Mit Schulbrot und Gasmaske:
Die israelische Bevölkerung richtet sich auf mögliche
irakische Angriffe ein
SUSANNE KNAUL
JERUSALEM taz "Glaub mir, die Maske ist bis zum
Jahr 2008 tauglich." Der Soldat an der Gasmaskenausgabestelle im
dritten Stock eines Warenhauses ist kurz davor, seine Geduld zu
verlieren. Vor ihm stehen zwei rumänische Gastarbeiter, die in fast
fließendem Hebräisch ihre Zweifel hervorbringen. Medienberichte
hatten enthüllt, dass die Armee an Ausländer mangelhafte
Schutzausrüstungen verteile. Die beiden Rumänen geben sich
schließlich mit den Erklärungen des Soldaten zufrieden und ziehen
murrend mit den Kartons, die je eine Maske und eine Atropinspritze
beinhalten, ab.
Alle Nichtisraelis müssen 200 Schekel (40 Euro) pro Maske bezahlen,
von denen sie bei Rückgabe die Hälfte erstattet bekommen. An der
Ausgabestelle für die Ausländer ist deutlich weniger Betrieb als an
den Tauschstellen für Israelis. "Ich stehe seit dreieinhalb Stunden
hier", jammert der 45 Jahre alte Avner, der unter jedem Arm zwei der
Kartons hält. "Wenn es nach mir ginge, wäre ich nicht hier", meint
er, "aber mein Sohn wird langsam nervös." Immer mehr Leute reihen
sich in die Schlange vor der provisorisch in einem Einkaufszentrum
errichteten Station mit einem Klapptisch, hinter dem Berge der
Pappkartons sowie die blauen Plastikkisten mit der Schutzausrüstung
für Kleinkinder gestapelt sind.
Der Abgeordnete Chaim Ramon (Arbeitspartei) nannte die staatlichen
Maßnahmen "vollkommen unproportional" und bedauerte, dass das
"vergeudete Geld" für die Vorsorgemaßnahmen nicht sinnvoller genutzt
wurde. Tatsächlich glaubt auch Premierminister Ariel Scharon, dass
die Chancen, das der Irak Israel angegreift, "1:100 stehen". Dessen
ungeachtet unternahm die Luftwaffe, Fernsehberichten zufolge,
bereits Anfang des Jahres Aufklärungsflüge über dem westlichen Irak,
wo die Scud-Abschussrampen vermutet werden. Das israelische
Raketenabwehrsystem ist in den vergangenen zwölf Jahren modernisiert
worden. Vor allem im Großraum Tel Aviv stationierten die Militärs
die Raketenabwehrsysteme vom Typ Patriot, die zum Teil auch von der
deutschen Bundeswehr zur Verfügung gestellt wurden.
Das so genannte Heimatfrontkommando rief am Mittwoch die Bevölkerung
dazu auf, mindestens ein Zimmer in der Wohnung mit Plastikplanen und
Klebestreifen abzudichten. Zahlreiche Geschäfte für Heimwerkerbedarf
bleiben seither rund um die Uhr geöffnet. Schon Tage bevor die
US-amerikanische Offensive überhaupt startete, erstickten drei
Menschen in einem israelisch-arabischen Dorf, weil ein offenes Feuer
im Kamin die Luft in dem versiegelten Zimmer verbrauchte. Ein
trauriges Déjà-vu - während des Krieges vor zwölf Jahren starben
mehrere äthiopische Einwanderer an Erstickung. Sie hatten die im
Hörfunk verbreiteten Verhaltensmaßnahmen nicht verstanden.
In Jerusalem befolgten nur wenige Israelis die militärische
Anweisung, das Haus ab sofort nicht mehr ohne Gasmasken zu
verlassen. Nur die Kinder mussten ihre Schutzausrüstungen mit in die
Schulen und Kindergärten bringen, wollten sie nicht riskieren,
gleich wieder nach Hause geschickt zu werden. Umfragen der
auflagenstärksten Tageszeitung Jediot Achronot zufolge, rechnet ein
Viertel der Israelis nicht mit einem Angriff und ignoriert die
militärischen Anweisungen. 16 Prozent der Bevölkerung in Tel Aviv,
wo während des letzten Krieges die meisten irakischen Raketen
einschlugen, wollen die Stadt verlassen. In Tel Aviv blieben gestern
viele Schüler zuhause. Vor allem in Ramat Gan, dem Viertel, das vor
zwölf Jahren wiederholt beschossen wurde, fanden sich nur rund ein
Fünftel der Schüler zum Unterricht ein, obschon das
Erziehungsministerium dazu aufgerufen hatte, die Alltagsroutine
nicht zu brechen."
taz.de
taz Nr. 7010 vom 21.3.2003
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21-03-2003 |