
26-01-2005 |