Saddam erlitt den schlimmsten aller Tode:
Erdbeben während der Life-Übertragung
Kommentar von Yoel Marcus,
Ha'aretz, 10.04.2003
Übersetzung Daniela Marcus
Es gibt unvergessliche Momente. Zum Beispiel
der Tag, an dem die Deutschen in Massen kamen und die Berliner Mauer
mit bloßen Händen Stein für Stein niederrissen. Sie taten dies
voller Freude und mit Tränen in den Augen, nachdem ihnen diese Mauer
30 Jahre lang viel Leid bereitet hatte.
Es gibt Momente, die einen ergreifen. Zum Beispiel
wenn ein Diktator namens Nikolae Ceausescu mit seiner Frau auf den
Balkon seines Palastes tritt, um den Massen, die nach ihm rufen,
zuzuwinken, und um dann zu entdecken, dass die Massen in seinen
Palast eindringen und Flüche über ihn ausrufen anstatt ihn mit der
erwarteten Liebe zu überschütten. Das Lächeln auf den Gesichtern von
Ceausescu und seiner Frau erfror. Und sie waren immer noch
überrascht, als sie zur Exekution abgeführt wurden. Nach allem
hatten sie gedacht, die Nation würde sie lieben.
Es gibt Momente, in denen ein Führer wie Stalin in
einem Volk auftritt, Gleichheit und Brüderlichkeit, ein gutes Leben
und die Annullierung der Klassenunterschiede verspricht. Und dann
entpuppt er sich sehr schnell als ein Größenwahnsinniger, der dem
Kult um seine eigene Person erliegt, und als ein grausamer Mörder
seines eigenen Volkes, das das Gedenken an ihn erst nach seinem Tode
zerschmettert.
An den Fall Bagdads am Mittwoch, an dieses life
übertragene Erdbeben, wird man sich noch lang im Zusammenhang mit
den Grausamkeiten der Geschichte erinnern. Tausende von Einwohnern
der irakischen Hauptstadt gingen auf die Straßen, um das Ende von
Saddam Hussein zu feiern. Nicht einer von ihnen wusste, ob Saddam
Hussein noch lebte oder bereits tot war. Wenn er tot war, wussten
sie nicht, wo er beerdigt war. Wenn er lebte, wussten sie nicht, wo
er sich versteckt hielt. Saddam erlitt den schlimmsten aller Tode:
Sein Volk zerbrach seine Statuen, verbrannte seine Bilder, plünderte
seine Paläste. Sein eigenes Volk tötet ihn ein ums andere Mal, nun,
da das Lächeln nach 25 Jahren eines grausamen Regimes, auf ihre
Gesichter zurückgekehrt war.
Die gigantischen Statuen Saddams wurden zerstört
und die Metallteile seines Körpers wurden durch die Straßen gezogen.
Wenn Saddam noch lebt und diese Bilder von seinem Versteck aus
sieht, muss er von Minute zu Minute erneut sterben. In seinen
schlimmsten Alpträumen hatte er sich nicht vorgestellt, dass die
Besatzer, gegen die er sein Volk zum Kampf aufgerufen hatte, die
Befreier werden würden, während die Republikanische Garde wie
Gipsmarionetten in sich zusammenfallen würde.
Menschen wie Saddam kommen als viel versprechende
Führer in diese Welt und enden als grausame Diktatoren. Tatsächlich
brachte Saddam Stabilität in eine Land, in dem die Regierungen
ständig gewechselt hatten. Mit der Zeit verliebte sich Saddam in
sein eigenes Bild und verwandelte den Irak in ein Medium für seine
größenwahnsinnigen Ambitionen. Es ist nicht klar, warum es acht
Jahre eines Krieges mit dem Iran brauchte, oder warum es nötig war,
in Kuwait einzumarschieren oder Tausende des eigenen Volkes zu
massakrieren.
Saddam hätte aus all dem Schlamassel herauskommen
können, wenn er sich einfach nur ergeben hätte. Doch er war, was
Kriege anging, zu enthusiastisch und er war sicher, dass er sie
gewinnen würde.
Saddam ist einer von denen, die glauben, dass ihr
Volk sie wirklich liebt und bereit ist, für ihn zu sterben. Saddam
ist einer von den Menschen, die in ihrer selbst fabrizierten
Seifenblase leben – und dadurch enden, dass sie in dieser ersticken.
hagalil.com
11-04-2003 |