Business with Saddam:
Das Oil for Food-Programm der Vereinten Nationen
"Can I trust Saddam Hussein? I
think I can do business with him."
Kofi Annan (Pressekonferenz, 28.2.1998)
Von Thomas von der Osten-Sacken und Thomas Uwer
Erschienen in:
Bahamas 45/2004
"Wenn man das Unbehagen und die Verstörung
beschreiben sollte, mit denen Amerikaner auf die Ereignisse der
UN-Vollversammlung (…) reagierten, dann läge einiges Gewicht auf der
Entdeckung, daß die überwältigende Mehrheit der Staaten dieser Welt
den Eindruck hat, Ansprüche anmelden zu können, die alle dem
Wohlergehen einzelner Nationen dienen. Diese Ansprüche sind sowohl
bedenkenswert als auch furchterregend – furchterregend für Staaten
wie die USA, die sich regelmäßig in der Minderheit in einer
Generalversammlung von 138 Mitgliedern wiederfinden, oft als
einzige, bestenfalls zusammen mit einem halben Dutzend Staaten." (1)
Die bittere Klage des Daniel Patrick Moynihan ist
so global und zeitlos wie das Ärgernis, dem sie galt: Die Vereinten
Nationen – oder besser: deren Vollversammlung –, die Moynihan als
"Bühne für Diktatoren und Tyrannen" ansah. Sein Zorn richtete sich
gegen den Beginn einer Entwicklung, die heute in der Bestätigung der
Mitgliedschaft des Sudan im Menschenrechtsausschuß der Vereinten
Nationen just zu jenem Zeitpunkt gipfelt, zu dem arabische Milizen
im Einvernehmen mit der Regierung in Khartoum die nichtarabische
Bevölkerung in Darfour malträtieren und in den Tod treiben, während
ein Resolutionsentwurf der Vereinigten Staaten zur Sanktionierung
der sudanesischen Regierung – was auch immer man von ihm halten mag
– an der Mehrheit der Vollversammlung scheitert – mit dem Argument,
es handele sich dabei lediglich "um einen weiteren Versuch
westlicher Obstruktion in einem arabischen Land", so der algerische
UN-Botschafter.
Moynihans Klage wurde im Herbst 1975 verfaßt. Ihr
voraus gingen zwei denkwürdige Ereignisse in der Geschichte der UN (2).
Im Juli desselben Jahres wurde in Mexiko die erste
UN-Weltfrauenkonferenz abgehalten, an deren Ende eine Handvoll
Resolutionen in das Dritte Komitee der Vollversammlung eingebracht
wurden, die sich fast ausschließlich mit der "imperialistischen,
rassistischen und kolonialen" Unterdrückung befaßten. Die meiste
Zeit verbrachten die Teilnehmerinnen der Konferenz jedoch damit,
über den von der palästinensischen Delegation eingebrachten
Resolutionsentwurf zu debattieren, der den Zionismus als "weltweites
Problem" verdammte. Die Resolution, die als Teil des
Mexiko-"Frauenpakets" später die Vollversammlung passierte, rief
alle Staaten und internationalen Organisationen auf, "die
palästinensischen und arabischen Frauen in ihrem Kampf gegen
Zionismus, ausländische Besatzung und Fremdbestimmung zu
unterstützen und ihnen zu helfen, ihre unveräußerlichen Rechte in
Palästina zu erlangen, insbesondere ihr Recht auf Rückkehr in ihr
Heim".
Das zweite Ereignis war der berüchtigte Auftritt
des Idi Amin Dada (sic!) vor der Vollversammlung der Vereinten
Nationen am 1. Oktober 1975. Der ugandische Diktator, der nach dem
Attentat palästinensischer Terroristen auf das israelische
Olympia-Team dem UN-Generalsekretär ein Telegramm sandte, in dem er
den Holocaust lobte, trat als Vorsitzender der Organisation
Afrikanischer Staaten (OAS) vor die Vollversammlung der Vereinten
Nationen, um zur ersten UN-Resolution zu sprechen, die nicht nur
Israel verurteilte, sondern Zionismus mit Rassismus gleichsetzte –
die bis 1991 gültige, sogenannte Z=R-Losung. In seiner Rede forderte
Idi Amin die "Vernichtung des Staates Israel" und erklärte: "Die
Vereinigten Staaten sind kolonisiert worden von Zionisten, die alle
Instrumente von Entwicklung und Macht kontrollieren. Sie besitzen
praktisch alle Bankgesellschaften und die zentralen
Kommunikationseinrichtungen, sie haben die CIA unterwandert, um sie
zu einer großen Gefahr für alle Nationen und Völker werden zu
lassen, die der zionistischen Eroberung entgegenstehen könnten. Sie
haben die CIA in eine Todesschwadron verwandelt, die jede Form des
gerechten Widerstands in der ganzen Welt vernichtet." (3)
Die Vollversammlung der Vereinten Nationen
reagierte mit stehenden Ovationen. Die Z=R-Resolution wurde wenige
Wochen später mit überwältigender Mehrheit und nur sechs
Gegenstimmen angenommen. Moynihans Text, der gern als Starting Point
des Neokonservatismus bezeichnet wird, entstand der eigenen
Mythenbildung des späteren UN-Botschafters der USA (4)
zufolge in der Nacht der Annahme der Resolution – während der
Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kurt Waldheim, der
seinerzeit noch den Spitznamen "Oberkellner" trug und dessen im
UN-Sekretariat gehütete Nazi-Akte erst später gehoben wurde, im
Waldorf-Astoria zum Wiener Walzer lud.
Die UN im Irak
Die Beispiele sind – zugegebenermaßen – mit bösem
Willen gewählt. Dem kürzlich verblichenen Sir Peter Ustinov wäre
sicherlich anderes eingefallen: Impfungen gegen Masernepidemien und
Kinderdörfer für Kriegswaisen. Auch das gibt es, umgesetzt und
verwaltet von Organisationen wie Unicef oder der
Weltkulturorganisation Unesco und ihren über 40.000 Beamten.
Ingesamt 19 derartiger Unterorganisationen unterhalten die UN, die
lediglich von einem Office of Internal Oversight Services überwacht
werden, dessen Mitarbeiter vom Generalsekretariat eingesetzt werden
und das wiederum einzig dem Generalsekretär berichtspflichtig ist.
Die Organisationsstruktur der UN ist der schultypische Fall einer
Bürokratie, die Korruption und Vetternwirtschaft geradezu generiert.
Beispiele für das Versagen der Riesen-Organisationen ließen sich
daher viele finden, die von gravierenderem Ausmaß waren als jene
beiden Vorkommnisse aus dem Jahre 1975 – wie das Totalversagen des
UN-Sekretariats mit 14.000 Mitarbeitern im Falle Ruandas, wo vor dem
Beginn des Mordens über Monate Berichte über die Vorbereitung einer
systematischen Mordkampagne ignoriert wurden und der Generalsekretär
Kofi Annan eigenmächtig alle Aktionen unterband, die die Massaker
hätten vielleicht verhindern können.
Die beiden Beispiele aber stehen besonders
deutlich jeweils für ein wesentliches Grundmerkmal des Ärgernisses
UN, das sich wie ein roter Faden durch alle UN-Missionen und
-Resolutionen zieht. Als symptomatisch muß das Hijacking der
Weltfrauenkonferenz durch die palästinensische Delegation gesehen
werden, die ganz offensichtlich nicht ein einziges der vielen
drängenden Probleme arabischer Frauen thematisierte. UN-Konferenzen
sind willkommene Gelegenheiten für Staaten und nationale
Delegationen, Mehrheiten und Gehör für sachfremde Anliegen zu
finden. Resolutionen wie die Z=R-Resolution von Mexiko werden
außerhalb jener Gremien – wie dem Sicherheitsrat oder der
Vollversammlung – durchgesetzt, innerhalb derer sie vorerst nicht
mehrheitsfähig sind. Frauen-, Umwelt-, Klima- und
Artenschutzkonferenzen der UN geraten regelmäßig zu Tribunalen gegen
Israel und die USA, die für etwas verurteilt werden, das mit dem
Gegenstand der Konferenz meist bestenfalls entfernt in Zusammenhang
steht. Als derart normal wird dieses Hijacking empfunden, daß in
Mexiko offensichtlich keiner der anwesenden Delegationen – mit
Ausnahme der amerikanischen – aufgefallen war, wie verrückt die
Forderung von Frauen ist, Palästinenserinnen sollten in ihr "Heim"
zurückkehren dürfen, ohne zugleich wenigstens pro forma einzuklagen,
daß in diesen Heimen künftig von Ehrtötungen, Genitalverstümmelung
und Unterdrückung von Frauen abzulassen sei.
Idi Amins Fall steht hingegen für einen ähnlichen,
aber weniger von bitterer Überzeugung geprägten Mechanismus der
UN-Politik. Israel und Großbritannien unterhielten lange Zeit gute
Beziehungen zu dem ugandischen Diktator, die jedoch 1972 aus Protest
gegen die Vertreibung von über 50.000 Asiaten aus Uganda und dem
darauffolgenden wirtschaftlichen Zusammenbruch beendet wurden. Erst
danach, im Februar 1972, wandte sich Idi Amin seinen arabischen
Kollegen zu und erhielt Wirtschafts- und Militärhilfe aus Libyen. Im
Gegenzug unterstützte Uganda die palästinensische Sache. Genau zu
diesem Zeitpunkt entdeckte Idi Amin auch seine Vorliebe für Adolf
Hitler und den Holocaust. Der Deal mit Libyen war für Ugandas
Diktator noch von weiterem Nutzen: Die arabischen Staaten gaben sich
fortan alle Mühe, eine Verurteilung wenigstens des Massenmordes in
Uganda durch die UN zu verhindern. Als Idi Amin endlich gestürzt und
ins saudische Exil gejagt wurde, tat dies die Armee Tansanias – ohne
UN-Mandat und nach neuer Lesart also gänzlich völkerrechtswidrig.
Beide Mechanismen, das nationalistische Hijacking
wie auch die durch Klientel- und Günstlingswirtschaft geförderte
Koalitionsbildung, sollte man kennen, wenn man das Wirken der
Vereinten Nationen im Irak betrachtet. Dreizehn Jahre spielten die
UN im Irak eine maßgebliche Rolle; die gegen den Irak verhängten
Sanktionen im Jahre 1990 waren vom UN-Sicherheitsrat ebenso
verabschiedet, wie diverse UN-Agenturen nicht müde wurden, diesen
Sanktionen die Schuld am Leiden der irakischen Zivilbevölkerung zu
geben.
Anders als in der deutschen Presse nun suggeriert
wird, ist die Weltorganisation unter Irakern weit weniger beliebt
als die Koalition, die im vergangenen Jahr Saddam Hussein stürzte.
Nicht zuletzt war es das UN-Generalsekretariat, das bis zum Schluß
alles unternahm, den Sturz Saddams zu verhindern. Kaum hatte jedoch
der Krieg begonnen, mit dem die Gefahr einer humanitären Katastrophe
aufgekommen war, zogen die UN ihre Hilfsagenturen sukzessive aus dem
Land ab. Als dann der "irakische Widerstand" das UN-Hauptquartier in
die Luft jagte, stellte die Organisation ihre Aktivitäten mehr oder
weniger ein. Seitdem sind im Irak UN-Hilfswerke in relevanter Form
nicht mehr tätig.
Oil for Food
Als wichtigen Schritt hin zu einer gerechten und
auf multilateraler Verständigung beruhenden Nachkriegslösung wurde
in Deutschland und Europa deshalb die Entsendung eines
UN-Sondergesandten in den Irak begrüßt. In dem ehemaligen Funktionär
der Arabischen Liga und algerischen Außenminister Lakhdar Brahimi
hatte Kofi Annan dann auch einen Mann ganz nach dem Geschmack der
Europäer gefunden. Daß mit Brahimi ausgerechnet ein
arabisch-sunnitischer Politiker zum Sondergesandten für ein Land
gewählt wurde, dessen Probleme eines ist, daß die nicht-arabische
und nicht-sunnitische Bevölkerung jahrzehntelang von einer
arabisch-sunnitischen Minderheit regiert und unterdrückt wurde, ist
nur verständlich innerhalb der Logik der Vereinten Nationen. Mit
Brahimi wurde einer der langgedienten Funktionäre aus dem arabischen
Lager ins Amt gehoben – obendrein einer, der als algerischer
Außenminister guten Kontakt zur Saddam-Regierung in Bagdad pflegte.
Brahimi, der nicht nur Israel als "Gift in der Region" bezeichnete,
sondern der New York Sun erklärte, er sei stolz, noch nie einem
Juden die Hand geschüttelt zu haben (5),
entsprach ganz der Persönlichkeitsstruktur, mit der man sich im
alten Europa bevorzugt zum kritischen Dialog setzt.
Gegen die Ernennung Brahimis liefen deshalb nicht
nur die Kurden Sturm, die in dem UN-Gesandten zuvorderst einen
Vertreter einer panarabischen Ideologie sahen, dem während seiner
Tätigkeit im Irak nicht ein einziges Mal das Wort "Kurdistan" über
die Lippen kam und der in den 80er Jahren die Giftgasangriffe auf
die Stadt Halabja in Abrede gestellt hatte (6).
"Als Brahimi einen Zwischenstopp in Paris einlegte, klangen seine
Ausführungen nicht so, als ob er einer neuen (irakischen)
Übergangsregierung helfen wolle, sondern auf einer
Unterstützungstour für die Palästinenser unterwegs war", schreibt
Dr. Sabah A. Salih. "Das Idiom, das Brahimi dabei verwendete, war
keineswegs sehr verschieden von dem, das die arabischen und
islamistischen Militanten auszeichnet." Denn Brahimi sehe "die
arabische Welt als ein immerwährendes Opfer von westlichem
Imperialismus und Zionismus", er habe "die amerikanische
Intervention im Irak aufs heftigste abgelehnt", und anstatt sich
über Saddams autokratische Herrschaft zu empören, habe er diese
weitgehend unterstützt. (7) Als Saddams
Republikanische Garden 1991 im Südirak Massaker anrichteten, verlor
Brahimi darüber kein Wort – ein Grund, warum nicht nur die Kurden,
sondern auch die Schiiten dem UN-Sondergesandten ohne jede Sympathie
begegneten. (8) Überhaupt scheinen die
einzigen Irakis, die für eine größere Rolle der UN im Land
votierten, die "Widerstandskämpfer" aus Falluja zu sein, die via
Al-Jazeera ein stärkeres Engagement der Weltorganisation
einforderten. (9)
Angesichts des Sondergesandten ist dies kein
Wunder: Brahimi, Mitbegründer der Union islamischer Studenten in
Algerien, repräsentiert nicht nur den gesamtideellen arabischen
Nationalisten, der reflexhaft für jede Unbill in der Region Israel
und die Juden verantwortlich macht, sondern zugleich den Prototypen
des UN-Funktionärs, der sein Handwerk in der nominalsozialistischen
algerischen FES gelernt und in den Fluren der arabischen Liga
vertieft hat.
Mit Brahimis Wahl führt die UN im Irak allerdings
lediglich eine Politik fort, die sie seit spätestens 1990 mit – wie
sich immer deutlicher zeigt – großem Erfolg betrieben hat.
Unangenehm erinnern die Ausfälle Brahimis an jene Zeiten, als die UN
im Irak die wichtigste Rolle spielte und dem Wiederaufbau in dem
heruntergewirtschafteten Land ihre eigene Prägung aufzwangen. Es
geht um jenes Öl-für-Nahrungsmittel-Programm, das Kofi Annan noch am
20. November 2003 als eine der erfolgreichsten humanitären Missionen
in der Geschichte der Weltorganisation pries, und das sich
inzwischen als der wohl größte Korruptionsskandal des vergangenen
Jahrhunderts entpuppt. Statt die Bäuche hungriger Kinder füllte das
Programm vor allem Schwarzkonten Saddams und die Taschen aller
bekannten Irakkriegsgegner. Millionen von Dollar flossen auf Konten
von dem Irak wohlgesonnenen Politikern und Unternehmen, in erster
Linie aus Frankreich und Rußland – jenen Ländern also, die gemeinsam
mit Deutschland als "Achse des Friedens" alles unternahmen, den
Sturz des irakischen Diktators zu verhindern.
"Angesichts der mir vorliegenden Fakten hat die UN
in ihrer Verantwortlichkeit gegenüber den Irakern und der
Internationalen Gemeinschaft vollkommen versagt", klagte kürzlich
ein vom irakischen Übergangsrat zur Untersuchung des Falls
beauftragter Jurist, Claude Hankes-Drielsma. Das
Öl-für-Nahrungsmittel-Programm habe sich "als einer der weltweit
peinlichsten Korruptionsfälle entpuppt, als Beispiel von mangelnder
Kontrolle, Verantwortlichkeit und Transparenz, das Saddam Hussein
als Instrument diente, um unter den Augen der UN seine
Terrorherrschaft fortzuführen und seinen Unterdrückungsapparat
auszubauen." (10)
Es scheint, als habe Saddam Hussein insgesamt von
den geschätzten 90 Milliarden Dollar, die Oil for Food in sechs
Jahren seit 1997 einbrachten, sowie aus geduldetem Ölschmuggel über
die Nachbarländer des Irak 10 Milliarden "abgezweigt", die auf
schwarze Konten flossen, statt – wie eigentlich vorgesehen – der
Bevölkerung zugute zu kommen, die nach Angaben der UN zu 60% von dem
Programm abhing. So erklärt sich auch, warum im selbstverwalteten
irakischen Kurdistan, wo immerhin eine minimale Kontrolle des
Programms funktionierte, eine merkliche Besserung der Situation
eintrat, während die irakische Propaganda weiter über Tausende von
Kindern im Süd- und Zentralirak klagte, die angeblich aufgrund des
UN-Sanktionsregimes verhungerten.
Die ursprüngliche Idee des Oil for Food-Programms
bestand darin, den Irak kontrolliert Öl verkaufen zu lassen, mit
dessen Erlös über ein UN-Treuhandkonto Nahrungsmittel und Medizin
für die leidende irakische Bevölkerung importiert werden sollten.
Auf diese Weise sollte den Irakern geholfen und das Regime daran
gehindert werden, Waffen und Dual-Use-Güter zu beschaffen. Möglichst
große Transparenz bei den irakischen Ankäufen und bei seinem
Finanzgebaren sollten ebenfalls gewährleistet werden. Um die
Kontrolle der Verkäufe garantieren zu können, erhielten die UN aus
jedem verkauftem Barrel irakischen Öl 2,2% für Verwaltungskosten und
beschäftigten sowohl im Irak wie in Washington mehrere tausend
Mitarbeiter zur Überwachung des Programms.
Die UN stellten es dem irakischen Diktator
allerdings nicht nur frei, selbst die Firmen auszusuchen, die mit
dem Einkauf von Gütern beauftragt wurden, sondern sie sorgten auch
für Diskretion bei der Abwicklung, indem sie die Namen dieser Firmen
geheimhielten. So erstaunt es wenig, was für dubiose
Geschäftspartner nun ruchbar werden.
Am 15. April 2004 stellte das amerikanische
Finanzministerium eine Liste von acht irakischen Firmen vor, die für
das Regime "Waffen beschafften, Gelder verschoben und im Auftrag
irakischer Geheimdienste handelten". Unter diesen Firmen befindet
sich beispielsweise die al-Wasel & Babel General Trading mit Sitz in
Bagdad. Gegründet wurde die staatseigene irakische Firma eigenen
Angaben zufolge i.J. 1999 vor allem als Vertragspartner zur
Abwicklung des Öl-für-Nahrungsmittel-Abkommens. Laut Informationen
des US-Finanzministeriums war al-Wasel vornehmlich damit
beschäftigt, für Saddams Regime Waffen zu schmuggeln und Gelder zu
waschen. (11) Geleitet wurde die Firma
von Walid al-Kubaisi. Die al-Kubaisis sind eine Sippe aus dem
"sunnitischen Dreieck", die sich durch besondere Loyalität zu Saddam
Hussein auszeichnete. Es mag Zufall sein, daß die "Irakische
Patriotische Allianz", die als Kooperationspartner europäischer
Linker beim Einsammeln von Spendengeldern für den Terror im Irak
auftritt, von einem Ahmed al-Kubaisi geführt wird (12)
und die salafitischen Kämpfer in Falluja ebenfalls unter der Führung
eines Kubaisi stehen. Seit langem aber erhärtet sich der Verdacht,
daß Gelder der irakischen Regierung vor Kriegsbeginn gezielt an
Organisationen verschoben wurden, die später den "Widerstand"
anführten.
Träfe dies zu, so würden heute irakische
Zivilisten mit Hilfe des Geldes in die Luft gesprengt, das
ursprünglich für ihre Versorgung bestimmt gewesen war. Wie eine
Untersuchungskommission des US-Kongresses kürzlich bekannt gab, sind
Gelder von syrischen Banken, die offizielle Kontraktoren von Oil for
Food waren, aber auch irakische Schwarzgelddepots führten, an Fatiq
Suleiman al-Majid geflossen, der als Mittelsmann des "Widerstandes"
fungiert. (13) Es gibt darüber hinaus
starke Hinweise, dass Saddam das profitable Programm nicht nur
genutzt hat, um die PLO und andere Parteien, die sich im Nahen Osten
aktiv zu seinen Gunsten einsetzten, finanziell entsprechend zu
honorieren und den Familien von Islambombern in Palästina großzügige
Alimente zu zahlen, sondern international Unternehmen, Politiker,
Parteien und Organisationen geschmiert hat.
Im vergangenen Jahr fand der Journalist Marc
Perelman eine seltsame finanzielle Querverbindung zwischen Saddam
und dem Terrornetzwerk al-Qaida heraus. Eine Vertragsfirma des
UN-Programms, die in Liechtenstein ansässige Asat Trust, die ihre
Geschäfte mit der Bank al-Taqwa auf den Bahamas abwickelte, wurde in
einem nach dem 11. September 2001 veröffentlichten UN-Terrorreport
als "mit al-Qaida eng verbunden" eingestuft. (14)
Al-Taqwa wiederum befindet sich diesem Report zufolge im Besitz der
Muslimbruderschaft, und in ihrem Aufsichtsrat saß eine Zeitlang auch
der Neonazi und Islamkonvertit Ahmed Huber. Laut US-amerikanischer
Regierung "sammelt, verwaltet und investiert" al-Tawqa Gelder für
al-Qaida und "versorgt terroristische Unterstützer". Schon 1996
vermutete die italienische Antiterroreinheit DIGOS, das über
al-Taqwa Gruppierungen wie die Hamas, die ägyptische Jammaa Islamia
und die algerische GIA finanziell unterstützt werden. (15)
Kofigate
Der Trick, den Saddam nutzte, um an die Milliarden
zu kommen, bestand in erster Stelle darin, Ölgutscheine weit unter
Marktpreis für importierte Güter und andere Dienstleistungen
auszugeben, die die Empfänger dann zum bis zu 30% höheren
Weltmarktpreis einlösen konnten. Einen Teil des Geldes behielt der
Empfänger, der andere wurde auf schwarze Konten rücküberwiesen.
Hinzu kommt, daß Saddams Vertragsfirmen phantastische Preise für die
von ihnen gelieferten Waren verlangten. Die Hälfte des Surplus', der
zwischen 10 und 100% des Marktpreises betrug, strich ebenfalls der
irakische Staat ein.
Ölgutscheine wurden auch direkt als Schmiergelder
für Saddam wohlgesonnene Personen und Institutionen verwendet. Am
25. Januar 2004 veröffentlichte die irakische Zeitung al-Mada eine
Liste aus den Unterlagen des irakischen Ölministeriums, auf der sich
270 Personen und Institutionen befinden, unter anderem der ehemalige
französische Innenminister Charles Pasqua, die indonesische
Präsidentin Megawiti Sukarnoputri, der libanesische
Parlamentspräsident und ein Verwandter von Ghaddafi. Allein die
russische Regierung erhielt Gutscheine im Wert von 1,36 Milliarden
US-Dollar; zudem werden die Kommunistische Partei, Lukoil, Yukos,
Gasprom, die orthodoxe Kirche und Wladimir Schirinowski in der Liste
aufgeführt. (16) Den Löwenanteil des Oil
for Food-Geschäfts bekamen neben arabischen Firmen Frankreich und
Rußland, deren Ölfirmen ca. 40% der Förderlizenzen im Irak
innehatten. (17) Auch der Name des
prominenten Embargogegners und schottischen Ex-Labourabgeordneten
George Galloway, der die internationale Kampagne gegen den Irakkrieg
moralisch angeführt hat, taucht auf der Liste auf. Weiterhin
profitierten neben vielen anderen auch die Österreichisch-Arabische
Gesellschaft, die PLO, der libysche Premierminister, die
ukrainischen Kommunisten, die serbische sozialistische Partei, die
russisch-orthodoxe Kirche und Jean-Marie Le Pens
Irak-Solidaritätsvereinigung von Geldern, die eigentlich für die
Versorgung der irakischen Bevölkerung vorgesehen waren. (18)
Pikanterweise findet sich auf der Liste auch der
Name Bevon Sevan. Sevan war der von Kofi Annan eingesetzte Leiter
von Oil for Food. Unter seiner Ägide verpflichteten sich die UN
gegenüber dem Irak darauf, alle Verträge, die mit Firmen geschlossen
wurden, geheim zu halten. Außerdem erweiterte Sevan das Mandat des
Programms bis hin zu jenem Oil for Food Plus, das 2002 in Kraft trat
und dem Irak wieder ermöglichte, Mobiliar, Autos und
Telekommunikation, unter anderem für den Bedarf des irakischen
Informationsministeriums (50 Millionen) und des Justizministeriums,
dem einige Geheimdienste unterstanden, über UN-Treuhandkonten
einzuführen. Auch Uday Hussein konnte so für sein Hobby, den Ausbau
eines Olympiastadions in Bagdad, Bewilligungen in Höhe von 20
Millionen US-Dollar durchsetzen. (19) ABC
News behauptet, über einen Brief des ehemaligen irakischen
Ölministers aus dem Jahr 1998 zu verfügen, in dem dieser Sevan
fragt, über welche Firma er seinen Anteil von Ölgutscheinen in
Höhevon 3,5 Millionen Barrel einlösen wolle. (20)
Aber auch Kofi Annan höchstpersönlich steht nun unter Verdacht:
Überwachte bis ins Jahr 1998 die britische Lloyd's die Lieferungen
an den Irak, so erhielt in diesem Jahr die Schweizer Firma Cotecta
Inspections den Job. Ausgerechnet in dieser Firma arbeitete Annans
Sohn Koyo seinerzeit als Berater. (21)
All diese Einzelheiten kamen ohne Kooperation der
UN ans Licht, sie wurden von Journalisten recherchiert und vom
irakischen Regierungsrat publiziert. Bislang liegen auch die
Unterlagen der BNP Paribas, einer französischen Bank, über die das
Programm abgewickelt wurde, noch nicht vor. Hauptaktionär von
Paribas ist Nadhmi Auchi, der seit 1990 im Irak-Ölgeschäft tätig ist
und Kontakte zu Elf Aquitaine pflegte. (22)
Nachdem in der amerikanischen und irakischen
Presse immer lautere Fragen gestellt wurden und Kofi Annan einer
Untersuchung zugestimmt hatte, schickte Annans Sekretariat, wie
jetzt bekannt wurde, am 14. April 2004 einen Brief an Saybolt
International, einer Vertragsfirma des Programms, mit dem deutlichen
Hinweis auf die vertraglich geregelte Vertraulichkeit. Ein
gleichlautendes Schreiben ging auch an Contecta, jene Firma also,
die mit der Überwachung der Shipments in den Irak beauftragt war. (23)
Mit der "Aufklärung" der Vorwürfe wurde nunmehr ein
Untersuchungsausschuß der UN beauftragt, dessen Mitglieder
handverlesen und von Kofi Annan eingesetzt wurden und die wiederum
nur dem Generalsekretariat gegenüber berichtspflichtig sind. Dabei
wird voraussichtlich genau soviel herauskommen, wie von einer
Untersuchung zu erwarten ist, die ein Beschuldigter selbst
durchführt. Bereits nach wenigen Wochen meldete das Sekretariat Kofi
Annans pflichtschuldigst, daß noch keinerlei Hinweise gefunden
worden seien – und kritisierte in scharfem Ton, daß die
Übergangsverwaltung der Koalitionstruppen im Irak die Verwendung von
Geldern aus dem Ölverkauf seit Sommer 2003 bis dato nicht
vollständig offengelegt hat.
Beruhigend dagegen ist die Tatsache, daß die USA
ganz unilateral handeln: Inzwischen sind verschiedene
Untersuchungsausschüsse auf den Skandal angesetzt und selbst
Zeitungen wie die New York Times verfolgen "Kofigate" (24)
mit wachsendem Abscheu. Anders das alte Europa: Rußland wollte eine
UN-Untersuchungskommission unterbinden, und auch in keinem anderen
Land wird eine Untersuchung des Oil-for-Food-Skandals angestrebt.
Der Geschichte der UN fügt der Korruptionsskandal
um den Irak vermutlich kaum mehr als ein weiteres Beispiel für die
Funktionsweise der Organisation hinzu. Ein wesentliches
Charakteristikum, das nicht fehlen darf, wurde nämlich noch nicht
erwähnt: Das Yanquee Stadion. Der Begriff steht für den Vorwurf, die
UN seien von den USA kontrolliert und willfährige Helfer der
US-Politik im Nahen Osten. Besonders beliebt ist der Vorwurf bei
jenen, die es nun einmal wirklich besser wissen müssten. So wurde
auf dem Irak-Tribunal nach dem Vorbild der Russell-Tribunale auch
die Forderung erhoben, Kofi Annan müsse vor Gericht gestellt werden,
weil dieser nicht getan habe, was ihm möglich gewesen sei, nämlich
den US-amerikanischen Angriff auf den Irak zu verhindern.
Veranstaltungen wie dieser galt Moynihans Zorn. "Es ist höchste
Zeit", schrieb er damals, "dass die amerikanischen Vertreter auf
internationalen Foren gefürchtet werden für die Wahrheiten, die sie
aussprechen. Und es sollte der Vergangenheit angehören, dass wir uns
für eine unperfekte Demokratie entschuldigen."
Anmerkungen:
(1) Daniel Patrick Moynihan: The United States in
Opposition,in: Commentary Magazine, No. 3, Vol. 59, März 1975.
(2) Eigentlich waren es sogar drei Ereignisse. Das
dritte und bis heute bedeutsamste war die Wahl Chinas zum ständigen
Vertreter im UN-Sicherheitsrat. Die USA hatten Taiwan vorgeschlagen.
(3) Im Original: "The United States of America has
been colonized by the Zionists who hold all the tools of development
and power. They own virtually all the banking institutions, the
major manufacturing and processing industries and the major means of
communication; and have so much infiltrated the CIA that they are
posing a great threat to nations and peoples which may be opposed to
the atrocious Zionist movement. They have turned the CIA into a
murder squad to eliminate any form of just resistance anywhere in
the world." Zit. nach Mark Gerson: Norman's Conquest: A Commentary
on the Podhoretz Legacy, in: Policy Review, Nr. 74, Herbst 1995.
(4) UN-Botschafter wurde Moynihan übrigens nicht,
wie mitunter behauptet wird, unter Nixon, sondern unter Ford.
(5) Benny Avni: Israel's Envoy Protests Role of
Mr. Brahimi, in: New York Sun, 27.4.2004
(6) Dr Sabah A. Salih: Why the Kurds have reason
to be wary of Lakhdar Brahimi, in: KurdishMedia.com, 2.5.2004
(7) Ebd.
(8) Michael Rubin: "Betrayal"; Iraqis are hesitant
to trust the U.S., in: National Review Online, 19.4.2004.
(9) Ebd.
(10) Zit. nach: Claudia Rosett: The Oil-for-Food
Scam: What Did Kofi Annan Know, and When Did He Know It? In:
Commentary Magazine, 16.4.2004.
(11) US-Treasury, Press Statement, 15.4.2004,
"Treasury Designates Front Companies, Corrupt Officials Controlled
by Saddam Hussein's Regime",
http://www.treas.gov/press/releases/js1331.htm
(12) Al Kubaisi ist gerne gesehener Gast auf
linken Veranstaltungen zum Irak und wird vor allem von der
Antiimperialistischen Koordination Wien und der jungen Welt
beworben.
(13) Niles Lathem: U. N. Oil $$ linked to Iraqi
Terrorists, in: New York Post, 19. 7. 2004
(14) Marc Perelman: Oil for Food Sales seen as
Iraq tie to Al Qaida, in: Forward, 20. 6. 2003
(15) Claudia Rosett: Oil-for-Terror; U.N. Iraq
money may have ended up in accounts tied to al Qaeda and the
Taliban, in: Opinion Journal, 28. 4. 2004.
(16) The Saddam Oil Vouchers Affair von Dr.
Nimrod Raphaeli in: Memri – Inquiry and Analysis Series – No. 164
vom 20.2.2004 – www.memri.org
(17) Carrie Satterlee: "Facts on Who Benefits
from Keeping Saddam Hussein in Power", Heritage Foundation WebMemo
Nr. 217 v. 28.2.2003. In einer Kongreßanhörung erklärte Claude
Hanke-Drielsma, die Untersuchung ergebe eine offensichtliche
Verbindung zwischen den finanziellen Interessen der Länder, die
Saddam Hussein unterstützt hätten, auf Kosten der irakischen
Bevölkerung und ihrer vehement vorgetragenen Kriegsgegnerschaft.
(18) The Saddam Oil Vouchers Affair a.a.O.
(19) Claudia Rosett: The Oil-for-Food Scam: What
Did Kofi Annan Know, and When Did He Know It? A.a.O.
(20) ABC News, 22.4.2004
(21) Claudia Rosett: Kojo & Kofi; Unbelievable
U.N. Stories, in: National Review Online, 10. 3. 2004
(22) Diese Information stammt aus dem
hervorragend recherchierten Buch von Kenneth Timmermann: The French
Betrayal of America, New York 2004. Timmermann deckt die engen
Beziehungen zwischen Frankreich und dem Irak auf, vor allem die
Männerfreundschaft zwischen Jacques Chirac und Saddam Hussein.
(23) Claudia Rosett: "We Have Other Priorities";
Why won't the U.N. answer questions about its Iraq scandal?, in:
Opinion Journal, 5.5.2004.
(24) In Europa war es die Schweizer Weltwoche,
die dem Thema einen längeren Artikel unter dieser Überschrift
widmete. Deutschen Medien sind zwar Unregelmäßigkeiten in
Millionenhöhe amerikanischer Konzerne im Irak lange Artikel wert,
der Oil-for-Food-Skandal wird dagegen schlicht verschwiegen.
hagalil.com
25-08-2004 |