Politischer Paria:
Muktada Al Sadr, Hassprediger ohne Mehrheit
Seit einem Jahr hetzt Al Sadr in
Predigten und der Zeitung "Al Hawza" gegen die Koalition, das
"Weltjudentum" und alle Iraker, die nicht wünschen, von ihm regiert
zu werden Von Thomas von
der Osten-Sacken Die
jüngsten Ereignisse in Bagdad und einigen Städten des Südirak
belegen eindrucksvoll die These, dass Nachsicht gegenüber radikalen
Islamisten sich nicht auszahlt. Seit einem Jahr nun hetzt Muktada Al
Sadr unermüdlich in Predigten und der vor wenigen Tagen verbotenen
Zeitung "Al Hawza" gegen die Koalition, das "Weltjudentum" und alle
Iraker, die nach dem Sturz ihres verhassten Diktators nicht
wünschen, von ihm, einem selbst ernannten Theokraten, regiert zu
werden. Ursprünglich hatten die USA schon im vergangenen November
geplant, Sadrs Treiben ein Ende zu bereiten, hofften dann aber
offenbar, ihn mit Drohgebärden zur Raison gebracht zu haben.
Der 31-jährige Sohn des 1999 von irakischen
Geheimdienstlern ermordeten Ayatollah Mohammed Sadiq Sadr bekleidet
weder irgendein religiöses Amt, noch ist seine Bewegung in einer der
neuen irakischen politischen Körperschaften vertreten. Die
schiitischen Parteien verachten und fürchten den politischen Paria
zugleich. Im vergangenen Jahr kam es mehrmals zu bewaffneten
Zusammenstößen zwischen seinen Anhängern und schiitischen
Milizverbänden in Nadschaf und Kerbela. Viele Bewohner Bagdads
nennen ihn abfällig Mukty, in der irakischen Hauptstadt ist bekannt,
dass einzig der im Irak geachtete Name - die Al-Sadr-Familie ist für
ihre Opposition gegen Saddam Hussein geachtet und zahlte dafür einen
hohen Blutzoll - sowie seine Fähigkeiten, besonders laut "Tod den
Juden" zu brüllen, und eine obskure von ihm unterhaltene Miliz
namens "Armee des Mahdi", die Terror gegen unverschleierte Frauen,
Schnapsläden und Säkulare verbreitet, den jungen Sadr auszeichnen.
Bis zum Tag der Befreiung Bagdads weit gehend
unbekannt, gelang es Muktada Al Sadr in den vollkommen verarmten
schiitischen Slums Bagdads eine gewisse Popularität zu gewinnen,
indem er dort in den chaotischen ersten Tagen für Sicherheit sorgen
ließ und Nahrungsmittel verteilte. Wenig später macht er sich daran,
in dem nach seinem Vater benannten Stadtteil Sadr-City ein
islamitisch-despotisches Regime zu errichten. Wo immer im Südirak
die neuen Autoritäten Schwäche zeigen, breitet sich die
Sadr-Bewegung aus, errichtet illegale Scharia-Gerichte und
terrorisiert alle, die sich ihr nicht unterwerfen. So wird auch dem
erst kürzlich verhafteten engen Vertrauten Sadrs, Mustafa Al
Yacoubu, die brutale Ermordung des gemäßigten schiitischen Klerikers
Abdel-Majid Al Khoei zur Last gelegt.
Nachdem ihnen klar wurde, wes Geistes Kind Muktada
ist, verließen ihn viele alte Anhänger seines ermordeten Vaters. Die
Reihen seiner inzwischen Tausende zählenden Miliz, deren
martialische Paraden an die der gefürchteten Fedajin Saddam
erinnern, füllten sich mit, wie es in dem Weblog Healingiraq heißt,
"ehemaligen Baathisten, Gangstern, Vergewaltigern, Dieben und
anderen Kriminellen". Unterstützung erhielt Sadr weniger von den
irakischen Schiiten als aus dem Iran und Libanon. Die Tötung des
Hamas-Führers Scheich Yassin gab ihm, nachdem man lange wenig von
ihm hörte, außer dass er sie zuletzt gegen die irakische Verfassung
und die Kurden mobilisiert hatte, neuen Auftrieb. So erklärte er
sich zum Arm der "Hamas und Hisbollah" im Irak und organisierte
Trauerkundgebungen für Yassin.
Der Aufstand der Sadr-Anhänger ist weit mehr Teil des sich
radikalisierenden Krieges islamistischer Bewegungen im Nahen Osten,
die mit allen Mitteln eine Stabilisierung des Irak zu verhindern
versuchen, als genuiner Ausdruck schiitischer Befindlichkeit im
Nachkriegsirak. Alle alteingesessenen schiitischen Parteien und der
einflussreiche Ayatollah Al Sistani wissen, dass sie ihr Ziel, weit
gehenden Einfluss im neuen Irak auszuüben, mit Gewalt nicht
erreichen können. In Irakisch-Kurdistan herrscht dagegen
Erleichterung, dass die USA, solange sie noch die Macht im Irak
ausüben, sich Sadrs annehmen.
Auch wenn die dieser Tage im Fernsehen gezeigten Bilder zorniger
junger Männer, die Amerika- und Israel-Fahnen verbrennen, das von
den Medien gepflegte Bild der schiitischen Massen bestätigen, ist
nicht anzunehmen, dass die Sadr-Bewegung Unterstützung von anderen
Gruppierungen im Irak erhalten wird. Im Gegenteil, nur wenige Iraker
wären unglücklich, wenn Sadr schnellstmöglich von der Bildfläche
verschwände. Quelle:
Die Welt, 7. April 2004
hagalil.com
08-04-2004 |