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Interview:
"Die ganze irakische Bevölkerung feiert"

WADI e.V.

Nareman Darbandi ist Aktivist der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), einer der beiden großen kurdischen Parteien im Irak, und des Kurdischen Zentrums in Wien. Er ist seit 1958 im Irak politisch aktiv und lebt nach seiner Flucht vor dem Regime der Ba'th-Partei Saddam Husseins seit 1977 in Österreich. Mit ihm führte Thomas Schmidinger das folgende Gespräch.

Haben sie die letzten Tage den Sturz Saddam Husseins gefeiert?

Ja sehr ausgiebig. Die ganze irakische Bevölkerung  feiert. Es gibt im Irak vielleicht ein Prozent überzeugte Ba'thisten und diese flüchten gerade aus Angst vor Rache der Bevölkerung nach Syrien. Alle anderen freuen sich wirklich über den Sturz Saddam Husseins.

Wie haben sie die letzten Wochen die Diskussion um den Krieg im Irak hier in Europa erlebt?

Ich war sehr enttäuscht wie in Europa auch die einfachen Menschen für den Frieden auf die Straße gegangen sind ohne dass sie eine Ahnung davon haben was die letzten 35 Jahre im Irak passiert ist. Ich hatte das Gefühl, dass die Mehrheit dieser FriedensdemonstrantInnen sich dafür auch gar nicht interessiert haben. Grundsätzlich ist doch jeder für Frieden und wenn sie auch gegen Saddam gewesen wären, hätte ich sogar mitdemonstrieren können. Aber dann hätten diese Friedensdemonstrationen uns irakischen Oppositionellen Alternativen zum Krieg anbieten sollen. Aber niemand hat je darüber nachgedacht wie wir dieses faschistische Regime sonst loswerden sollten. Und die europäischen Regierungen nützen diese FriedensdemonstrantInnen nur aus um die eigenen Waffengeschäfte mit dem iraksichen Regime zu verschleiern und die Schulden die Saddam in Europa machte zurückzubekommen. Dieses Geld das europäische Staaten Saddam Hussein geliehen haben hätten sie wohl nur dann zurückbekommen wenn er weiter an der Macht geblieben wäre.

Die FriedensdemonstrantInnen müssen sich auch fragen lassen warum sie vor 12 Jahren nicht demonstriert haben, als Saddam Hussein Kuwait überfallen hat. Warum haben sie nicht gegen das irakische Regime demonstriert als es im Rahmen der Anfal-Kampanie 182.000 Kurdinnen und Kurden vergaste oder als es 7.000 Angehörige der Barzani vernichtete?

Wissen sie, Saddam Hussein war ein paranoider Faschist, der schon mit 12 Jahren seinen eigenen Onkel getötet hat. Für uns hat der Krieg nicht erst vor wenigen Wochen begonnen. Saddam Hussein hat schon seit Jahren einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung geführt, ein Krieg dem einer Million Irakis das Leben gekostet hat. Wenn das Regime jemanden schießen ließ, dann hat es bei der Rückgabe des Leichnams sogar noch Geld für die Kugeln verrechnet bei der Ermordung verwendet wurden. Oder denken sie nur an den Krieg den das Regime gegen den Iran losgetreten hat.

Wenn Staaten wie Deutschland oder Frankreich schon gegen den Krieg waren, dann hätten sie wenigstens unsere Flüchtlinge aufnehmen können. Aber auch das ist nicht geschehen.

Natürlich hat auch dieser Krieg viele Tote gebracht, aber wer spricht von den vielen Toten die es gegeben hätte, wäre Saddam weiter an der Macht geblieben?

Waren unter den FriedensdemonstrantInnen nicht auch einfach viele, die einfach nur aus emotionalen Gründen gegen Krieg waren und die deshalb noch nicht das Regime Saddam Husseins unterstützen wollten?

Selbstverständlich waren da viele dabei, die einfach nur grundsätzlich gegen Krieg sind. Aber Saddam Hussein hat jene Staaten die gegen den Krieg waren und die weltweiten Friedensdemonstrationen für seine Propaganda nutzen können. Wenn die FriedensdemonstrantInnen Krieg in jedem Fall ablehnen, dann wären sie wohl auch dagegen gewesen, dass die USA Europa vor dem Nationalsozialismus befreit hat.

Im Nordirak gab es ja seit 1991 eine befreite Zone. Aber auch dort kam es zu politischen Spannungen und kurzzeitig sogar zu einem Bürgerkrieg zwischen den beiden großen kurdischen Parteien.

Wir haben seit 12 Jahren eine befreite Zohne im Nordirak und leben hier frei und unter demokratischen Bedingungen. Die Zeitungen aller politischer Strömungen und sprachlichen Minderheiten können dort frei erscheinen. Allein 35 verschiedene Tageszeitungen erscheinen hier in verschiedenen Sprachen. Sogar die Zeitungen des Regimes in Bagdad waren auf der Straße zu kaufen. Wir wollten das niemandem verbieten, da jeder wissen kann was die Ba'th-Partei so schreibt. Es stimmt allerdings, dass es einmal einen Bürgerkrieg zwischen PUK und KDP gegeben hat, aber seit Mitte der Neunzigerjahre haben wir die Feindseeligkeiten beendet. Selbstverständlich war es nach einem Vierteljahrhundert unter ba'thistischer Herrschaft nicht leicht von heute auf morgen demokratische Strukturen aufzubauen aber heute haben wir schon seit einigen Jahren funktionierende demokratische Strukturen. Es gibt ein demokratisch gewähltes Parlament mit mehreren Parteien, Meinungs- und Pressefreiheit.

Und diese demokratischen Erfahrungen wollt ihr nun für die Neugestaltung des gesamten Irak nutzen? Wie soll der Irak nach Saddam Hussein aussehen?

Nicht nur die PUK will ein föderales und demokratisches System für den ganzen Irak. Wir haben uns mit dem Großteil der irakischen Opposition bei den Treffen in London und bei uns im Nordirak darauf geeinigt. Auf diesen Treffen waren ausser der Kommunistischen Partei eigentlich alle relevanten Gruppen der Opposition vertreten. Ein demokratischer Irak kann sich auch gut selbst versorgen. Wir haben nicht nur Öl, sondern auch Gold, Eisen und Uran. In Kurdistan kann ausgezeichnet Landwirtschaft betrieben werden.

Wie schnell ist das zu verwirklichen bzw. wie lange sollen die Truppen Großbritanniens und der USA im Irak bleiben?

Das kann ich jetzt noch nicht sagen. In Österreich hat es nach 1945 10 Jahre gedauert bis die Allierten wieder abziehen konnten, obwohl Österreich viel mehr Erfahrung mit Demokratie hatte als der Irak. Die Truppen der USA und Großbritaniens werden deshalb auch im Irak einige Zeit bleiben müssen, damit wir einen geregelten und sicheren Übergang zur Demokratie schaffen können. Die Leute im Irak wissen heute, nach 35 Jahren Ba'thismus nicht wie Demokratie funktioniert. Aber wir können das schaffen. Viele kurdische und andere irakische Politiker waren in Europa, auch in Österreich, im Exil und haben hier wichtige Erfahrungen gesammelt. Ich glaube deshalb, dass diese Exilpolitiker einiges in den demokratischen Aufbau des Irak einbringen können.

Gibt es denn nicht die Gefahr, dass nun islamistische Parteien, eventuell mit der Unterstützung des Iran, an die Macht kommen könnten?

Das weiss man nie genau, aber auch die islamistischen Parteien haben in den letzten Jahre gelernt was es bedeutet in einer Diktatur zu leben und deshalb glaube ich, dass auch diese Parteien am Aufbau einer Demokratie teilnehmen werden. Auch die wichtigsten vom Iran unterstützten Gruppen bekennen sich heute zumindest offiziel zur Demokratie.

Was halten sie von der Medienberichterstattung über den Krieg? In linken wie rechten Zeitungen kommt die iraqische Opposition ja kaum zu Wort oder werden ihre Positionen falsch oder verkürzt wiedergegeben.

Die meisten JournalistInnen hier haben keine Ahnung vom Irak und interessieren sich auch nicht für die Positionen der irakischen Opposition.

Die Medien hier zeigen fast gar nicht wie sehr sich die Leute im Irak über den Sturz das Regimes freuen und berichten nur über das Chaos, das jetzt angeblich überall herrscht. Dabei schreibt niemand über die Fortschritte, etwa dass jetzt 1.200 kurdische Polizisten aus dem Nordirak nach Bagdad und Nasiriya kommen um die Plünderungen zu stoppen, dass viele Plünderer sogar schon Aufrufen folgen und etwa Sachen aus den Spitälern zurückbringen oder dass wir in Kirkuk sofort einen provisorischen Rat gebildet haben in dem Kurden, Araber und Turkmenen zu je einem Drittel vertreten sind. Auch damit wurde ein Beitrag geleistet, dass die Türkei vorerst nicht in den Irak einmarschiert ist, denn die Turkmenenvertreter betonen, dass es ihnen ohne Türkei hier viel besser geht. Aber darüber wird nicht berichtet. Im Fernsehen hat man hier immer nur lauter deutsche und österreichische angebliche Nahostexperten zu sehen bekommen. Uns, die Betroffenen, hat nie wer gefragt. Ständig höre ich, dass der Irak nun in lauter ethnisch oder religiös abgegrenzte Teilstaaten zerfalle, nur weil es im Irak Kurden und Schiiten gibt. Wenn jedes Land in dem es verschiedene Religionen oder Sprachen gibt gleich zerfallen würde, dann müßte die USA schon längst zerfallen sein. Weder PUK noch KDP fordern einen Kurdenstaat, niemand kommt auf die Idee einen Schiitenstaat gründen zu wollen. Mir scheint als würden die Medien und Politiker in Europa aber geradezu wollen, dass der Irak in Chaos und Gewalt versinkt, die Türkei in Kurdistan einmarschiert und dann ein Bürgerkrieg beginnt. Wie viele Menschen dabei sterben würden wäre ihnen egal, wenn sie nur gegen die USA recht behalten würden.

Sollte es euch gelingen im Irak einen demokratischen Staat zu errichten, könnte dies auch eine Vorbildwirkung für andere Staaten in der Region haben

Ja, ich denke schon, dass dies auch Demokratisierungsbestrebungen in anderen Staaten des Nahen Ostens fördern könnte

Das Ba'th-Regime war als völkisch-nationalistisches Regime auch immer stark antisemitisch ausgerichtet

... ja Saddam Hussein ließ ständig jüdische Iraker wegen angeblicher „zionistischer Spionage“ öffentlich hinrichten. Heute leben nur noch sehr wenige Jüdinnen und Juden im Irak. Die meisten sind nach Israel gegangen, wo es sogar kurdischsprachige Jüdinnen und Juden gibt.

Israel war auch eines der Haßobjekte Saddam Husseins. Wird eine neue irakische Regierung auch hier etwas ändern?

Ja, wir wollen schon bald eine Normalisierung des Verhältnisses zu Israel erreichen. Wissen sie, die Staatsgründung Israels 1948 ist jetzt über ein halbes Jahrhundert her. Wenn die arabischen Regierungen damals anders reagiert hätten und die palästinesischen Flüchtlinge aufgenommen und integriert hätten, wäre dieses Problem vielleicht schon längst lösbar gewesen. Der neue Irak wird sicher seinen Beitrag zur friedlichen Lösung dieses jahrzehntelangen Konflikts leisten.

hagalil.com 19-04-2003

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