MEMRI Special Dispatch -
11. August 2003
Irakischer Intellektueller:
Arabische Nationalisten sollen sich
aus dem Irak heraushalten
Der in London lebende
irakische Kolumnist Khaled Al-Qishtini kritisierte in
der Zeitung Al-Sharq Al-Awsat jene Stimmen in der
arabischen Welt, die Angriffe auf U.S.-Truppen im Irak begrüßen.
In seinem Artikel "Erst Palästina, dann Irak"(1) kritisiert er zunächst
vor allem die Rolle palästinensischer Intellektueller. In "Auf
Wiedersehen Arabischer Nationalismus"(2) verurteilt er Intellektuelle,
die weiterhin das Hussein-Regime verteidigen. Qishtini beruft sich dabei
auch auf die irakische Bevölkerung, die mehrheitlich gegen einen
sofortigen Abzug der Besatzungstruppen sei. Es folgen Auszüge aus den
Artikeln:
'Erst Palästina,
dann Irak'
"[...] Ursache der
Probleme in der arabischen Welt sind nicht die Palästinenser, sondern
Rückständigkeit und Egoismus. Allerdings hat das Palästinenserproblem -
nicht die Palästinenser - die Komplexität dieser Probleme noch erhöht.
Dessen sind sich heute die meisten Araber auch bewusst und beginnen sich
darüber zu ärgern, was ihre Länder wegen des Palästinenserproblems zu
erleiden haben. Sie sind nicht länger bereit, weitere Opfer dafür zu
bringen.
Ich wähle meine Worte mit
Bedacht: Ich mache nicht die Palästinenser als solche verantwortlich,
sondern die palästinensischen Intellektuellen und ihre Führungsriege
[...] Ich habe mich lange Jahre mit der palästinensischen Sache und
ihrer Verteidigung beschäftigt. [...] Vier Jahre habe ich an dem Buch
'Die Essenz des Zionismus' gearbeitet. Heute aber bin ich sehr
verbittert. [...] Ich bin verbittert, weil mir klar geworden ist, dass
die palästinensischen Intellektuellen sich letztlich gar nicht für das
Leid ihres eigenen Volkes interessieren. Die meisten von ihnen leben in
eleganten Häusern in den USA oder in Europa, fahren teure Autos und
schicken ihre Kinder auf renommierte Schulen. Sie lehnen jeden
Lösungsvorschlag für das Palästinenserproblem ab und [fordern
stattdessen] Standhaftigkeit, Opferbereitschaft und Shahada
[Märtyrertum]. Aber wer wird denn zum Märtyrer? Keines ihrer Kinder
jedenfalls. Natürlich nicht, sondern die Kinder der unglückseligen
[Palästinenser].
Seit 50 Jahren kennen wir
die Bilder von weinenden und trauernden Müttern und ihren zerstörten
Häusern. Aber niemand denkt daran dieses Leiden zu beenden. Steine sind
wichtiger geworden als Menschen, und statt dass das Land dem Menschen
dient, ist der Mensch zum Sklaven dieses Landes geworden. Ein ganzes
Jahrhundert lang ist die Geschichte der Palästinenser geprägt durch die
Idiotie ihrer Intellektuellen, durch Egoismus, durch Arroganz und
nationale Dummheit, die ihr Land in Stücke riss und katastrophale Folgen
für sie hatte.
Und jetzt wollen sie den
Irak und die Iraker in das gleiche Schicksal stürzen - mit den gleichen
Slogans, den gleichen Dummheiten und dem gleichen Egozentrismus. [...]
Aber mir ist jeder Tropfen Blut eines irakischen Bauern wichtiger als
alles andere in diesem Land, mit seinen Bergen, Flüssen, seinem Öl und
seinen goldenen, silbernen oder blechernen Zeitaltern.
Werter [Leser] ...
schließen Sie sich doch meiner Verurteilung der arabischen
Intellektuellen an, die immer noch Saddam unterstützen und auf seine
Rückkehr warten, und zeigen wie ich Dankbarkeit gegenüber jenen
Ländern, die ihre Söhne für den Sturz seines Regimes opfern. [Schließen
sie sich mir doch an] und verurteilen die zerstörerischen Aktionen [im
Irak], die eine Aufschwung des Iraks verhindern und Saddams teuflische
Herrschaft wiederaufbauen wollen." [...]
'Auf Wiedersehen
arabischer Nationalismus'
"Alle, die derzeit im Namen
des arabischen Nationalismus, im Namen von Souveränität und
Unabhängigkeit sprechen, werden zu Mördern von dem, in dessen Namen sie
sprechen. Das war auch in der Vergangenheit schon so - der überwiegende
Teil der Katastrophen und Niederlagen, die wir erlitten, lassen sich auf
diese Leute zurückführen, die uns mit Parolen über Einheit und
Arabischen Nationalismus in die Irre führten. Und mit ihrer Einmischung
in die Angelegenheiten der Iraker schlagen sie nun den letzten Nagel in
den Sarg [des Arabischen Nationalismus].
In einem kürzlich
veröffentlichten Buch stellen amerikanische Experten Fragen zum
Einmarsch in den Irak. Warum, so fragen sie, kann in der arabischen Welt
die Demokratie nicht Fuß fassen? Sogar in den wenigsten entwickelten
Ländern Afrikas beginnt sie sich zu etablieren und zu stabilisieren -
aber nicht in der arabischen Welt. Und so fragt man sich: Gibt es noch
Hoffnung auf Demokratisierung in der arabischen Welt?
Erst vor kurzem begannen
arabische Intellektuelle sich mit der Person des Diktators in seinen
abscheulichsten Ausprägungen zu beschäftigen. Dieser versuchte nicht nur
die Diktatur in seinem eigenen Land zu errichten [.]sondern mittlerweile
sehen wir auch, wie er sogar versucht hat, anderen Völkern seinen Willen
aufzuzwingen.
Verschiedene neue
statistische Untersuchungen von unabhängigen Forschungsinstituten
belegen nun, dass 80% der Iraker ein Verbleiben der
Koalitionsstreitkräfte für zwei Jahre befürworten, und dass über die
Hälfte eine Übernahme der Verwaltung des Landes durch die UN
unterstützen.
Mit welchem Recht ermutigt
da ein palästinensischer Journalist, der in London lebt und seinem Land
und der arabischen Welt den Rücken zugekehrt hat, um sein Leben unter
dem Schutz von Queen Elizabeth zu genießen, und [mit welchem Recht
ermutigt] ein Fernseh[kommentator] in Qatar oder Libanon die
Terroristen, Diebe und Mörder im Irak dazu, weiter zu agieren? [Was gibt
ihnen das Recht, diese Leute] in den Stand nationaler Widerstandskämpfer
zu erheben? Wer hat ihnen [...] das Recht gegeben, die Wünsche von drei
Vierteln des irakischen Volkes in Frage zu stellen - ihre
Interessen, ihr Recht in Sicherheit zu leben und ihren Willen, das Land
unter dem Schutz der einzigen Macht wiederaufzubauen, die in der Lage
ist, Sicherheit und Frieden zu schaffen, die Einheit des Landes und die
Integrität der Grenzen zu gewährleisten und es vor sozialer
Selbstauflösung und einem Bürgerkrieg zu bewahren?
Wenn die
Koalitionsstreitkräfte ihre Truppen zurückziehen und das Land verlassen
würden, würden die verschiedenen irakischen Führer aufeinanderprallen -
so wie sie es schon seit 13 Jahren tun, unfähig, zu einer gemeinsamen
Vereinbarung zu kommen. Und wenn aus diesen Auseinandersetzungen ein
Bürgerkrieg und bewaffnete Konflikte werden, wie in Somalia, im Libanon
und in verschiedenen Ländern Zentralafrikas - wer wird dann
gebeten, die Flammen zu löschen? Amr Moussa [Generalsekretär der
Arabischen Liga] vielleicht? Yassir Arafat? Die Arabische Liga?
Natürlich nicht, werte Herren. Also bleibt uns vom Leibe. Mit Euch haben
wir es lange genug versucht.
Die Koalitionsstreitkräfte
werden sich nicht aus dem Irak zurückziehen bis sie ihre Mission erfüllt
haben. Sie sind auf Wunsch der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung
im Irak und ihre Mission ist ehren- und dankenswert. Jeden Tag
verstärken sie ihre Präsenz [im Irak] durch Streitkräfte andere Länder,
deren Führungen den Edelmut der Mission verstanden haben. Diese Mission
dient dazu, [ein Bewusstsein] für die Legitimität von Recht und Gesetz
zu schaffen, eine demokratische Regierung zu gründen, Frauen von
Sklaverei und Rückständigkeit zu befreien, Transparenz in die
[öffentliche] Verwaltung zu bringen sowie Rationalität und den Geist von
Wissenschaft in der Erziehung zu verbreiten und die Menschenrechte zu
verteidigen.
Die Terroristen, Söldner
und Ewiggestrigen müssen verbannt werden. Niemand sollte boshaftes
Gefallen an den vorübergehenden Räubereien finden. Bald werden die
Iraker auf eigenen Füßen stehen und eine weitere Lektion lernen [...],
die Ausgangspunkt auf dem Weg zur Freiheit des Denkens und der Wahl sein
wird. [...] Aus dem Dunkel, in dem der Irak jetzt liegt, wird sich die
Sonne erheben und die ganze Region mit dem Licht der modernen
Staatsbürgerschaft, der Herrschaft von Volk, Vernunft und Wissenschaft
bestrahlen. [...]
(1) Al-Sharq Al-Awsat
(London), 23 Juli 2003
(2) Al-Sharq Al-Awsat (London), 20 Juli 2003
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