Die Bevölkerung in Israel sieht einem Krieg mit erstaunlicher
Gelassenheit entgegen:
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht
Von Thorsten Schmitz
Jerusalem – Israel sieht dem bevorstehenden
Irak-Krieg mit großer Gelassenheit entgegen. Die Bevölkerung ist
eher mit der Suche nach einem witzigen Kostüm beschäftigt als mit
dem Horten von Lebensmittelvorräten und dem Besorgen von Gasmasken.
In dieser Woche feiern die Israelis das Purim- Fest, den jüdischen
Fasching. Sie verkleiden sich als Prinzessinnen oder treten als
Astronaut Ilan Ramon auf, der bei der Explosion der amerikanischen
Raumfähre Columbia ums Leben kam. Ganz hoch im Kurs stehen in dieser
Saison jedoch Saddam Hussein oder palästinensische
Selbstmordattentäter.
Nur größere Plastikwaffen werden in den
Kostümgeschäften nicht angeboten, weil die Polizei
Verwechslungsgefahren mit echten Waffen von echten Terroristen
vermeiden will. Besonders im Großraum Tel Aviv sind private und
öffentliche Partys in Diskotheken und Bars ausgebucht, Purim-Umzüge
finden statt, obwohl 1991 im Golf-Krieg 39 irakische Scud-Raketen
auf die bevölkerungsreiche Küstenregion hinabregneten. Nur in
Jerusalem sagte die Stadtverwaltung die öffentlichen
Purim-Darbietungen ab – wegen einer Sturm- und Regenfront.
Das terrorgewohnte Israel geht seinem Alltag nach: in diesen Tagen
wird geheiratet und gearbeitet, werden Planungen für das Pessachfest
im April gemacht und für Filmfestivals. In Panik gerieten nur die
Ausländer, wie sich am Mittwoch wenige Stunden vor Ablauf des
Ultimatums ein Radiomoderator lustig machte. Sollten alle
Fluggesellschaften (wie im ersten Golf-Krieg) ihre Verbindungen
einstellen, bietet ein privater Dienst den Flug in europäische
Städte an. Die Fluggesellschaft British Airways hat vorerst ihre
London- Verbindungen eingestellt, Lufthansa dagegen setzt nun wegen
gestiegener Nachfrage Jumbo Jets ein. Die Botschaften Kanadas,
Großbritanniens und Japans rufen ihre Staatsbürger auf, Israel und
die Palästinensergebiete umgehend zu verlassen. Die Deutsche
Botschaft in Tel Aviv dagegen hält die Chancen auf einen irakischen
Vergeltungsschlag gegen Israel für relativ gering. Deren Sprecher
Reinhard Wiemer sagt, zurzeit gebe es keinen Anlass, deutsche
Staatsbürger zum Verlassen Israels aufzufordern. Auch die Botschaft
bleibt in Tel Aviv, nachdem man ursprünglich zu Kriegsbeginn
vorübergehend nach Jerusalem hatte ziehen wollen (weil der Irak dort
sicher nicht die muslimischen Heiligtümer zerstören werde).
Regierungschef Ariel Scharon versicherte am Mittwoch der
Bevölkerung, die Chancen auf einen Angriff des Irak lägen bei einem
Prozent. Auch das Verteidigungsministerium beruhigt die Menschen –
und präpariert sich gleichzeitig für alle Fälle. Die Luftwaffe ist
in erhöhter Alarmbereitschaft und kontrolliert den Himmel über
Israel, zehntausend Reservisten erhalten in diesen Tagen ihren
Einberufungsbefehl. Und weil die israelische Regierung vermeiden
will, dass palästinensische Terroristen vermehrt Anschläge
organisieren, sind deren Autonomiegebiete bis zum Sonntag
abgeriegelt. Zudem sind die Israelis vom Zivilschutzkommando
aufgefordert worden, einen Raum in ihren Wohnungen luftdicht zu
versiegeln und Gasmasken griffbereit zu halten. Wer dazu nicht
bereit ist, soll Schutz in einem der über das ganze Land verteilten
öffentlichen Bunker suchen. Die Geschäfte, in denen man Klebeband
und Plastikfolien erhält, melden einen um 100 Prozent höheren
Absatz, auch Mineralwasser ist sehr gefragt in diesen Tagen. Doch
von Panik keine Spur. Die Schulen sollen nicht geschlossen werden,
und selbst im Badeort Eilat im Süden des Landes wundern sich die
Hoteliers, dass kaum Reservierungen von potenziellen Gästen aus der
zentralen Küstenregion eingehen.
Israel hat sich „bestens“ vorbereitet für den Eventualfall,
verspricht Scharon, der einen Gegenschlag nicht ausschließt, sollte
sein Land mit biologischen oder chemischen Waffen attackiert werden.
Vorsorglich sind 20 000 Sanitäter, Ärzte, Polizisten und
Feuerwehrleute gegen Pocken geimpft worden. Im Raum Tel Aviv sowie
um Haifa sind Dutzende Raketenabwehrstellungen des Typs Pfeil
positioniert sowie die deutschen Leihgaben vom Typ Patriot. Die
Militärs sind überzeugt, dass das in Israel entwickelte Pfeil-System
irakische Scud-Raketen schon über jordanischem Luftraum abschießen
werde.
Masken:
Ob mit oder ohne
Das Leben ist wunderbar, und wir
arbeiten weiter...
hagalil.com
19-03-2003 |