Im Umfeld der Konferenz irakischer Oppositionsgruppen in London
erschienen zahlreiche Berichte und Kommentare über die Hintergründe der
Konferenz, die Konflikte unter den teilnehmenden Organisationen und
deren Beziehungen zu den verschiedenen Strömungen und Gruppierungen im
Irak. Die arabisch-sprachige Tageszeitung al-Hayat veröffentlichte in
diesem Zusammenhang verschiedene Stimmen, in denen unterschiedlichste
Positionen zu den Zielen der Konferenz geäußert wurden. Besondere
Aufmerksamkeit im Vorfeld der Konferenz erregte dabei eine Kritik Edward
Saids an den Positionen des irakischen Oppositionellen Kanan Makiya, die
am 03. Dezember 2002 in al-Hayat veröffentlicht wurde.
Makyia hatte sich im Vorfeld der Konferenz wiederholt für einen
föderalen Irak eingesetzt und hervorgehoben, es müsse darum gehen, einen
'nicht-arabischen Staat' zu gründen, da eine Demokratie mit einem
ethnischen staatlichen Selbstverständnis unvereinbar sei. Said
kritisierte Makiyas Konzept des Föderalismus. In einem Kommentar des
liberalen Kolumnisten Hazem Saghiyeh werden diese Auseinandersetzungen
aufgegriffen, ohne dass ausdrücklich auf die Positionen von Makiya und
Said Bezug genommen wird. In den Ergebnissen der Londoner Konferenz
sieht Saghiyeh Möglichkeiten, zu einem neuen Verständnis von
Nationalität und Nationalstaat zu gelangen und die überkommenden
zwischenstaatlichen Beziehungen in der Region zu überwinden. Der Artikel
erschien am 17. Dezember 2002:
"Nun hat auch die Konferenz der irakischen Oppositionellen in London
ein neues Kapitel aufgeschlagen. Nicht allein in Bezug auf den Irak,
sondern auch hinsichtlich der Kräfte und der politischen Ideen, von
denen die ganze Region [des Nahen Ostens] seit mehr als einem halben
Jahrhundert beherrscht wird.
Es genügt, wenn wir uns die Stimmen der irakischen Fundamentalisten
anhören. Oder die Stimmen einiger Panarabisten. Oder die Stimmen der
Mehrzahl der Linken. Es genügt, wenn wir uns anhören, was sie über
Amerika sagen.
Es geht uns nicht darum, etwas gutzuheißen oder zu verurteilen. Es geht
darum, eine Beobachtung wiederzugeben. Denn diejenigen, die nicht
wahrnehmen, was geschieht, und die mit dem alten Gerede fortfahren,
verlängern die Zeit der Unfruchtbarkeit mit [ihren] zahlreichen
Erfindungen [über die Wirklichkeit]. Wer sich einbildet, der Fall des
Iraks lasse sich immer noch mit der Parole 'Nein zu Saddam, nein zu
Amerika!' angehen, täte gut daran, sich einen Platz in den Reihen der
Prediger zu reservieren (Wir haben kein Problem mit dem Predigen, aber
der Prediger sollte bei seinem wahren Namen genannt werden: Prediger!).
Und wer sich einbildet, der Konflikt um den Irak sei dem Konflikt um
Palästina untergeordnet, dem fällt es schwer zu begreifen, dass der
Schlag gegen den Irak aus Kuwait kommen wird (so wie der Schlag gegen
Kuwait aus dem Irak kam). Und aus Qatar - jawohl: von der Insel Qatar!
Die Verbindung zwischen dem Konflikt um den Irak und jenem um Palästina
gehört zu den Parolen auf den Demonstrationen in den entferntesten
Hauptstädten, genauso wie der Slogan 'Ägypten ist die arabische
Führungskraft' zu den Parolen auf den Konferenzen in den Hauptstädten
des Nahen Osten wurde.
Betrachten wir die schlichte Wahrheit einmal unabhängig von der
emphatischen ideologischen Rhetorik der zerstrittenen Parteien. Was
heißt es, wenn die Kluft zwischen Amerika und jeder der irakischen
Fraktionen kleiner ist als die Kluft zwischen den Fraktionen
untereinander? Das heißt - und das nicht nur im Irak, sondern in der
ganzen Region -, dass dem ,Nationalen' und dem ,Panarabische' weit
weniger Gewicht zukommt als dem 'Ethnischen' und dem 'Konfessionellen'.
Das 'Nationale' und das 'Panarabische' kann das 'Ethnische' und das
'Konfessionelle' nicht verschleiern. Daher müssen wir eine gemäßigte
Sprache finden, die dieser Realität entspricht.
Im Hinblick auf den Irak ist also ein neues Kapitel aufgeschlagen
worden. Das gilt aber genauso für Palästina. Hört euch an, was Abu Mazen
und mit ihm Yassir Abd Rabbo, ganz zu schweigen von Sari Nussaibeh
gesagt haben! Überlegt noch einmal über die Fragen der Reformen, der
Unterstützung etc. Aber auch für die Region des Nahen Osten in der Zeit
nach dem 11. September beginnt ein neues Kapitel: Überdenkt die
regionalen Bündnisse! Überdenkt die Frage des Öls. Und immer wieder: die
Frage des Krieges gegen den Terror.
Das Aufschlagen eines neuen Kapitels hat aber nicht nur einige
arabische Stimmen verändert. Auch die amerikanischen Stimmen haben sich
gewandelt: Colin Powell und sein Ruf nach Demokratie. Das
Verteidigungsministerium und sein Ruf nach Demokratie. Der erste weniger
großmütig und konservativer. Er will Demokratie für 29 Mio. Dollar. Das
Ministerium gibt sich revolutionärer und großmütiger, allerdings auf
Kosten der Bewohner der Region. Powell sieht Vorbilder in konservativen
Ländern wie Jordanien und Marokko und setzt auf eine Stärkung dieser
Versuche [einer Demokratisierung]. Das Ministerium hingegen bereitet
sich auf einen 'Post-Saddam-Irak' vor und schäumt über vor Versprechen.
Mit dem Beginn des neuen Kapitels sammeln auch die Amerikaner
Erfahrungen mit einer neuen Sprache. Die Vernunft muss diese
Veränderungen hören und eine neue Sprache entwickeln, die diesen
Veränderungen gerecht wird. Eine Sprache, die der [neuen Sprache der
Amerikaner] ähnelt, die mit ihr diskutiert, die mit ihr verhandelt, sie
unterstützt und gegen sie opponiert. Eine Sprache, die die Sprache der
Amerikaner verspottet.
Eine solche Sprache entsteht im Raum zwischen Unterwerfung und
Widerstand.
Die Stimmen, die bei uns hier und dort laut werden, machen noch keine
neue Sprache. Sie sind noch von jener Sorte, die unter Eingeweihten
gesprochen und nur von Eingeweihten verstanden werden. Sie benötigt noch
viel mehr Klarheit, Struktur und innere Ordnung. Sie bedarf eines
starken Selbstbewusstseins, denn die Amerikaner können ihr bei dieser
Aufgabe nicht helfen, zumal die Amerikaner selbst Gefangene ihrer
chaotischen Sprache sind. [.]
Aber zuerst und vor allem: Wir müssen uns eingestehen, dass wir uns in
einem neuen Stadium befinden, dass eine neue Sprache nötig macht. Jedes
arabische Land muss größtmögliche Anstrengungen unternehmen, um sich von
den Träumen- und von ihren Albträumen - der Vergangenheit zu lösen."
THE MIDDLE EAST MEDIA RESEARCH
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