Der Westen als Vorbild:
Verhaltene Proteste in der arabischen Welt
Heftige Proteste in den arabischen Staaten
gegen den Angriff der "Koalition der Willigen" auf den Irak waren zu
erwarten. Obwohl Scheich Tantawi, der Leiter der Kairoer
Al-Azhar-Universität, noch Tage vor Kriegsbeginn die Gläubigen zum
Jihad gegen die USA aufgerufen hatte, blieben die Reaktionen auf den
Angriff jedoch selbst unter den Studierenden dieser wichtigsten
religiösen Universität des sunnitischen Islam eher zurückhaltend.
In Kairo nahmen selbst an den größten Kundgebungen
nur 30.000 Demonstranten teil, ihre Zahl blieb damit weit hinter der
europäischer Metropolen zurück. Die Sicherheitskräfte, die in
Ägypten sonst jede Demonstration bereits im Keim ersticken, beließen
es diesmal dabei, den Volkszorn in kontrollierbaren Bahnen zu
halten.
In fast allen arabischen Hauptstädten spielten sich ähnliche Szenen
ab. Aufgeheizte Demonstrationen richteten sich gegen die USA und -
wie in solchen Fällen üblich - auch gegen "den zionistischen Feind".
Zu Ausschreitungen kam es jedoch erst, wenn die Demonstranten
versuchten, amerikanische Einrichtungen anzugreifen und von der
Polizei davon abgehalten wurden. Nur im Jemen, wo Zehntausende nach
dem Freitagsgebet in Richtung US-Botschaft zogen, starben bei
Auseinandersetzungen drei Demonstranten und ein Polizist.
Wirkliche Begeisterung für Saddam Hussein wollte aber fast nur in
den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten aufkommen. Im
Gegensatz zur vollen Unterstützung, welche die PLO-Führung Saddam
Hussein 1991 gewährt hatte, hielten sich diesmal selbst führende
palästinensische Politiker mit Loyalitätsbezeugungen zurück.
International besonders beachtet wurde das Schweigen des gemäßigten
neuen palästinensischen Ministerpräsidenten Mahmud Abbas. Überhaupt
legten zwar fast alle arabischen Regierungen lautstarken Protest
gegen den Angriff der USA, Großbritanniens und ihrer Verbündeten
ein, ließen es jedoch vorerst bei symbolischen Protesten bewenden.
Die meisten arabischen Politiker scheinen eher abwarten zu wollen,
als sich auf die Seite des sicheren Verlierers zu stellen und damit
Gefahr zu laufen, zur "Achse des Bösen" gezählt zu werden.
Öffentliche Proteste dienen eher der Befriedigung des Volkszornes im
eigenen Lande und werden etwa im Falle Jordaniens durch die de facto
Unterstützung für die Truppen der "Koalition der Willigen"
unglaubwürdig, die auch vom Osten des Königreiches aus operieren.
Allerdings sind die Proteste bei jenen Regimen ernst gemeint, die im
Falle eines Erfolgs der Militärintervention selbst fürchten müssen,
unter Druck zu geraten. Die verbal verkündeten Ziele einer
Demokratisierung der gesamten Region haben schließlich mit dazu
beigetragen, dass sich auch in anderen prowestlichen, wenn auch
keineswegs demokratischen arabischen Staaten kurzfristig mehr
partielle Freiräume ergeben als früher.
Im autoritären "Gottesstaat" Saudi-Arabien hatten unmittelbar vor
den Angriffen auf den Irak über 100 Intellektuelle in einem
Memorandum zwar den geplanten Krieg verurteilt, aber zugleich eine
rasche Demokratisierung des Landes gefordert; für Saudi-Arabien ein
sehr mutiger Schritt. In Kairo wurde eine Woche vor Kriegsbeginn der
bekannte Bürgerrechtler Saad Ed-din Ibrahim nach einer zweijährigen
Haftstrafe in einer Berufungsverhandlung freigesprochen. Auch wenn
sich diese Ereignisse nicht unmittelbar auf die
Demokratisierungsforderungen zurückführen lassen, so zeigen sie
doch, dass es vorerst zu keinem Schulterschluss der arabischen
Regime und Bevölkerungen gekommen ist.
Die viel gerühmte "Arabische Straße", die einfache Bevölkerung in
den arabischen Staaten, scheint vorerst andere Probleme zu haben als
sich für das Regime Saddam Hussein ins Zeug zu legen. Die
Befürchtungen vieler BürgerInnen arabischer Staaten scheinen sich
eher auf die Verschlechterung ihrer konkreten Lebensituation durch
ökonomische Auswirkungen des Krieges zu beziehen. In ihrer
unmittelbar vor Ausbruch der Kampfhandlungen erschienen Ausgabe
zitiert die ägyptische Zeitung "Al-Ahram Weekly" einen Schmied aus
Unterägypten, der befürchtete, dass die ohnehin schlechte
wirtschaftliche Situation durch einen Krieg noch schlimmer werden
könnte. Der Schmied meinte: "Wollen sie wirklich, dass die Leute
hier einfach ihren Arbeitsplatz aufgeben um zu demonstrieren? Wenn
sie am nächsten Tag zurückkehren, werden sie ihren Job verloren
haben."
Teilweise sieht es fast so aus, als würden die arabischen Proteste
von den europäischen Demonstrationen vorangetrieben - und nicht
umgekehrt. In der oberägyptischen Stadt Menya erklärte Mohamed Said
der "Al-Ahram Weekly": "Wir hören von den Protesten im Westen und
wir sind die Letzten, die agieren. Wir hätten schon längst mit den
Protesten beginnen sollen."
Auch in den großen arabischen Tageszeitungen ist das Bild, das den
LeserInnen vermittelt wird, keineswegs einheitlich. Zwar wird fast
einhellig der Angriff auf den Irak verurteilt und der teilweise
erfolgreiche Widerstand der irakischen Truppen gefeiert, allerdings
berichtet die vor allem von Intellektuellen gelesene Londoner
"Al-Sharq al-Awsat" seit einigen Tagen deutlich kritischer über den
Irak und stellt auch die Berichterstattung in den meisten arabischen
Tages- und Wochenzeitungen in Frage. Insbesondere der Chefredakteur
Abd al-Rahman al-Rashid kritisiert seit Tagen die Ausblendung der
Verbrechen des irakischen Regimes und das Verschweigen der
Positionen der irakischen Opposition. Am 24. März fragte er in einer
Kolummne: "Was geschah mit den vier Millionen Irakern, die vor dem
gegenwärtigen System flohen und die alle nur das Ende des jetzigen
Regimes fordern? Alles was gezeigt wird, sind die Stimmen der
anderen Araber, der Syrer, Saudis, Ägypter und Palästinenser."
Zur Zeit scheint bei allen Protesten gegen den Angriff auf den Irak
sowohl in der arabischen Medienlandschaft, die mit wenigen Ausnahmen
wie der "Al-Sharq al-Awsat" meist eng mit den jeweiligen Regimen
verbunden ist, als auch in der Politik primär Abwarten angesagt. Ob
die derzeitige Welle des Antiamerikanismus in der arabischen und
muslimischen Welt schnell wieder auf das normale Maß antiwestlicher
Emotionen abebbt oder zu einem ernsthaften Problem für die USA und
ihre Verbündeten wird, dürfte primär vom weiteren Kriegsverlauf
abhängen. Sollten die Fehleinschätzungen des irakischen Widerstands
durch das Pentagon zu langen Kämpfen um die irakischen Städte, und
damit zu hohen Opferzahlen in der Zivilbevölkerung führen, könnte es
mit der abwartenden Haltung der arabischen Öffentlichkeit bald
vorbei sein. Insbesondere, wenn sich britische und US-amerikanische
Militärs, um eigene Verluste gering zu halten, für ein lange
andauerndes Bomdardement der Städte entscheiden sollten, würden sich
ihre Chancen, von der n Irakis als Befreier akzeptiert zu werden
dramatisch reduzieren.
Dann könnte es auch nicht bei einem einzelnen Selbstmordanschlag,
bei dem in Najaf am vergangenen Samstag fünf US-Soldaten ums Leben
kamen, bleiben. Die arabischen Reaktionen auf einen längeren Kampf
gegen eine Armee, die teilweise auf eine Guerillataktik zu setzen
scheint, würden sicher anders ausfallen als bei einem schnellen
militärischen Erfolg, der mit einer partiellen Unterstützung der
irakischen Bevölkerung rechnen könnte. Die künftigen Reaktionen in
der arabischen Welt werden somit unmittelbar mit dem Verlauf der
Kämpfe in den nächsten Tagen und Wochen zusammenhängen.
03.04.2003 |
aufbauonline.com | von
Thomas Schmidinger
hagalil.com
08-04-2003 |