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Reisebericht aus dem Irak:
Am seidenen Faden

Die Sehnsucht des irakischen Volkes nach einer Gesellschaft, die auf Menschenrechten fußt, scheint manchmal stark genug die Zersplitterung in ethnische Gruppen und religiöse Unterschiede zu überwinden, dann aber auch wieder zerbrechlich und vorläufig

Von Micha Odenheimer, Haaretz, 21.11.2003
Übersetzung von Martin Hablitzel

BAGDAD – Najaf und Karbala, die zwei heiligsten Städte des Schiitischen Islam, sind in sich geschlossene Welten, die sich um die heiligen Gräber ihrer Zentren drehen – die Gräber der Märtyrer und Gründer der Schiitischen Lehre, Ali und Hussein. Diese Städte wurden für die Pilgerreise gebaut, mit Dutzenden kleinen, reich geschmückten Hotels und weiträumigen Plätzen, wo Pilger aus dem Iran, die zu arm für eine Unterkunft sind, auf Matratzen aus Pappe schlafen.

Draußen, vor den majestätischen Moscheen, die die Gräber beherbergen, verhökern Straßenhändler ihre Waren: Kassetten und Videos mit ekstatischen schiitischen Ritualen, Teppiche und Poster mit den Gesichtern von Hussein und Ali, Koran-Lesungen, gepredigt von bekannten Ayatollahs. Religiöse Musik, deren melancholische Tonart von rauen Schlägen verzerrt wird, tönt aus behelfsmäßigen Verstärkern.

Safa, der Schiitische Fahrer aus Bagdad, den wir für unseren Trip in den Süden angeheuert haben, führt uns durch die Straßen Karbalas. Mein kurdischer Dolmetscher Zimkan Ali ist nervös. Gestern ist hier in Karbala eine Bombe explodiert und tötete einen jungen Mann vor einem Hotel auf der Hauptstraße, nur Meter von der Hussein-Moschee entfernt. "Mokdata Sadrs Anhänger versuchen die Stadt zu übernehmen," erzählt mir Zimkan mit einem Hinweis auf den radikalen jungen Führer einer militanten Schiitischen Fraktion, die großen Einfluß unter armen Schiiten in den Slums von Bagdad gewonnen hat. "Dieser Platz ist voll religiöser Fanatiker."

Seitdem Saddam die Kontrolle über den Süden verlor, konkurrieren verfeindete Schiitische Fraktionen darum, das Machtvakuum in den beiden heiligen Städten zu füllen. Diese Geplänkel fanden ihren Höhepunkt in den Explosionen mit terroristischem Hintergrund, hinter denen die Schiiten Saddam-treue Kräfte vermuten um vernichtende Kämpfe unter den Schiiten zu provozieren. Das bekannteste dieser Attentate war jenes, bei dem Ayatollah Mohammed Bakri al-Hakim, Führer des Hohen Rates des Islamische Widerstands und weitere 80 Iraker vor der Ali-Moschee in Najaf umkamen. Al-Hakims Portrait ist in Karbala und Najaf allgegenwärtig; sein Bruder Abdul ist jetzt Mitglied des irakischen Regierungsrates.

Wir kommen gerade auf dem Hauptplatz in Karbala an, als ein Trauerzug für ein Bombenopfer von gestern beginnt. Mehrere hundert Männer folgen dem Körper, der sehr hoch in einem hölzernen Sarg getragen wird, welcher mit gelb-orangenem Stoff drapiert und mit Zweigen und Blumen ausgeschmückt ist. Ein Vorbeter schreitet dem Sarg voran, weist der Menge den Weg und ruft "Allahu Akhbar (Gott ist groß)," mit der bloßen Stimme aus, die sich so donnernd und körnig anhört, als ob er ein Megafon benutzen würde. Der Körper wird in Richtung der Moschee Husseins getragen, der ein Enkel des Propheten Mohammed war. Als der Sarg das Tor passiert, fragt Zimkan den Wächter, ob ich auch eintreten könnte, worauf uns der Wächter ein Zeichen gibt, dass wir willkommen seien.

Das Innere der Moschee strahlt nur so vor Schönheit. Jede Oberfläche ist hingebungsvoll ausgeschmückt. Grüne, goldene, silberne und blaue Steine in aufwendigem, abstraktem Design gehalten. Suren aus dem Koran sind in einer stilisierten, erhabenen nahezu perfekten Kalligrafie in die oberen Wände eingelassen, kurz bevor sie in das Kuppelgewölbe übergehen. Das Grab selbst liegt hinter einem silbernen Gitter, welches die Pilger küssen, bevor sie darüberstreichen und es nochmals küssen. Das Grab erscheint in dunstigem, grünen Licht. Ich spähe durch das Gitter und sehe eine grüne Neon-Birne.

Leute reden mich in einer Sprache an, die ich nicht verstehe und plötzlich steht mein Dolmetscher neben mir, der besorgt aussieht. "Sie hielten Sie für einen Iraner," flüstert er mir zu. "Deshalb ließen sie Sie hinein. Jetzt allerdings stellen sie fest, das Sie kein Persisch sprechen. Diese Moschee ist wie Mekka. Nicht-Moslems dürfen hier nicht sein. Wir sind nun in ihrem Gewahrsam."

Mehrere bärtige und ernst dreinschauende junge Männer führen uns drei – Zimkan, Safa und mich – zu einem Büro im Hof der Moschee und beginnen uns zu befragen. "Jeder weiß, dass die Ali- und Hussein-Moschee für Nicht-Moslems verboten sind," sagt der älteste der bärtigen Männer, als wir uns mit Unkenntnis zu entschuldigen versuchen. Zwei der Männer bringen Zimkan in einen anderen Raum und durchsuchen ihn. Sie durchsuchen auch mich, untersuchen mein Notebook und rufen andere, ältere bärtige Männer herbei, um ihren Rat einzuholen. Safa beruhigt mich und sagt, dass alles in Ordnung sein wird. Nach ca. zehn Minuten werden wir entlassen.

Aber irgendwie ist die Atmosphäre vergiftet. Ich mache ein Foto von einem kleinen Mann mit einem weißen Bart, der im Schneidersitz auf einer Decke nahe der Moschee sitzt und geheimnisvoll lächelt. "Gib ihm Geld," machen mir Leute mit ihren Händen und Ausdrücken klar. "Er ist ein Bettler." Aber als ich einen Schein hervorhole blockiert mir ein junger Mann mit Bart den Weg und brüllt mich auf Arabisch an. "Du amerikanischer Journalist. Du willst ein Bild von diesem Bettler machen? Du willst ihm Geld geben? Du willst zeigen, dass alle Iraker Bettler sind!"

Erinnerungen werden ausgelöst

Wir gehen schnell weiter. Ich merke, dass Zimkan von unserer kurzen 'Verhaftung' in der Moschee traumatisiert ist. Er wurde in Halabja geboren, der kurdischen Stadt nahe der iranischen Grenze, die Saddam Hussein 1988 mit Giftgas angreifen ließ und damit mehr als 5000 Einwohner tötete. Die Aktion in der Moschee weckte Erinnerungen in ihm; Zimkan ist geistesabwesend und traurig.

"Sie durchsuchten mich, weil ich ein Kurde bin," sagt er. "Du weißt nicht, was 'Kurde' für die Araber bedeutet."

"Aber alles ist in Ordnung," sage ich Zimkan. "Das hier sind Schiiten. Sie litten unter Saddam genauso wie die Kurden. Das war nicht Saddams Geheimdienst."

"Es ist noch nicht vorbei," beharrt er, ohne auf meine Argumente zu hören. "Sie werden mich suchen. Es waren Moktada Sadrs Männer. Diese haben die Moschee übernommen. Sadr sagt, Kurden seien 'kafr' – Ungläubige. Sie werden sagen, dass ich es war, der einen Amerikaner zu ihrem heiligsten Ort führte. Sie werden mich töten."

Zimkans Reaktion fordert mein Denkmuster über die irakische Situation heraus. In Bagdad saß ich oft in einem Freiluft-Teehaus nahe meinem Hotel – es war ein Plastiktisch auf dem Gehweg – wo sich jeden Abend dieselben Leute aus der Nachbarschaft trafen. Einer von ihnen, Nidam, ein 30-jähriger Schiite mit einem Babyface und sehr gutem Englisch, bemerkte mit einer Handbewegung: "Schau wer an diesem Tisch sitzt: Schiiten, Chaldäer, Sunniten, Armenier, Kurden. Saddam und seine Verbündeten von Al-Qaida versuchen uns gegeneinander aufzuhetzen, Kurden gegen Araber, Schiiten gegen Sunniten. Aber sie werden es nicht schaffen. Niemals!"

Von allem was ich bisher sah, hielt ich die Sehnsucht der Iraker nach einer Gesellschaft, die auf Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit fußt, für stark genug, die Zersplitterung in ethnische Gruppen zu überwinden. Aber nach Zimkans Schrecken begreife ich, wie zerbrechlich und dünn die Fäden sind, die die irakische Gesellschaft zusammenhalten.

Nach ein paar Stunden war wieder alles anders. Die Sonne war untergegangen, was das Fasten während des Ramadan beendete, und eine festliche Stimmung kam auf. Die Menschen taten sich gütlich an Huhn und Reis, Lamm Kebab, frische Früchte und Vanillepudding. Safa, unser Fahrer, aß schnell und ging dann zur Moschee zurück, aus der wir hinausgeworfen wurden. Er kam mit zwei Neuigkeiten zurück. Erstens würden Moktada Sadrs Männer die Hussein-Moschee überhaupt nicht kontrollieren. Die Männer, die uns festgehalten hatten, waren Schüler des Großen Ayatollah Ali Sistani, der populärste Schiiten-Führer im Irak, und eine weit weniger militante Persönlichkeit als Sadr. Zweitens halfen ebendiese Männer Safa, mir ein Interview mit Scheich Abdul Mahdi, dem Verwalter der Hussein-Moschee, Sistanis Stellvertreter und einer seiner engsten Berater, zu beschaffen.

Nur drei Wochen zuvor, am 16.Oktober, kämpften Abdul Mahdi und 200 Sistani-Getreue Sadrs Männer nieder, als diese die Hussein-Moschee gewaltsam besetzt hatten. Drei amerikanische Soldaten und zwei irakische Polizisten starben als sie in die Auseinandersetzung der beiden Schiiten-Gruppen eingreifen wollten. Am darauffolgenden Tag wurde ein Waffenstillstand ausgehandelt, der Abdul Mahdi als Sistanis Stellvertreter die Leitung beließ. Da Sistani keine Interviews gibt, war Abdul Mahdi der höchste Repräsentant der Schiiten, von dem wir hoffen konnten, ihn zu treffen. Zimkans Angst verging so schnell wie sie gekommen war. Safa, Zimkan und ich waren mehr als erleichtert.

'Wir wollen Sicherheit'

Scheich Abdul Mahdis sauberes, weißes und modern-aussehendes Haus ist voller Gäste. Sie sitzen auf Kissen am Rande des großen Salons, so dass in der Mitte genug Platz ist für Männer, die Tabletts mit Tee, Keksen und Coca-Cola tragen. Wir werden warm und freundlich begrüßt und sind sehr nervös. Nach ein paar Minuten werden Zimkan und ich in einen angrenzenden Raum geführt: Abdul Mahdis Arbeitszimmer. Ledergebundene Bände über religiöses Recht und Philosophie stehen in den Bücherregalen; in einer Ecke liegt ein Mickey-Maus-Spielzeug; Beleg für die kleinen Kinder des Scheichs. Abdul Mahdi, 47 Jahre alt, sitzt im Schneidersitz auf dem Boden. Er hat die weichen Hände eines Gelehrten. Überall dort, wo der Bart sein Gesicht nicht bedeckt, ist die Haut glatt.

Ich stelle Abdul Mahdi eine allgemeine Frage über die Zukunft Iraks, um die Stimmung zu lockern bevor über Politik geredet wird. Aber er muß sich nicht aufwärmen.

"Alle Iraker leiden am Sichheitsmangel," fängt er an. "Wir wollen Sicherheit und dafür sind die Verbündeten verantwortlich. Die Verbündeten müssen unnachgiebig sein mit der Baath-Partei, dem Überbleibsel von Saddams Regime. Sie sind Mörder, Kriminelle. Wir wissen, dass es Treffen, Planungen und Bewegungen der Baath-Mitglieder gibt. Sie wollen zeigen, dass es im Irak keinen Frieden gibt. Die Verbündeten müssen etwas tun und zuschlagen! Warum haben sie damit noch nicht begonnen? Sehr viele Baath-Mitglieder sind immer noch in mehreren Ministerien und anderen Bastionen der Macht am Werk. Wenn Amerika der Baath-Partei erlaubt die Staatsgewalt zu unterwandern, ist das ein Fehler, ein großer Fehler. Warum wird diesen Leuten nicht der Prozeß gemacht?"

"Also sollen die Amerikaner vorerst für die Sicherheit im Irak verantwortlich sein?"

Abdul Mahdi: "Amerika muß schnell eine neue irakische Regierung und einen starken Polizeiapparat aufbauen. Aber sie können mit Sicherheitsaufgaben nicht irgendjemand beauftragen, sonst werden die Leute der Polizei nicht vertrauen. Es sind immer noch Baath-Elemente in der Polizei-Hierarchie. Diese müssen entfernt werden. Die Polizei ist noch nicht stark genug, Sicherheit zu gewährleisten."

"Einige Amerikaner haben ziemliche Schwierigkeiten schiitische Gruppen von Fundamentalisten wie z.B. Al-Qaida abzugrenzen. Können Sie helfen, den Unterschied zu erklären?"

"Wir sind zu 100% das Gegenteil von Al-Qaida. Wir betrachten sie nicht als islamisch. In Afghanistan und andernorts haben Al-Qaida die Schiiten bekämpft. Für uns bedeutet der Islam Frieden. Die religiöse Obrigkeit haben strikte Befehle erlassen, die uns verbieten gegen die Amerikaner Waffen zu erheben. Nicht, dass wir eine permanente Anwesenheit der Amerikaner im Irak wünschen. Ayatollah Sistani – dem die Mehrheit der Schiiten folgen – möchte, dass die Amerikaner im Frieden gehen. Er möchte ein Irak für die Iraker - schnell und friedvoll. Wir möchten, dass die Amerikaner friedlich nach Hause zu ihren Familien zurückkehren. Aber gegen die Soldaten der Verbündeten kämpfen? – wir erwägen keinen solchen Widerstand. Wir sind voll und ganz gegen die Angriffe auf die Verbündeten. Solche Angriffe entsprechen nicht den Interessen des irakischen Volkes. Es ist die Baath-Partei, die gegen die Amerikaner kämpft, weil sie unter der irakischen Freiheit leidet.

Natürlich wollen wir die Rechte zurückhaben, die uns gehören. Wir sind die Mehrheit hier im Irak, aber unter dem letzten Regime wurden uns all unsere Rechte entrissen. Wir möchten eine angemessene Vertretung der Schiiten in der Zentralregierung und in allen Regierungsinstitutionen. Und obwohl wir diese Ziele friedlich erreichen wollen werden wir letztendlich einen anderen Weg einschlagen, falls es so nicht möglich ist."

"Saddam war bekannt dafür, dass er die Palästinenser unterstützte. Er unterstützte die Familien von Selbstmordattentätern mit 25.000$. Stimmen Sie mit dieser Politik überein?"

"Saddam ist ein Lügner. Ich glaube nicht notwendigerweise, dass er den Palästinensern geholfen hat, aber wenn doch, dann zu seinem eigenen Nutzen. Wir unterstützen die Palästinenser in allem, was sie unternehmen, um ihre Rechte zu erhalten, denn die Israelis sind unnachgiebig und brutal. Aber das heißt nicht, dass wir sie ausstatten oder fördern werden. Der israelisch-palästinensische Konflikt geht uns nichts an. Wir sind auf der Seite der Palästinenser was ihren Kampf für ihre Rechte angeht. Aber wenn Israel ihnen ihre Rechte gibt, hat die Region eine Chance auf Frieden."

Der Scheich entschuldigt sich. Die Zeit ist um; Menschen warten auf ihn "Nur noch eine Frage," sage ich. Er setzt sich wieder hin. "Wie halten es Sie mit der Demokratie?," frage ich. "Gibt es einen Konflikt zwischen Islam und Demokratie? Wollen Sie ein Irak, das dem islamischen Staat Iran gleicht, wo die Scharia herrscht?"

Er antwortet auf die letzte Frage. "Die Scharia gilt im Irak und im Iran. Wir sind religiös verbunden. Sie folgen unseren Gelehrten und wir folgen ihren. Aber das hat nichts mit Politik oder spezifischen Problemen zu tun. Die religiöse Obrigkeit in Najaf [wo der Große Ayatollah Sistani lebt] ist vollkommen unabhängig vom Iran.

Was Demokratie betrifft, können Islam und Demokratie natürlich koexistieren. Wie verstehen Demokratie in einem speziellen Weg. Aber selbst auf diese Weise kollidiert der Islam nicht mit der westlichen Vorstellung von Demokratie, in der sowohl die Mehrheit als auch die Minderheit Rechte hat. Ja, es ist möglich eine Regierung im Irak nach dieser Vorstellung zu bilden."

Der Salon, in dem Abdul Mahdi Besucher empfängt, hat sich in seiner Abwesenheit fast noch mehr gefüllt. Er ist nun vollgestopft mit Bittstellern und Würdenträgern, von denen viele entweder Turban oder Fes tragen. Draußen bewachen drei imposant aussehende Männer ohne sichtbare Waffen den Zugang.

Flüchtiger Blick in die Zukunft

Im kurdischen Norden ist es möglich einen flüchtigen Blick zu erhaschen, wie der Irak unter einer 'westlichen' Regierung aussehen könnte. Verglichen mit den nördlichen irakischen Städten wie Mosul oder Kirkut, die düster, staubig und deprimiert aussehen, floriert die kurdische Region, die seit 1991 nicht mehr unter Saddams direkter Kontrolle steht. Das irakische Kurdistan ist zweigeteilt: die westliche Hälfte wird von der älteren und konservativeren Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) regiert, die östliche Hälfte von der liberaleren Patriotischen Union Kurdistans (PUK). In Suleymania, der Hauptstadt des PUK-kontrollierten Ostens sind die Straßen geschrubbt, neue Gebäude werden gebaut und in den Straßen blüht der Handel. An einer belebten Kreuzung gibt es ein Fast-Food Restaurant, dass genauso aufgemacht ist wie ein McDonalds, selbst ein Ronald McDonald Clown hat seinen Platz im Fenster. Aber der McDonalds Firmenleitung hielt eine Franchise-Vergabe im Irak für zu riskant; stattdessen hat Souleymania einen 'MaDonals'. Ein Zeugnis Kurdistans inniger Zuneigung zu den Amerikaner; er ist sogar während des Ramadan geöffnet.

Ein anregenderes Zeichen für die kurdische Demokratie ist Halwati, eine unabhängige, wöchentlich erscheinende Zeitung, die in Suleymania verlegt wird. Deren Untersuchung von irakischen Geheimdienstunterlagen, die ihnen nach dem Fall Bagdads in die Hände fielen, hat inzwischen mehrere prominente PUK- und KDP-Offizielle, wie z.B. den General Uriah Maaluf, den Polizeichef der gesamten Region, als Baath-Spione entlarvt. Halwati-Reporter sind Teil des neuen Typs kurdischer Intellektueller. Statt von einem unabhängigen Kurdistan, träumen sie von einem neuen Irak. Twana Osman ist einer von Halwatis Star-Reporter.

"Was bedeutet 'Irak' für Sie," frage ich ihn, "einem Kurden, dessen Volk von den Irakern abgeschlachtet wurde?"

"Wäre ich Teil eines demokratischen, freien Iraks, das ein Vorstellung von Bürgerrechten hat, würde ich stolz darauf sein, ein Iraker zu sein, nicht Kurde oder Schiite," sagt er.

Abdullah, ein kurdischer Intellektueller in seinen 50ern, der für die UNO arbeitet, äußert noch unverblümter seine Vorliebe für einen demokratischen Irak, statt eines nationalistischen Kurdistan: "Ich habe nicht den geringsten Wunsch, von einem kurdischen Diktator in den Arsch getreten zu werden."

Die in die Dutzende gehenden Internet-Cafés, die in Suleymania öffneten, sind vielleicht die eindrucksvollsten Symbole für Offenheit und Unternehmergeist. Aber das Internet zeigt auch die dunkle Seite der neuen Online-Welt. Als ich einem kurdischen Bekannten sage, dass mein Bildschirm im Intercafé ständig von Hardcore-Porno-Werbung "angegriffen" wird, sagt er mir, dass 80% des Internetgebrauchs in Kurdistan, auf Pornoseiten fällt.

Fallah, ein weiterer kurdischer Freund hat ein anderes Problem mit dem Internet. Als Überlebender von Saddams Chemieangriffe, versucht er eine wegweisende Vergleichsstudie zu erstellen zwischen Holocaust und 'Anfal', dem irakische Massaker an den Kurden. Aber als er das Wort 'Holocaust' in die arabischen Suchmaschinen eingibt, erscheinen nur Adressen zu Holocaust-Leugnungs-Seiten.

Solche Dinge machen Kaabat Ibrahim Raheen, einem kurdischen Landmaschinen-Ingenieur, den ich in Bagdad treffe, Sorgen. Kaabat verbringt viel Zeit beim Chatten im Internet und versucht Amerikaner davon zu überzeugen, dass die meisten Iraker, trotz der ganzen Berichte in den Medien über Widerstand, die sie lesen, wollen, dass die Truppen bleiben, bis eine stabile, demokratische Regierung gebildet worden ist. Aber Kaabat ist fast noch beunruhigter über die Medien im Irak: "Die Verbündeten und der Regierungsrat hätten besser schnell starke Medien aufgebaut. Das Volk im Irak weiß nichts über die Welt da draußen. Jetzt erinnern sie sich noch an Saddams Horror und lehnen die Sichtweise von Al-Jazeera und AlArabia ab. Aber für wie lange noch?"

Kaabats Ängste beschäftigen mich auf meinem Heimweg, denn viele Iraker scheinen offen für widersprüchliche Einflüsse, als ob sie auf mehr als eine innere Stimme hören würden. Während meiner letzten Nacht in Bagdad stehe ich nach Mitternacht auf und spreche mit Nidam Fatah, dem 30jährigen Schiiten, einer der Stammgäste in dem behelfsmäßigen Teehaus, dessen Lebenszeit sich mehr oder weniger mit der Regierungszeit der Baath-Partei deckte. Nidam machte auf mich sofort einen intelligenten und redegewandten Eindruck – aber auch einen verwirrten. Obwohl ihm einerseits sein Vater seit frühester Kindheit beibrachte, dass Saddam ein böser Mann sei, waren andererseits alle Lehrer Nidams durch und durch indoktriniert mit der Ideologie der Baath-Partei.

"Ich ertappe mich selbst dabei, Saddam zu verteidigen," sagt Nidam. "Ich weiß nicht einmal, warum! Als der Krieg vorbei war, weinte ich. US-Panzer in Bagdad? Wie kann das sein! Was für ein Schlag ins Gesicht! Meine Kinder zeigten den Truppen das Daumen-nach-oben-Zeichen, aber ich sagte: 'Nein! Tut eure Daumen nach unten!' Aber dann sah ich die Massengräber. Ich verstand die Fakten. Ich durchdachte alles noch einmal. Ich sagte, ja, warum nicht, sie können unser Öl haben, aber dafür müssen wir wenigstens gut leben können."

Nidam haßt Palästinenser, weil "sie Saddams Günstlinge waren, während ich nichts hatte," aber er haßt auch die Israelis und glaubt, dass Saddam ein israelischer Spion war. Sein Beweis: "Er schoß 37 Raketen auf Israel und alle verfehlten ihr Ziel, aber die Israelis haben sehr viel Geld für Wiederaufbaumaßnahmen bekommen."

Fürs Erste hofft Nidam auf einen demokratischen Irak und ein normales Leben, und deshalb will er auch, dass die Amerikaner ihre Mission, die sie begonnen haben, fortsetzen. Aber wie lange wird das dauern? Und was sind Nidams Kriterien für ein 'gutes' Leben? "Im Moment sollten sie [die Amerikaner] bleiben. Es ist ihre Verantwortung. Sie sollten eine Regierung bilden, Wahlen durchführen und die Lage stabilisieren; eine Regierung, die frei und friedlich ist. Aber dann müssen sie gehen."

hagalil.com 05-12-2003

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