
Israelischer Militärgeheimdienst:
Saddams Massenvernichtungswaffen sind im Irak oder in
Syrien versteckt
Nachrichtenartikel von Amos Harel, Ha'aretz,
20.07.2003
Übersetzung Daniela Marcus
Der militärische Geheimdienst der israelischen
Verteidigungsstreitkräfte ist nicht in Eile, am internationalen
Tumult teilzunehmen, vor allem dann nicht, wenn es möglicherweise
auf seine Kosten gehen könnte. Während den Geheimdiensten der USA
und Großbritanniens in den Medien die Leviten gelesen werden und
während sie sich vor Untersuchungskomitees winden und krümmen
bezüglich der Fragen, was sie wirklich wussten, was sie vermuteten
und was sie in Sachen der nicht-konventionellen Möglichkeiten des
Iraks angesichts des nahenden Krieges investierten, erfreut sich
Israels Geheimdienst einer Periode relativer Ruhe. Die israelische
Öffentlichkeit war zu sehr mit der Hudna und deren Konsequenzen
beschäftigt, um dem eigenen Geheimdienst ähnliche Fragen zu stellen.
Doch diese Schonfrist scheint nun eine Ende zu
haben. Als das Steinitz-Komitee –ein Komitee, das vom Vorsitzenden
der Auslandsgeschäfte der Knesset und vom Sicherheitskomitee
einberufen wurde, um die Geheimdienstoperationen im Irak zu
untersuchen- seine kritische Phase erreichte, erhob es eine Reihe
von Fragen für die Spitzen von Israels Sicherheitsstab, die
unerschütterlich an ihrer Anfangsposition festhalten: die
Geheimdienstinformationen waren präzise; die Entscheidungen waren
richtig, und die Massenvernichtungswaffen, die vom inzwischen
abgesetzten irakischen Präsidenten Saddam Hussein entwickelt worden
waren, sind noch irgendwo in der Wüste versteckt.
Die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF)
finden es natürlich angemessen, ihren Erfolg in dieser Angelegenheit
hervorzuheben. Die Fragen, die vor dem Krieg untersucht wurden,
bezogen sich nicht nur auf die Massenvernichtungswaffen, sondern
auch auf die US-amerikanische Entscheidung für diesen Angriff, auf
den ultimativen Zeitplan des Krieges, auf die Geschwindigkeit, mit
der das Regime fallen würde und auf weitere Dinge. Bezüglich all
dieser Punkte geben sich die IDF-Spitzen des israelischen
Sicherheitsstabs gute Noten.
Der militärische Geheimdienst gab dem Staat Israel
etwas, was als eine "strategische Warnung" bekannt wurde: Die USA
werden angreifen, sie werden die Iraker umfassend schlagen, und sie
werden die regionalen Angelegenheiten fundamental ändern. Diese
Diagnosen (und der geschätzte Zeitpunkt des Angriffs) erlaubten es
der israelischen Heimatfront, sich auf ein Szenario vorzubereiten,
bei dem der Irak Israel mit Raketen angreift.
Doch hier beginnt der problematischere Teil. Der
militärische Geheimdienst gibt zu, dass er nur Teilinformationen
besaß, eine Tatsache, die es schwer machte, die
Angriffsmöglichkeiten des Irak und den Risikofaktor für Israel zu
beurteilen. Eine greifbare Bedrohung wurde in der Luftabwehr
gesehen. Mehrere Monate vor Kriegsbeginn bemerkten westliche
Geheimdienste, unter ihnen diejenigen in Israel, dass der Irak sich
darum bemühte, die alten Bomber aus der Ära der Sovietunion, die in
irakischem Besitz waren, wieder einsatzfähig zu machen. Nach
sechsjähriger Flugunterbrechung wurden diese Bomber plötzlich für
eine Strecke bis zu 1.000 km aufgearbeitet.
Basierend auf einer Analyse der Fluglinien, der
Flughöhe der Bomber und der Informationen, die man über den
irakischen Besitz an Bomben zum Ende des ersten Golfkrieges hatte,
sah der militärische Geheimdienst in Israel in diesen Flügen einen
Versuch, einen konventionellen oder nicht-konventionellen
Luftangriff auf Israel vorzubereiten.
Der militärische Geheimdienst ermittelte auch,
dass der Irak zwischen zwei und acht mobilen Raketenabschussrampen,
etwa 50 Scud-B-Raketen und eine kleine Anzahl von chemischen oder
biologischen Sprengköpfen besaß. Im November 2002 verkündete der
Leiter des militärischen Geheimdienstes, Generalmajor Aharon
Ze'evi-Farkash, er habe keine Information darüber, dass die
Abschussrampen im Westen des Irak (von wo aus die Raketen Israel
erreichen könnten) stationiert seien.
Der militärische Geheimdienst fand es zunehmend
schwerer, sich mit Saddams Absichten zu befassen, da den
Möglichkeiten, Geheimdienstinformationen über den Irak zu sammeln,
Grenzen gesetzt waren. Der Analyse der Reden und öffentlichen
Ankündigungen irakischer Führer wurde viel Bedeutung beigemessen.
Man verglich sie mit denjenigen, die vor dem ersten Golfkrieg im
Jahr 1991 gehalten wurden. Die Schlussfolgerung war, dass Israel
dieses Mal nicht das Hauptziel der irakischen Bedrohung sei. Doch
die Bomber und die Raketen, die noch vorhanden waren, führten zu der
Entscheidung, einen Angriff nicht vollkommen auszuschließen.
Als der Krieg am 20. März begann, wartete die IDF
noch einige Tage, bis die US-amerikanischen Streitkräfte die
irakischen Flugplätze vollkommen zerstört hatten, bevor sie die
Bedrohung durch die Bomber ganz abschrieb. Gleichzeitig hatte eine
Analyse von Luftaufnahmen darauf hingedeutet, dass mehrere Stellen
als Basis für die Raketenabschussrampen benutzt wurden. Israel gab
diese wichtige Information an die Amerikaner weiter. Erst später
wurde die Bedrohung durch die Raketen dann vollständig reduziert.
Wie passen diese Kenntnisse zu der peinlichen
Tatsache, dass bis jetzt noch kein Beweis für das Dasein von
Massenvernichtungswaffen gefunden wurde? Die IDF zitiert nur den
amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld: "Die Tatsache,
dass wir Saddam noch nicht gefunden haben, beweist nicht, dass er
nicht existiert." Der militärische Geheimdienst bleibt seiner
Einschätzung, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besaß, treu und
äußert mehrere Erklärungen für die bisherige Unfähigkeit, sie zu
finden: die Waffen wurden vor Kriegsbeginn nach Syrien gebracht (im
November 2002 äußerte Israel diesbezüglich seine Besorgnis und
untersucht diese Möglichkeit noch immer); die Abschussrampen und
Raketen wurden entfernt und im Irak versteckt; oder Saddam
entschied, die Massenvernichtungswaffen vor Kriegsbeginn zu
vernichten.
Erst kürzlich informierten Geheimdienstquellen
darüber, dass die Amerikaner Dutzende von MIG-21-Kampfjets entdeckt
haben, die in der irakischen Wüste versteckt waren. Und erst vier
Jahre nach dem ersten Golfkrieg wurden aufgrund von Informationen
von Saddams übergelaufenem Schwiegersohn Massenvernichtungswaffen in
einem Hühnerstall entdeckt. Geheimdienstagenten sagen, wenn Saddam
in diesem zunehmenden Konflikt nichts zu verbergen gehabt hat, warum
hat er dann die Amerikaner bezüglich der Waffeninspektoren
herausgefordert und damit riskiert, seine Macht zu verlieren?
Eine ranghohe Quelle des Geheimdienstes teilte
Ha'aretz mit, dass "die Waffen irgendwo existieren. Wir waren
außergewöhnlich akkurat in unserer Beurteilung der Bedrohung. Im
Rückblick würde ich nichts anders machen. Hätte ich bezüglich der
Raketenabschussrampen exakte Koordinaten liefern können, wäre die
ganze Geschichte schon abgeschlossen. Die Waffen mögen entfernt
worden sein, mögen nicht strapazierfähig, mögen nicht einsatzbereit
sein – doch irgendwann werden sie gefunden werden. Wir müssen nur
geduldig warten."
hagalil.com
21-07-2003 |