Kein Land, das im Chaos versinkt:
Bericht aus dem Südirak
Von Thomas v. der Osten-Sacken, Bagdad
Ob in Amara, Nadjaf oder Kut, überall im
Südirak prägen die Bilder derjenigen, die das Saddam Regime ermorden
ließ, das Stadtbild. An Mauern, Moscheewänden und Geschäften haben
die Bewohner Kopien alter Schwarzweißphotographien angebracht, die
an die Opfer des Baathregimes erinnern. An einer Bäckerei in Amara
hängen zwölf Bilder, der Inhaber erklärt uns, dass all seine Brüder
in einem Jahr, 1981, ermordet wurden. Er zeigt auf die Kopien alter
Photographien aus den späten 70er Jahren, junge Männer mit
Koteletten, die Nickelbrillen tragen, wie es damals im Irak Mode
war. Einige erinnern an Rocksänger oder Serienschauspieler.
22 Jahre lang war es bei drakonischen Strafen
verboten, öffentlich dieser Toten zu gedenken. Und bis heute weiß
der Bäcker, so wenig wie Hunderttausende andere Irakis, wo die
Leichen seiner Brüder verscharrt sind. Inzwischen wurden 178
Massengräber im Irak entdeckt, nach Aussage eines Mitarbeiter der
lokalen Menschenrechtsorganisation in Amara vermutet man weitere
hundert über das Land verstreut. Im bislang größten Massengrab, in
Mahawil nahe der Stadt Hilla hatten Bewohner 15 000 Leichen
entdeckt, viele von ihnen konnten bis heute nicht identifiziert
werden Das "Komitee ehemaliger politischer Gefangener" hat
inzwischen im ganzen Land Niederlassungen eröffnet, um bei dieser
Suche behilflich zu sein. Alleine in Bagdad verwaltet es 7 Millionen
Akten aus den Gefängnissen des Landes. Häufig wurde den Opfern,
bevor sie erschossen wurden ein Armband mit einer Nummer umgebunden,
das zu ihrer Identifikation dient. Oft aber sind die alten Photos
das einzige, was von den "Verschwundenen" geblieben ist.
Auch im neu eröffneten Büro der Kommunistischen
Partei von Amara hängen, neben Bildern von Karl Marx und Lenin, 42
Schwarzweissphotographien, Bilder der "Märtyrer" der Partei aus
dieser südirakischen Provinzhauptstadt. Die KP residiert in einem
Büro an der Hauptstraße der Stadt, auf das in den letzten Monaten
zwei Anschläge verübt worden sind, wie man uns erzählt. "Das waren
die Baathisten", meint Fadil Mohammad, der jüngste der anwesenden
Kommunisten. "Wir waren aktiv im Untergrund und haben seit einem
Jahr die Befreiung unserer Stadt vorbereitet" erklärt er. Die
Baathisten und ihre Armee wurden im April aus Amara und dem
umliegenden Misan Distrikt ohne direkte Hilfe der Koalitionstruppen
vertrieben. Eine Allianz aus verschiedenen Parteien und den Stämmen
des Umlandes bemächtigte sich am 7. April unter Führung des im Süden
legendären Abu Hatem, der mit seinen Anhängern seit 1991 gegen die
Baathpartei einen Kleinkrieg führte und nun Mitglied des
provisorischen Regierungsrates in Bagdad ist, der Stadt. "Wir haben
die Briten als Gäste nicht als Befreier empfangen" erklärt Fadil,
der betont, dass die KP ein gutes Verhältnis zu den
Koalitionstruppen unterhalte, wenn sie ihnen auch kritisch gegenüber
stehe und für einen baldigen geordneten Abzug plädiert. Wie schon in
den 20ern suchten die Briten die Zusammenarbeit mit den Stämmen,
nicht mit der städtischen Intelligenz. Außerdem sei die neue 5 800
Mann starke Polizei in dem Gouvernorat durchsetzt von ehemaligen
Baathisten. Laut Aussagen des Pentagon arbeiten inzwischen 90 000
Irakis landesweit in den neuen Polizei- und Sicherheitskräften.
Inzwischen sind Polizeistationen in Bagdad ein vorrangiges Ziel
terroristischer Anschläge geworden. Allerdings kritisieren viele
Iraker, dass die Überprüfung neueingestellter Polizisten durch die
Koalition zu lax verlaufe und viele ehemalige Baathisten wieder im
Dienst seien. Gemeinsam mit anderen Parteien habe die KP in Amara
deshalb eine Untersuchungskommission eingesetzt, um die
Vergangenheit der einzelnen Polizisten zu durchleuchten. Die
Zusammenarbeit zwischen den irakischen Parteien im Süden sei gut,
auch mit den religiösen habe man keine größere Probleme, es sei der
Iran und andere Nachbarländer, die mittels Agenten für Unruhe
sorgten. Nur wenn es nicht gelänge diesen Einfluss zu unterbinden,
drohe eine nachhaltige Islamisierung des Irak; täglich sickerten
auch in Misan, das an der Grenze zum Irak liege Dutzende islamischer
Kämpfer ein. Anders als im Nordirak, wo die Kurden über eine
vergleichsweise effiziente Polizei verfügen, die monatlich hunderte
Djihadisten festnimmt, gäbe es hier noch keine effektiven
Kontrollen.
Im ganzen Südirak - wie im Norden auch - ist
inzwischen die neue irakische Polizei für die Sicherheit
verantwortlich. Anders als im Zentralirak sieht man im Süden so gut
wie keine alliierten Truppen, in Amara bewegen sich die Briten meist
in ungepanzerten Fahrzeugen, Checkpoints sind fast ausschließlich
von irakischen Sicherheitskräften bemannt. Tagsüber ist die Lage
vollkommen ruhig. Das bestätigen uns auch Mitarbeiter einer
tschechischen Hilfsorganisation, die hier tätig ist.
Geschäfte, Restaurants und Teehäuser haben bis
abends geöffnet, die Märkte sind voll und die Stromversorgung ist
inzwischen stabiler als zu Saddams Zeiten. Entgegen verschiedener
UN-Prognosen ist es auch im Sommer zu keiner humanitären Katastrophe
gekommen, weder haben sich Epidemien unkontrolliert ausgebreitet
noch fehlte es an Grundnahrungsmitteln für die Bevölkerung. Der
Einfluss der verschiedenen islamisch-schiitischen Parteien macht
sich allerdings überall deutlich bemerkbar, die Restaurants schenken
keinen Alkohol mehr aus, auf CD-Läden wurden nachts Brandanschläge
verübt und auf der Straße sieht man keine Frau ohne schwarze Abbaya.
Zwar haben sich auch in Amara einige Frauenorganisationen gegründet,
doch ihre Aktivitäten werden kritisch verfolgt. "Die letzten zwanzig
Jahre waren für Frauen eine Katastrophe", meint die Vertreterin der
neugegründeten Organisation "Women for Tomorrow", "Saddam Hussein
hat uns systematisch aller Rechte beraubt, es war sogar verboten als
Rechtsanwältin zu praktizieren. Wir wurden zurück in unsere Häuser
verbannt und es wird sehr lange dauern, bis sich hier grundsätzlich
etwas ändert." Sowohl die Stämme als auch die religiösen Parteien
zeigen wenig Interesse an einer Veränderung. Früher war, berichtet
uns ein alter Mann im Markt, Amara mit Kut und Basra eine der
Hochburgen der Linken und säkularen Opposition im Irak. Während in
Kut diese Vergangenheit lebendig geblieben ist und auf öffentlichen
Plätzen Bilder des Revolutionärs und zwischen 1958-1963 regierenden
irakischen Präsidenten Abdul Karim Kassim angebracht wurden, ist
inzwischen in Amara das Konterfei des kürzlich bei einem Suicide
Bombing in Najaf ermordeten Führers des Supreme Council of the
Islamic Resistance in Iraq Ayatollah al Hakim omnipräsent. SCIRI,
die al-Dawa Partei und lokale Stämme hätten neben dem eher
weltlichen Abu Hatem hier das Sagen erklären uns die Kommunisten.
Erst merkliche wirtschaftlicher Verbesserungen würden den
geschwächten säkularen Kräften helfen, die Arbeitslosigkeit betrüge
90%, Analphabetismus sei auf dem Land die Regel. Saddam habe den
Süden dreißig Jahre lang vollkommen vernachlässigt und jede
Opposition so brutal unterdrückt, dass alle Strukturen nachhaltig
zerstört seien.
Ein Blick auf die Stadtbilder von Amara, Najaf,
Hilla oder Kut belegt eindrucksvoll, wie vernachlässigt diese Region
im Vergleich zu Bagdad oder Mosul ist. Fast alle Häuser stammen aus
den fünfziger und sechziger Jahren, nur wenige, privilegierte
Stadtviertel verfügen über ein geschlossenes Abwassersystem, die
meisten Dörfer verfügen nicht einmal Trinkwasserleitungen. An den
Mauern einer heruntergekommen Dorfschule steht in Pidginenglisch:
"Liebe Befreier, Vergesst unser Dorf nicht." Ein Großteil des
Misandistrikts ist zudem völlig zerstört. Hier befanden sich einst
die Marshen, von Euphrat und Tigris gespeiste Sumpfgebiete, in denen
etwa eine halbe Million Menschen lebten. Diese Sümpfe wurden in den
letzten 12 Jahren systematisch trockengelegt, die Bewohner entweder
getötet oder vertrieben. Die Straße von Diwaniye nach Amara führt
fast hundert Kilometer durch eine trostlose Steppe, unterbrochen von
den Ruinen zerstörter Dörfer. Wir passieren eine Kamelkarawane, die
durch dieses ehemalige Sumpfgebiet nach Süden zieht.
Nahe des Ortes Qalat Saleh an der Straße nach
Basra, die von riesigen ehemaligen Militärlagern gesäumt ist, ließ
das Regime den Saddam Damm errichten, um den Zufluß von Tigriswasser
in die Marshen zu verhindern. Rechts und links des Dammes haben sich
hunderte von Marshbewohnern in Notbehausungen angesiedelt. Anders
als in Kurdistan, wo das Regime in den 80er Jahren Tausende Dörfer
zerstörte und die Bewohner in sogenannte Sammelstädte umsiedelte,
wurde diesen Menschen nicht einmal Baumaterial für neue Häuser zur
Verfügung gestellt. Inzwischen hat die in Amerika ansässige
Iraqfoundation begonnen in Nassiriya einige Marshen wieder zu
fluten. Es ist allerdings äußerst umstritten, ob dieses Projekt mit
dem wohlklingenden Namen "Eden Again" Erfolg haben wird.
"In Misan liegt eines der größten Erdölfelder des
Irak und die Menschen trinken Tigriswasser". Wir sprechen mit einem
jungen Arzt im Krankenhaus von Amara, das einst Saddam General
Hospital hieß. Die Gesundheitslage sei weiter verheerend aber
langsam verbessere sie sich im Vergleich zu vorher. "Warum haben die
Amerikaner uns nicht 1991 Saddam stürzen lassen, sondern weitere 12
Jahre gewartet?" Antiamerikanismus sei im Grunde keiner zu spüren,
meint einer der Tschechen, die Leute seien verhalten dankbar",
fürchteten aber einen wachsenden Einfluss des Iran. Bislang aber sei
es, bis auf wenige Ausnahmen, im Südirak ruhig Konflikte, die vor
allem in Basra hin und wieder ausbrächen, hätten vor allem einen
tribalen Hintergrund. Selbst Angriffe auf Amerikaner, die jüngst in
Kerbala stattfanden schreiben die Kommunisten sunnitischen
Islamisten oder ehemaligen Baathisten zu. Dieser selbsternannte
"irakische Widerstand", der in Städten wie Falluja, Rammadi und auch
Bagdad mit blutigen Anschlägen und Suicide Bombings Terror
verbreitet, findet im Süden keine Unterstützung. Man vermutet, dass
es sich dabei um eine temporäre Zusammenarbeit zwischen Baathisten
und sunnitischen Islamisten aus anderen arabischen Ländern handelt.
Im Gegenteil, der Terror wird überall scharf kritisiert. "Warum
stellen sie keine Freiwillgenbrigaden auf" werden wir immer wieder
gefragt "Zehntausende Irakis aus dem ganzen Land wären bereit in
diesen Städten für Ruhe zu sorgen." "Und anders als die Amerikaner
haben wir keine Erfahrung mit Menschenrechten" fügt ein alter Mann
hinzu, "wir würden durchgreifen." Ein anderer im Café kritisiert,
dass die Amerikaner die Todesstrafe im Irak suspendiert haben. Wer
Zivilisten umbringe, wie Saddam es zuvor getan habe, gehöre
hingerichtet.
Nachdrücklich werden die Anschläge gegen
Amerikaner und Iraker, die mit der Coalition Provisional Authority
(CPA) zusammenarbeiten, von den Ayatollahs in den heiligen Städten
Najaf und Kerbala verurteilt. Selbst Moqada al Sadr, der
selbsternannte radikale Führer der Schiiten, der ansonsten nicht
müde wird die Amerikaner, Zionisten und Imperialisten zu
verurteilen, bemüht sich sichtlich, Distinktion zu den Anschlägen im
Zentralirak zu wahren. AL-Qaida ist im Südirak ebenso verhaßt wie
die Baathpartei, ist sie doch eine sunnitisch-djihadistische
Organisation, die aus ihrer anti-schiitischen Haltung kein Hehl
macht. Kürzlich soll ein AL-Qiada Sprecher erklärt haben, Schiiten
seien noch schmutziger und verächtlicher als Juden.
Insgesamt fehlen im Südirak auch, anders als im
sunnitischen Dreieck oder in einigen Stadtvierteln Bagdads, die
amerikafeindlichen oder antiisraelischen Slogans an Hauswänden oder
öffentlichen Gebäuden, auch wenn hier, anders als im kurdischen
Nordirak, weiter die Verschwörungstheorien florieren. Besonders
beliebt: Saddam sei in Wirklichkeit ein zionistischer Agent gewesen,
dessen Aufgabe die Auslieferung des irakischen Öls an die Amerikaner
gewesen sei. Zudem melden sich häufig Vertreter von SCIRI oder
al-Dawa zu Wort, die das unmoralische Verhalten der Amerikaner
beklagen, die sich nicht an die islamischen Sitten halten würden.
Dies führe zu Unmut und Widerstand.
Massaker an Irakis, wie sie in Najaf oder Bagdad
stattgefunden haben, seien im Grunde ein Ausdruck der Schwäche,
meint der Arzt und fasst zusammen, was viele Irakis denken. Sie
zeigten, dass weder die Baathpartei noch Al Qaida im Irak breite
Unterstützung genießen würden. "Sonst käme es zu Demonstrationen
oder Aufständen. Das Bild, das die arabischen und europäischen
Medien, vor allem BBC, vom Irak zeichnen ist völlig einseitig. Das
sunnitische Dreieck, in dem fast alle Anschläge stattfinden, macht
gerade einmal 5% der Gesamtfläche des Landes aus." Da dieser
Widerstand unpopulärer ist, griffe man zum Mittel des blanken
Terrors, um Angst und Schrecken zu verbreiten.
Anders als in den von Moqadata al Sadr
kontrollierten schiitischen Stadtvierteln Bagdads, der offen zum
Kampf gegen die Okkupanten mobilisiert, kam es selbst in Kerbala
bislang zu keinem ernsthaften Konflikt zwischen Koalitionstruppen
und Bevölkerung. Bislang sind zumindest alle Versuche al Sadrs seine
Basis im Süden auszuweiten, kläglich gescheitert. Als er Mitte
Oktober mit einigen Anhängern seiner "Armee des Mehdi" versuchte,
Kerbala zu "befreien", wurde er von Koalitionstruppen und Anhängern
des gemäßigten und einflußreichen Ayatollah Sistanis
zurückgeschlagen.
Die Frage, ob die Kleriker in den heiligen
Städten, die wenn auch um Distanz bemüht, den von den USA
eingesetzten provisorischen Regierungsrat unterstützen nur auf Zeit
spielen, um so ihr Ziele, die Schaffung einer islamischen Republik
Irak, zu erreichen, kann niemand mit Sicherheit beantworten. Die
jüngst ausgebrochenen Differenzen um die neue Verfassung des Irak
könnten so gedeutet werden: die schiitischen Vertreter des Rates
fordern erst Wahlen abzuhalten, bevor eine gültige Verfassung
verabschiedet wird. Sie spekulieren offenbar darauf, dass die
Schiiten, die etwa 60% der irakischen Bevölkerung ausmachen auch
mehrheitlich für religiöse Parteien stimmen würden. Je eher Wahlen
abgehalten werden, das wiederum wissen die Amerikaner so gut wie die
kurdischen Parteien und der Iraqi National Congress, desto mehr
Stimmen könnten die gut organisierten Parteien Dawa und SCIRI auf
sich vereinigen, da andere politische Gruppen im Südirak sich erst
konsolidieren müssen. Bislang haben sich diese Parteien allerdings
nicht öffentlich den Forderungen Deutschlands und Frankreichs nach
baldigen Wahlen angeschlossen, wohl weil das "alte Europa" eher auf
eine Stärkung der verbliebenen sunnitisch panarabische Kräfte setzt,
mit denen man in der Vergangenheit so gut auskam. Der Besuch des
deutschen Bundeskanzlers in Saudi Arabien, dass die Schiiten als
einen Hauptfeind betrachten, wird von Rezzo Schlauchs Iranvisite
nicht aufgewogen. Immer wieder betonen nämlich in Gesprächen Leute,
die ansonsten keineswegs besonders politisch scheinen, dass sie eine
zu starke Einflußnahme des Iran im Südirak fürchten. Deutschland ist
hier, wie im kurdischen Nordirak, alles andere al wohlgelitten.
Mehrmals erkundigte man sich bei uns, warum Deutschland Saddam
Hussein so bis zuletzt unterstützt habe, auch die jüngsten Vorstöße
der Deutschen und Franzosen im UN-Sicherheitsrat stoßen auf
keinerlei Verständnis. Inzwischen sei die Mehrheit der Bevölkerung
sicher, dass die Amerikaner keine neue sunnitische
Minderheitenregierung im Irak installieren wollten, meint einer der
Tschechen. Es gäbe inzwischen ein gewisses Vertrauen in die
Übergangsregierung, das allerdings sehr fragil sei. Wenn nicht bald
eine grundlegende Verbesserung der Lage eintrete könne dies
Vertrauen in offene Abneigung umschlagen, auch wenn weiterhin eine
große Dankbarkeit herrsche, dass Saddam Hussein gestürzt worden sei.
Noch nämlich sehen die Menschen wenig Resultate der von den
Amerikaner und Briten ins Land gebrachten Dollars. Allerdings
versichern die Vertreter der CPA immer wieder, dass die Großprojekte
anlaufen würden und eben ihre Zeit bräuchten. Die von den USA mit
dem Wiederaufbau beauftragten Fimen Bechtel, Halliburton, Kellog und
Brown jedenfalls haben sich bislang nicht durch besondere
Aktivitäten hervorgetan. Laut der englischsprachigen Wochenzeitung
"Iraq Today" machen die USA den Fehler, auf ausländische
Großuntenehmen zu setzen, statt den irakischen Mittelstand zu
fördern. Erst eine gezielte und gelenkte Privatisierung der maroden
Staatsfirmen aber ermögliche es erst, dem völlig bankrotten und
verschuldeten Land, such langfristig zu erholen, statt in neue
Abhängigkeiten zu geraten. Ähnlich argumentieren die Kommunisten in
Amara, man sei für die Stärkung des Mittelstandes aber gegen eine
schnelle Privatisierung der Staatsbetriebe, vor allem der
Ölindustrie, dies führe, wie in der ehemaligen Sowjetunion,
lediglich zu einer Mafiotisierung der Gesellschaft, von der neben
ausländischen Unternehmen gut organisierte ehemalige Baathisten
profitierten.
Nach einem mehrtägigen Aufenthalt im Süden des
Landes stellen mein kurdischer Begleiter und ich jedenfalls fest,
dass die Berichterstattung in den Medien mit der Realität vor Ort so
wenig zu tun hat wie im Norden des Landes. Von einem Land, das im
Chaos versinkt oder vom "Aufstand im Ghetto: Schiiten in Bagdad",
wie das ZDF kürzlich meinte eine Reportage betiteln zu müssen, kann
keineswegs die Rede sein. Im Gegenteil, abends um zehn sind die
Kaffeehäuser in Kut noch voller Menschen, die uns versichern, dass
auch um Mitternacht die Stadt völlig sicher sei. Und auf der
Rückfahrt berichten uns Freunde in Bagdad, dass einer Umfrage des
Fernsehsenders Al Jazeera zufolge inzwischen 2/3 der Bagdadis der
Ansicht sind, dass ihre Lage heute besser sei als unter Saddam
Hussein. Zwei Wochen später sterben am ersten Tag des Ramadans über
40 Irakis bei fünf Suicide Bombings, über 200 werden schwer
verletzt.
Gekürzt erschienen in
Jungle World vom
5.11.2003
hagalil.com
10-11-2003 |